6582641-1951_27_02.jpg
Digital In Arbeit

Der Landarbeiter in Österreich

Werbung
Werbung
Werbung

Die kürzlich stattgefundenen Wahlen in die Niederösterreichische Landarbeiterkammer haben die öffentliche Aufmerksamkeit doch einmal für eine kleine Weile jener bedeutenden Gruppe der Arbeitnehmer zugewandt, die in diesem Bundesland nun zum erstenmal ihre Vertreter in ihre neuerrichtete Berufsorganisation entsandten. Während in Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg diese Organisationen bereits seit 1949 beziehungsweise 1950 erfolgreich tätig sind, konnte in Niederösterreich — vor allem wegen des Widerstandes der Linken — erst jetzt an die Errichtung der Landarbeiterkammer geschritten werden. Es ist interessant, die Wahlergebnisse der Bundesländer miteinander zu vergleichen:

Mandate

des .Christlichen der sozialistischen Land- und Forst- Gewerkschaftsarbeiterbundes“ gruppe

Niederösterreida 23 17

Oberösterreich 34 8

Salzburg 32 19

Tirol 14 —

Vorarlberg 5 —

In Tirol und Vorarlberg lehnten die Sozialisten die Teilnahme an der Landarbeiterkammer ab. Der im Vergleich zu den übrigen Bundesländern höhere Prozentsatz an sozialistischen Landarbeiterkammerwählern in Niederösterreich ist durch die Verschiedenartigkeit in der landwirtschaftlichen Besitzstruktur bestimmt. Die Arbeiter in den bäuerlichen Familienbetrieben, deren Leben und Arbeit in eine christliche Familiengemeinschaft eingebaut ist und die mit den wirtschaftlichen Verhältnissen, mit den Sorgen und Nöten ihrer Arbeitgeber eng vertraut sind, erkennen klarer, wie sehr ihr Schicksal mit dem des Arbeitgebers und der Landwirtschaft überhaupt verbunden ist, als die Arbeiter der Gutsbetriebe. Sehr deutlich wird das am Beispiel Oberösterreichs, wo mittlerer und größerer Bauernbesitz vorherrscht und landwirtschaftlicher Großgrundbesitz kaum vorhanden ist. Der ganz überwiegende Teil der Landarbeiter stimmte dort für den „Christlichen Land-und Forstarbeiterbund“.

Die gesetzgeberische Schöpfung der Landarbeiterkammern, ein wichtiger sozialrechtlicher Fortschritt für den Berufsstand, kam in Niederösterreich nicht ohne Widerstände zustande; auf marxistischer Seite glaubte man, den Landarbeiter in die Arbeiterkammer verweisen zu können, den Sammelplatz und die starke Interessenvertretung der industriellen und gewerblichen Arbeiterschaft. Es hätte keinen Sinn gehabt, Menschen von so verschiedenen, oft einander widerstrebender Interessensphären zusammenzu-spannen. Der Landarbeiter kann nur dann mit einer entsprechenden Entlohnung rechnen, wenn das Produkt seiner Arbeit den gerechten Lohn findet. Wo dieser in den Widerstreit städtischer und industrieller Interessen gerückt wird, klaffen auch die Interessen der Menschen auseinander. Auch vom Standpunkt der Arbeiterkammer wäre kein Vorteil daraus zu ersehen, daß der Kampf um die Lebensrechte großer Gruppen der Arbeiterschaft in ihre Mitte getragen würde.

Für die Geschlossenheit unserer Land-arbeiterkammerrf für die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges der Landesgesetzgebung spricht auch die Besonderheit der ihr gesetzten wichtigen Aufgaben. Die Lage der Landwirtschaft ist durch das Wort von der Landflucht gekennzeichnet, das so lange schon die Sorge jedes Volkswirtes ausdrückt, daß es schon wie ein Gemeinplatz klingt und viele die enthaltene Tatsache wie ein natürliches Übel betrachten. Man gibt sich in der Öffentlichkeit kaum mehr Rechenschaft darüber, daß dieses ominös

Wort an die Existenz unserer gesamten Volkswirtschaft rührt.

Heute sind wir so weit, daß nicht nur der Landarbeiter auf die Suche nach einem neuen Betätigungsfeld geht, auf dem der Erwerb leichter und gesicherter erscheint, selbst Bauern und Bauernkinder verlassen in beunruhigender Anzahl den Besitz ihrer Väter. Das Absinken der Arbeitskraft in der Landwirtschaft führt unvermeidlich zu einer zunehmenden Extensivierung der landwirtschaftlichen Betriebe, also einer Wirtschaftsweise geringeren Arbeitsaufwandes und in der Folge zu einer kargeren heimischen Ertragswirtschaft, der Notwendigkeit erhöhter Einfuhren aus dem Ausland, Verteuerung der Lebenskosten und einer Entgüterung der Gesamtwirtschaft.

Die neuerrichteten Landarbeiterkammern werden nun vor allem die Aufgabe haben, die soziale Lage der Landarbeiter zu verbessern. Es wurde in den vergangenen Jahren mit Hilfe von ERP-Mitteln und Landeszuschüssen auf dem Gebiete des Landarbeiterwoh-nungsbaue bereits manche ansehnliche Leistung vollbracht, aber es bleibt noch viel zu tun.

Auf die rechtliche Besserstellung des Landarbeiters und seine stärkere soziale Verknüpfung mit dem heimatlichen Boden zielt, aus so gebieterischen Notwendigkeiten erwachsen, das neue österreichische Landarbeitsrecht, das, der Initiative des jetzigen Ackerbauministers entsprungen, seinem Inhalt, Aufbau und Umfang nach

bezeichnet werden kann. Es wurde durch dieses Gesetz das gesamte land- und forstwirtschaftliche Arbeitsrecht sowie der Arbeiter- und Angestelltenschutz neu gestaltet, angepaßt den Erfordernissen der Zeit. Soweit es durch ein Gesetz überhaupt möglich ist, wurden alle Voraussetzungen für eine rechtliche Gleichstellung der Landarbeit mit der Arbeit in gewerblichen oder industriellen Betrieben geschaffen. Freilich, die Ursachen der Landflucht werden durch noch so gute Rechtsbestimmungen nicht zu beheben sein, ohne eine andere ideelle Einstellung der Bevölkerung und vor allem der Jugend zur Landarbeit, einem Wandel, dem der eben jetzt dem Nationalrat vorliegende Gesetzentwurf dadurch zustrebt, daß er die Landarbeit in aller Form als Facharbeit qualifizieren und ihrer Bedeutung entsprechend mit einer geregelten Berufsausbildung ausstatten will. Die Versuchung, die Arbeit in der Land- und Forstwirtschaft jeder beliebigen Arbeit unqualifizierter Kräfte gleichzustellen, fällt dann weg. Die sorgfältige Ausbildung der Land- und Forstarbeiter würde nur der besseren Wertschätzung und Ehrung seiner Arbeit, der stärkeren Geltung des Standes in der Gemeinschaft und vor allem auch der Hebung der Leistung und vielleicht auch der Produktionsmethoden in dem und jenem Sektor der Wirtschaft dienen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung