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Fünf Wochenurlaub: Ja 36-StundenWoche: Nein

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Der Vorschlag des Präsidenten des zentralen Arbeitsamtes in der BRD, Josef Stingl, jeder Arbeitnehmer sollte auf dem Höhepunkt seines Berufsle- bens zwei Jahre Urlaub bekommen, hat die Diskussion wieder in Gang gesetzt: Inwieweit 1st es möglich und vor allem zulässig, durch Kürzungen der täglichen, wöchentlichen, jährli- chen Arbeitszeit Oder durch Senkung der Pensionsgrenze die gespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt wieder in den Griff zu bekommen? österreichs Sozialminister Dr. Gerhard Weissenberg sagt ja zum gleitenden Ubergang in die Pension und ja zu einer weiteren Verldngerung des Urlaubs. Er sagt aber auch nein zu einer gene- rellen Senkung der Pensionsgrenze und derzeit nein zur 36-Stunden- Woche.

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Der Vorschlag des Präsidenten des zentralen Arbeitsamtes in der BRD, Josef Stingl, jeder Arbeitnehmer sollte auf dem Höhepunkt seines Berufsle- bens zwei Jahre Urlaub bekommen, hat die Diskussion wieder in Gang gesetzt: Inwieweit 1st es möglich und vor allem zulässig, durch Kürzungen der täglichen, wöchentlichen, jährli- chen Arbeitszeit Oder durch Senkung der Pensionsgrenze die gespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt wieder in den Griff zu bekommen? österreichs Sozialminister Dr. Gerhard Weissenberg sagt ja zum gleitenden Ubergang in die Pension und ja zu einer weiteren Verldngerung des Urlaubs. Er sagt aber auch nein zu einer gene- rellen Senkung der Pensionsgrenze und derzeit nein zur 36-Stunden- Woche.

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FURCHE: Herr Minister, wie stehen Sie zu dem Vorschlag, den älteren Menschen die Möglichkeit zu geben, in einer gleitenden Form in die Pension einzutreten?

WEISSENBERG: Der Vorschlag ist nicht neu… er ist ja auch in unserer Gesetzgebung bereits realisiert. Wir kennen neben der normalen Alterspension auch die vorzeitige Alterspension - bei entsprechend langer Versicherungsdauer oder bei Arbeitslosigkeit. Und wir haben außerdem noch die Frühpension, wenn man es so nennen will, auf Grund von Berufsunfähigkeit und Invalidität. Ich glaube, daß ein weiteres Vorziehen der Altersgrenze weder aus allgemeinen psychologischen und soziologischen Gründen noch aus finanziellen Gründen denkbar sein kann.

FURCHE: Die derzeitige Rechtslage kennt aber nur ein Entweder-Oder: Wer nicht mehr voll arbeiten will, muß zur Gänze vom Berufsleben Abschied nehmen. Wäre es nicht wünschenswert, daß ältere Menschen auch die Möglichkeit haben, sich langsam auf die Pension vorzubereiten. Etwa in der Form, daß sie statt 40 Stunden nur 20 Stunden in der Woche arbeiten und dafür einen halben Aktivbezug und eine halbe Pension ausbezahlt bekommen?

WEISSENBERG: Ja, das ist sicherlich eine Frage, die überlegt werden kann. Und der Vorschlag ist ja auch nicht erstmals vom Herrn Abgeordneten Wiesinger gebracht worden. Es ist auch in den Konzepten des ÖGB davon die Rede, daß man ein System entwik- keln sollte, um einen langsamen Übergang in die Pension zu ermöglichen und den Pensionsschock zu vermeiden. Nur ist das jetzige System dafür nicht geeignet, weil es davon ausgeht, daß die Bemessungsgrundlage der Pension nach den letzten fünf Jahren berechnet wird. Ein langsames Abbauen der Arbeit und damit des Verdienstes bedeutet daher eine Verschlechterung der Bemessungsgrundlage.

Nun könnte man die Frage stellen: Na, warum ändert man die Berechnung für die Bemessungsgrundlage nicht? Der ÖGB hat seinerzeit einen Vorschlag in sein Programm aufge- nommen, der in etwa besagt, daß innerhalb des gesamten Arbeitslebens die günstigsten zusammenhängenden zehn Jahre herangezogen werden. Das heißt also, daß man es nicht manipulieren kann, wann die günstigsten Jahre sind. Dieser Vorschlag ist allerdings erst dann realisierbar, wenn die Pensionsberechnung über die EDV möglich sein wird. Das wird aber erst in der Mitte der achtziger Jahre der Fall sein.

