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Digital In Arbeit

Atmende Fabrik

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Die strukturelle Arbeitslosigkeit wird beim kommenden ÖGB-Kongreß eines der Themen sein. Den Gewerkschaften geht es im Kampf gegen das soziale Kernproblem dieser Jahre vor allem um die Weiterbildung der Arbeitnehmer und der Beschäftigungslosen.

Eine französische Feinbäckerei, die als Familienbetrieb im Verlauf von 20 Jahren mit ihren Wiener Kipferln und ähnlichen Zuckerbackwaren (man nennt sie in Frankreich „Vien-noiserien”) zum führenden Unternehmen der Branche aufgebaut werden konnte, ist im Sommer durch einen Besuch von Staatspräsident Chirac als Musterbeispiel des Kampfes gegen Arbeitslosigkeit bekannt geworden - und zwar durch Arbeitszeitverkürzung. Die wöchentliche Arbeitszeit wurde von 39 auf 33 1/4 Stunden herabgesetzt, die Arbeitnehmer willigten in eine Gehaltskürzung um zwei bis drei Prozent ein, der Staat erleichterte die Sozialkosten der Firma, diese konnte daraufhin mehr als 220 Mitarbeiter zusätzlich einstellen.

Ähnliche Experimente gibt es in Holland, Belgien und Deutschland. Das Volkswagenwerk hat jetzt einen flexibler den Verkaufsperioden angepaßten Produktionsrythmus („atmende Fabrik”) vereinbart, wobei die schon vor zwei Jahren eingeführte Arbeitswoche von 28,8 Stunden bleiben soll, aber im Jahresdurchschnitt berechnet wird. Man denkt dabei an Überstundenschecks, die im Rahmen der Jahresarbeitszeit oder erst vor dem Pensionsantritt eingelöst werden können. Durch diese Regelung wird eine neuerlich drohende Kündigungswelle verhindert.

Arbeitszeitverkürzung:

Im Ausland verbucht man mit diesem umstrittenen Rezept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einige beachtliche Erfolge.

Auch in Österreich fordert die Wirtschaft seit längerem eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung, die dem Auftragsrythmus (oder im Handel den Kaufwünschen der Kunden) besser Rechnung trägt. Das könnte zu kürzerer Normalarbeitszeit in schwachen Monaten, zu mehr Wochenstunden (ohne Überstundenzuschläge im gewohnten Ausmaß) bei höherem Arbeitsanfall führen. Dem hält man auf Gewerkschaftsseite den Gedanken attraktiven Zeitausgleichs mit längeren Freizeitblöcken entgegen, wobei diese Blöcke aber nicht nur einseitig den Betriebsinteressen dienen, sondern vom Arbeitnehmer gewählt werden sollten..

Auf dem ÖGB-Kongreß werden, wie zu hören ist, die Bewahrung des Sozialstaates und die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung betont. Um die Beschäftigungslosen wieder in den Arbeitsprozeß zurückführen zu können und um Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit zu bewahren, ist dem Gewerkschaftsbund wie auch den Arbeiterkammern die Weiterbildung besonders wichtig, speziell für die besonders gefährdeten Älteren und die Frauen. Das entspricht auch der Linie der EU, die in ier allgemeinen und beruflichen Bilc ung einen Schlüsselfaktor für die soziale Stabilität in der Gemeinschaft sieht und angesichts des technologisc len Wandels für eine flexiblere Berui sbildung und für lebenslanges Lerr en eintritt.

Im Ö&B hält nan von den im Ausland vereinzelt versuchten Experimenten, eine temporäre Arbeitszeitverkürzung (no( h dazu bei Lohnverzieht!) zur Erhal tung oder Schaffung von Arbeitsplänen zu benützen, offenkundig nichts. Auch in der Teil-zeitarbeit sieht man Schattenseiten. „Mit forcierter Teilzeitarbeit kann die generelle Arbeitszeitverkürzung zur Lösung der gegenwärtigen Be-schäftigungsprol ileme nicht ersetzt werden”, wird jetont. Die Teilzeit müsse die Bückk mr zur Vollzeitarbeit einschließen; es iürfe nicht zur Aufteilung von Voll; eitjobs in Teilzeitarbeit führen. Vor; i\em für Frauen, die den größten Teil der Quote von zehn Prozent Teilzeitl eschäftigten ausmachen, sei eine Lc sung zu suchen, die individuell die V ;reinbarkeit von Beruf und Familie; ichert.

Es wird aber c aran gedacht, einen Teil der Arbeitszeit mit Möglichkeiten der Weiterbi dung zu kombinieren. „In solchen kombinierten Modellen liegt die Zi ikunft”, sagt man in der Wiener Höh mstaufengasse. Auf Arbeitgeberseite steht man diesen Vorschlägen vorerst reserviert gegenüber - vor all ;m deshalb, weil sie stark auf Kosten der Betriebe gehen würden, auch w;nn eine Einschaltung des Arbeitsi larktservice (AMS) in die Organisation oder Finanzierung von W ;iterbildungskursen denkbar ist. Gan! abgesehen davon, daß solche Weiterbildung nicht nur im Interesse der Jnternehmen liegt, sondern auch der i Jeschäftigten selbst.

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