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Digital In Arbeit

Fast schon ein Arbeitsverbot

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Herbert Kohlmaier bringt mit diesem Beitrag einen neuen Aspekt in die Diskussion um eine Arbeitszeitverkürzung ein: Darf Arbeit überhaupt „bewirtschaftet" werden?

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Herbert Kohlmaier bringt mit diesem Beitrag einen neuen Aspekt in die Diskussion um eine Arbeitszeitverkürzung ein: Darf Arbeit überhaupt „bewirtschaftet" werden?

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Das elementare Grundrecht der Freiheit stößt, wie wir alle wissen, auf manch notwendige Grenzen. Sie müssen beachtet werden zum Schutze anderer.persönlicher und sozialer Werte, was wiederum — mag es auch indirekt sein — der Verwirklichung anderer Freiheiten dient. In diesem Sinn ist auch dem Abschluß von Verträgen manche Schranke gesetzt, vor allem, um einen (sozial) schwächeren Vertragspartner vor Ubervorteilung zu schützen.

Wenn unsere Verfassung dem Gesetzgeber Möglichkeit und Auftrag gibt, Arbeitsrecht und Arbeitnehmerschutz zu normieren, so wird damit die Freiheit des einzelnen, sich nach seinem Belieben zu verdingen, eingeschränkt. Der notwendige soziale Schutz rechtfertigt dies aber im Sinne unserer und der internationalen Grundrechtsordnung, denn die Vermeidung von Ausbeutung, gesundheitsschädlicher oder die persönliche Lebensfreiheit beschränkender Arbeitspflicht ist auch unter liberalen Gesichtspunkten unverzichtbar.

Dies trifft vor allem auf die gesetzliche Regelung der Arbeitszeit von Dienstnehmern zu. Es ist kein Zufall, daß am Beginn der Sozialgesetzgebung die Festlegung höchstzulässiger Arbeitsstunden stand — abgesehen von der Bekämpfung des schrecklichen Mißstands der Kinderarbeit. Die über Jahrzehnte hinweg erfolgte weitere Senkung der Arbeitszeit kennzeichnet den errungenen sozialen Fortschritt bis zur heutigen 40-Stunden-Woche; der Freiheitsgewinn durch mehr Freiheit hat ein gewaltiges Mehr an Lebensglück ermöglicht.

Die Durchsetzung von Freiheiten hat es allerdings an sich, daß sie ab einem gewissen Punkt wiederum in Freiheitsbeschränkungen sozusagen „umschlagen" kann. Gerade die aktuelle Diskussion, ob ein Lohnausgleich überhaupt möglich ist, zeigt deutlich auf, daß jede weitere Reduzierung der Arbeitszeit für den einzelnen mit einer - zumindest möglichen - Lohneinbuße und damit mit einer Einschränkung seiner Erwerbsfreiheit verbunden ist.

Nur der Umstand, daß frühere Arbeitszeitverkürzungen in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums erfolgten, hat den Blick auf diese Tatsache verstellt. Steigende Produktion ermöglichte seinerzeit ja das, was derzeit ausgeschlossen erscheint, nämlich Einkommen und Freizeit nebeneinander zu erhöhen.

Bei der heutigen Diskussion über die Einführung der 35-Stun-den-Woche werden wir aber eindeutig mit der Konsequenz konfrontiert, daß eine Reduzierung des volkswirtschaftlichen Arbeitsvolumens insgesamt zu Einkommensverlusten und Abgabenerhöhungen führen muß, weil auch der öffentliche Dienst nicht ausgeschlossen werden kann.

Die Argumente, wie sie vor allem Sozialminister Alfred Dallinger verwendet, weisen ja heute auch in eine ganz andere Richtung als bisher: Die Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit soll nicht erfolgen, um den einzelnen vor Ausbeutung seiner Arbeitskraft oder gar Schädigung seiner Gesundheit zu schützen, sondern um Arbeitsplätze freizumachen.

Es geht den Befürwortern der 35-Stunden-Woche nicht um mehr Freizeit für die Arbeitnehmer — welche diese überwiegend gar nicht wollen —, sondern um eine Umverteilung des vorhandenen und im wesentlichen statisch betrachteten Arbeitsvolumens. Damit drängt sich die Frage auf, ob das, was Dallinger vorhat, nicht jener Staatseingriff ist, den man sonst bei Warenknappheit als Bewirtschaftung bezeichnet, etwa durch die Ausgabe von Lebensmittelmarken.

Es ist bekanntlich umstritten, ob eine solche Umverteilung der Arbeit überhaupt funktionieren kann; wer sie anstrebt, handelt sicher aus achtenswerten Motiven, die man wohl auch dem Sozialminister zubilligen muß. Die volkswirtschaftliche Richtigkeit seiner Theorie soll hier unerörtert bleiber raquo;.

Es ergibt sich aber jedenfalls die Frage der Zulässigkeit von verfügten Arbeitsbeschränkungen, die nicht vom Bestreben nach Schutz des einzelnen Arbeitnehmers vor unangemessener Ausbeutung geleitet sind, sondern von der Absicht, ins Arbeitsleben regulierend einzugreifen. Die Frage stellt sich verschärft, wenn man sich vor Augen führt, daß eine in Zeiten der Wirtschaftsstagnation verfügte Arbeitszeitverkürzung letzten Endes einem teilweisen Arbeitsverbot mit entsprechender Erwerbsminderung gleichzusetzen ist.

Es wäre daher zweckmäßig, in die Diskussion der 35-Stunden-Woche nun jenen Zweig der Wissenschaft einzubeziehen, der sich der Wahrung der Verfassung und der Grundrechte widmet. Es scheint zumindest zweifelhaft, ob der Staat einer bestimmten Bevölkerungsschicht verbieten darf, an fünf Tagen der Woche acht Stunden zu arbeiten, also die eigene Arbeitskraft als Basis der materiellen Existenz, aber auch der persönlichen Lebenserfüllung in diesem heute gegebenen Umfang einzusetzen.

Oder mit anderen Worten: Darf der Staat den Arbeitnehmern untersagen, durch ein gesundheitlich im Normalfall unbedenkliches Quantum von Arbeit ein ge-

wünschtes Einkommen zu erzielen? Und vor allem: Darf der Staat, der in der Arbeitszeitgesetzgebung die Zusammenrechnung der Arbeitsstunden in mehreren Dienstverhältnissen vorschreibt, nur die Dienstnehmer in ihrer Erwerbsfreiheit beschränken?

Gewerbetreibende, Bauern und Freiberufler können ja bis zur Selbstausbeutung arbeiten und verdienen (von Pfuschern ganz zu schweigen). Werden auf diese Weise gesetzestreue Arbeitnehmer nicht zu einer diskriminierten Gruppe von Erwerbsbeschränkten, die noch dazu gleichheitswidrig in ihrem freien Recht auf Arbeit verkürzt wird?

Um nochmals zum Begriff Bewirtschaftung zurückzukehren: Gibt unsere Verfassung dem sogenannten einfachen Gesetzgeber überhaupt die Kompetenz, für die Erbringung unselbständiger Arbeit jene Kontingentierung auszusprechen, wie sie für die Marktordnung bei landwirtschaftlichen und sonstigen Produkten immer erst mühsam erstritten werden muß? Es sind dies wohl Fragen, die einmal ernsthaft aufgeworfen werden müssen und um deren seriöse Beantwortung — wünschenswerterweise vor weiteren politischen Vorstößen in dieser Richtung - gebeten wird.

Der Autor ist OVP-Abgeordneter zum Nationalrat und Bundesobmann des ÖAAB.

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