FURCHE: Der Präsident des zentralen Arbeitsamtes in der BRD, Josef Stingl, hat den Vorschlag gemacht, alle Arbeitnehmer sollten in der Mitte ihres Berufslebens bei voller Bezahlung ein oder zwei Jahre Urlaub machen. Was sagen Sie zu diesem Vorschlag? Wie beurteilen Sie die Möglichkeit, durch Variationen mit der Arbeitszeit die Probleme des Arbeitsmarktes zu lösen?

WEISSENBERG:Grundsätzlich kann man wohl sagen, daß die Probleme des Arbeitsmarktes primär durch eine entsprechende Ausweitung des Arbeitsmarktes zu lösen sein werden. Das ist natürlich nur dann möglich, wenn entsprechende strukturelle Gegebenheiten vorliegen und das Wirtschaftswachstum dafür ausreicht, um die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu ermöglichen. Reicht das Wirtschaftswachstum nicht aus, dann muß man sich überlegen, welche Maßnahmen sonst gesetzt werden können. Man kann einerseits versuchen, eine andere Verteilung der Arbeit in der Form einer Arbeitszeitverkürzung herbeizuführen, rein theoretisch betrachtet. Oder man kann versuchen, das Arbeitskräftepotential einzuengen. Etwa in der Form, daß man die Altersgrenze herabsetzt und dadurch Leute, die früher in die Pension eintre- ten, aus dem Arbeitsmarkt herauszieht. Man kann’s theoretisch auch so machen, wie der Präsident der deutschen Arbeitsmarkt-Verwaltung, Stingl, von kurzem vorgeschlagen, hat, ania ri daß man eine längere Ruhepause etwa von zwei Jahren einschaltet, die etwa in der Mitte des Arbeitslebens liegen sollte; wobei es nicht nur darum geht, daß die Leute diesen Urlaub machen sollen… es geht auch darum, daß die Leute diesen Urlaub dazu benützen, um einmal Bilanz ihres bisherigen Arbeitslebens zu ziehen und eventuell auf Grund dieser Bilanz neue Berufsvorstellungen zu entwickeln…

FURCHE: Sie finden diese Idee also für nicht so schlecht…?

WEISSENBERG: Sie ist im Grunde sicherlich richtig. Die Frage ist nur, ob sie realisierbar ist. Aber vom Grunde her wäre sie wie gesagt nicht schlecht, wenn man die Zeit und die Mittel dazu hat, um das entsprechend vorbereiten und finanzieren zu können. Weil die Menschen ja sehr oft in einen Beruf hineingeraten, der ihnen keinerlei Beziehungen persönlicher Art vermittelt Das Wechseln geschieht zwar heute auch relativ häufig, aber nicht immer mit den bestmöglichen Mitteln und mit dem bestmöglichen Erfolg.

FURCHE: Welche konkreten Maßnahmen würden Sie zur Entlastung des Arbeitsmarktes vorziehen?

WEISSENBERG: Vielleicht ganz global gesagt: Ich glaube nicht, daß derzeit in Österreich eine Arbeitszeitverkürzung etwa in der Form einer Verkürzung der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit zielführend sein könnte, denn wir haben ja noch Strukturprobleme; wie etwa, daß wir nicht ausreichend Facharbeiter zur Verfügung haben. Würden wir also die Arbeitszeit global verkürzen, dann bedeutet das, daß wir den Mangel an solchen Facharbeitern noch verstärken würden. Ich glaube, daß man daher mit

Arbeitszeitverkürzungsmaßnahmen globaler Art vorsichtig umgehen sollte und statt dessen das weiter durchführt, was wir ja schon in diesem Jahr begonnen haben; nämlich eine strengere Uberstundenpolitik. Das ist ja auch eine Form der Arbeitszeitverkürzung, die sich allerdings mehr punktuell aus wirkt.

FURCHE: Ist das Verhältnis zwischen Freizeit und Arbeitszeit in Ihren Augen in Österreich bereits ideal?

WEISSENBERG: Sicherlich ist der Playboy nicht das Ideal der Menschheit. Es muß ein richtiges Maß zwischen Arbeitszeit und Freizeit gefunden werden. Ich möchte nicht behaupten, die richtige Ausgewogenheit zwischen Arbeitszeit und Freizeit sei schon gefunden worden. Ich glaube, daß die Arbeitszeitverkürzung als gewerkschaftliche Forderung nach wie vor besteht; die Frage ist nicht, ob man verkürzt, sondern, wann man verkürzen kann, wann die wirtschaftlichen und sozialen, meinetwegen auch die kulturellen Voraussetzungen dafür geschaffen worden sind.

FURCHE: Wie lautet die gewerkschaftliche Forderung nach Arbeitszeitverkürzung derzeit? Wieviele Stunden sollen wöchentlich gearbeitet werden?

WEISSENBERG: Ich glaube, das kann man nicht grundlegend fixieren. Die nächste Etappe, die sich auf der Ebene des europäischen Gewerkschaftsbundes abzeichnet, geht in die Richtung der 36-Stunden-Woche. Das wird sicherlich auch einmal Ziel der österreichischen Gewerkschaft sein…

FURCHE: .. .ist es aber derzeit nicht…?

WEISSENBERG: Bisher ist eine solche Forderung vom Gewerkschaftsbund nicht erhoben worden. Ich glaube auch nicht, daß der ÖGB größeres Gewicht auf die weitere Verkürzung der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit, sondern eher der jährlichen Arbeitszeit legt. Es steht im Programm des Gewerkschaftsbundes - nicht zeitlich bestimmt -, daß nach der Erreichung des vierwöchigen Mindesturlaubs fünf Wochen Urlaub angestrebt werden.

FURCHE: Sind jene Länder, in denen die wöchentliche oder jährliche Arbeitszeit geringer ist als bei uns, Vorbilder für die österreichische Sozialpolitik?

WEISSENBERG: Es ist in der Sozialpolitik überhaupt schwierig, Vor- büdem nachzustreben. Man kann in der Sozialpolitik nicht eine internationale Rosinenpolitik betreiben, daß man von allen Staaten, die vielleicht in der einen oder anderen Frage günstigere Regelungen haben, das günstigere kombiniert und dann ein ideales Sozialrecht präsentiert. Es gibt sicherlich Länder, in denen die Arbeitszeit kürzer ist, es gibt auch Länder, in denen die Arbeitszeit länger ist; aber wie gesagt, das ist für mich kein Maßstab.

FURCHE: Herr Minister, wie wird sich in Österreich der Arbeitsmarkt in naher Zukunft entwickeln. Wird es in den nächsten Jahren nach Ihren Erwartungen mehr Arbeitslose geben?

WEISSENBERG: Wir machen alljährlich eine Vorschau auf das nächste Jahr, die uns vom Wirtschaftsforschungsinstitut geliefert wird. Wir bedienen uns auch der Unterlagen des Instituts für Höhere Studien. Beide Institute haben für das nächste Jahr größere Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt prophezeit: aus demographischen Gründen, auch die technologische Arbeitslosigkeit wird sich stärker auswirken und vor allem wird die internationale Wirtschaftssituation auf Österreich Zurückschlagen. Die Institute haben Arbeitslosenziffem für 1979 und 1980 errechnet, die bis dreieinhalb, vier Prozent reichen könnten. Allerdings sind solche Prognosen auch nur abstrakter Natur, weil sie nicht berücksichtigen, was man alles gegen die Arbeitslosigkeit tun kann.

FURCHE: Man könnte zum Beispiel den Gastarbeiteranteil abbauen.

WEISSENBERG: Es wird bereits in diesem Jahr auf Grund eines Beschlusses des Arbeitsmarktbeirates versucht, eine Reduktion der Gastarbeiterbeschäftigung um etwa 15 Prozent zu erreichen. Ich kann jetzt schon sagen, daß dieses Ziel nicht erreicht werden wird, aber im heurigen Jahr auch nicht notwendig ist.

Wir haben insgesamt eine Reduktion von ungefähr 12.000 Gastarbeitern herbeigeführt und daher im Juni etwa 360.0 Inländer mehr beschäftigt als im Juni des vergangenen Jahres. Wir haben auch im nächsten Jahr noch einen recht ansehnlichen Polster bei den Ausländern: Es sind derzeit ungefähr

180.0 Ausländer in Österreich beschäftigt. Und zwar nicht nur auf Arbeitsplätzen, die an Inländer nicht vermittelbar sind, sondern auch in durchaus qualifizierten Tätigkeiten, so daß wir die Politik weiterverfolgen werden, Ausländer, die ausscheiden, nach Möglichkeit nicht mehr durch weitere Neuaufnahmen von Ausländern zu ersetzen.

Das Gespräch mit Sozialminister Dr. Gerhard Weissenberg führte Alfred Grinschgl.

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