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Wirtschaftskommentar

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ln einer Zeit, in der alle konventionellen sozialpolitischen Forderungen bereits in einem gewissen Ausmaß verwirklicht sind, tritt in den Vordergrund der staatlichen und auch der von den Verbänden getragenen Sozialpolitik nunmehr die Verbesserung beziehungsweise die durch die wirtschaftliche Entwicklung notwendig gewordene Umorientierung in den Zielen der Sozialpolitik. Eine solche Umorientierung scheint sich derzeit im Verhältnis zwischen zwei sehr wesentlichen und zuweilen konkurrierenden Zielen anzubahnen, nämlich im Verhältnis von höheren Lohnzahlungen und Arbeitszeitverkürzung (bei vollem Lohnausgleich).

Einem Bericht der deutschen Wirf- schaftszeitung „Der Volkswirt” ist zu entnehmen, dafj in einem westdeutschen Betrieb die Belegschaft eine nach dem Stand des Produktivifäts- fortschrittes erfüllbare Lohnerhöhung einer weiteren Arbeitszeitverkürzung vorzog und eine dementsprechende Vereinbarung mit der Unternehmensleitung traf. Die Gewerkschaft fühlte sich in diesem Fall von der Belegschaft umgangen und reagierte verständlicherweise heftig auf die Substitution ihrer Verhandlungsmacht durch die lokale Betriebsvertretung.

Die Forderung nach einer genauen Regelung der Arbeitszeit konnte erst mit dem Entstehen des Industrieproletariats im Zuge der Industrialisierung am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts erhoben werden. Einerseits, weil in einer fast ausschließlich handwerklich-agrarischen Wirtschaftsstruktur mit starken feudalen oder familiären Bindungen das Problem einer von aufjen zu regelnden Arbeitszeit nicht auftritt und objektiv, wie z. B. in der Landwirtschaft, auch nicht lösbar ist — anderseits fehlten in der vorindustriellen Zeit die Einrichtungen zur Vertretung der Arbeitnehmerinteressen.

Erst durch die Exzesse des Hochkapitalismus, dargesfellt in der Kinderarbeit und in gesundheitsschädlichen, überlangen Arbeitszeiten, wurde die Forderung nach einem lenkenden Eingreifen von Gesellschaft und Staat immer dringlicher. Der Schutz der menschlichen Gesundheit, überhaupt oft erst die Schaffung menschenwürdiger Lebensbedingungen stand am Anfang der geregelten Arbeitszeit. Der Arbeiter wollte eher eine Lohnreduktion in Kauf nehmen, als durch Überarbeitung zugrunde zu gehen.

Staatliche Regelungen, Selbsthilfe der Arbeiter und die durch die technische Entwicklung bedingte stetige Produktivitätssteigerung haben im Lauf der Zeit dazu geführt, dafj die Arbeitszeit immer weiter verkürzt wurde, und dies bei vollem Lohnausgleich.

Produktivitätssteigerung und Arbeitszeitverkürzung bedingen sich sogar oft gegenseitig, weil viele Unternehmer sich gezwungen sehen, den Ausfall an Arbeitszeit durch Ratio- nalisierungsmafjnahmen auszugleichen. Das ist ober nur dort möglich, wo menschliche Arbeitskraft durch Maschinen ersetzt werden kann, also kaum in den Dienstleistungsberufen. Aus der unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeit beziehungsweise Austauschbarkeit von Arbeit und Kapital in den einzelnen Betriebstypen ergibt sich, dafj manche Betriebe trotz Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Periodenlohn in dei Lage sind, die Preise für ihre Produkte stabil zu halten, während füi andere Betriebe (insbesondere Dienstleistungsbetriebe) die Arbeitszeitverkürzung eine nicht kompensierbare Kostenerhöhung darstellt, die sie nui als Preiserhöhung weitergeben können. Die Arbeitszeitverkürzung zahli in diesem Fall eigentlich der Konsument.

Es ergibt sich nun die Frage, ob weiterhin in allen Fällen eine Arbeitszeitverkürzung eher im Interesse der Arbeitnehmer liegt als eine aliquote Lohnerhöhung. Selbstverständlich ist diese Überlegung nur dorl gerechtfertigt, wo eine Arbeitszeit verkürzung nicht aus gesundheitlichen oder anderen Gründen (z. B. mehr Freizeit für die Familie, Weiterbildung) vorzuziehen ist. Im allgemeinen kann man jedoch sagen, dafj wir mit einer Arbeitszeit um die 40-Stunden-Grenze jenen Punkt erreicht haben, an dem der durchschnittliche Arbeitnehmer eine Lohnerhöhung einer Arbeitszeitverkürzung vorziehen wird. Als Indiz für diesen Sachverhalt kann nicht zuletzt die Tatsache dienen, dalj von vielen Beschäftigten in ihrer Freizeit noch nebenbei hart gearbeitet wird, um den Lebensstandard zu verbessern. Das Auffüllen des Freizeitraumes mit der gleichen, wenn nicht einer noch mühsameren Arbeit als jene, welche der Arbeitnehmer im Betrieb selbst auszuführen hat, widerspricht aber gerade dem Gedanken einer weiteren Arbeitszeitverkürzung über eine bestimmte Grenze hinaus.

Außerdem erklären uns Psychologen und Soziologen immer wieder, dafj wir in unserer Gesellschaft gerade das Problem der sinnvollen Nutzung der Freizeit nicht ausreichend bewältigt haben. Arbeitszeitverkürzung ohne entsprechende Freizeitplanung und Erziehung zur richtigen Freizeitgestaltung kann nur dazu führen, dafj durch Konsumexzesse die Gesundheit eher zerstört als regeneriert wird.

Jede Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung rnufj aber, wenn sie nicht allein durch Preiserhöhungen abgegolten werden soll und dadurch unbedingt inflatorisch wirkt, ihre Dek- kung in einer Produktivitätssteigerung finden. Eine Produktivitätssteigerung in einem Wirtschaftszweig kann aber nicht zu einer aliquoten Arbeitszeitverkürzung in der Branche führen, weil sonst Wirtschaftszweige, die selbst nicht in der Lage sind, ihre Produktivität relativ stark zu steigern, keine Verminderung der Arbeitszeit durchführen dürften. Eine Arbeitszeitverkürzung in Wirtschaftszweigen mit geringer Einsatzmöglichkeit an Kapital (Maschinen) wird jedenfalls zu einer Überwälzung auf die Preise führen und mufj daher in der Produktivitätssteigerung anderer Wirtschaftszweige gedeckt sein.

Das führt in der Folge dazu, dafj sich zwar die Preisrelationen zwischen den Gütern der produktionstechnisch verschieden strukturierten Wirtschaftszweige ändern, dsrfj sich aber am Ende des Preisbewegungsvorganges (theoretisch) als Ausgleich von Preiserhöhungen und Preisreduktionen das gleiche Preisniveau ergibt wie vor der Arbeitszeitverkürzung.

Die Frage Lohnerhöhung-Arbeitszeitverkürzung mufj nicht unbedingt durch ein Entweder-Oder gelöst werden, sondern ist auch in Kombination denkbar: Eine geringe Arbeitszeitverkürzung und dafür ein entsprechender Ausgleich durch Lohnerhöhung. Wie immer aber die Lösung gefunden wird, man kann das Problem der Arbeitszeitverkürzung nicht isoliert betrachten, sondern nur als einen Teil des gesamten Wirf- schaftsverlaufes. In Zeiten einer Hochkonjunktur mit wachsender Arbeitskräfteknappheit und einem steigenden Anteil an Gastarbeitern am Ge- samtbeschäftigfenstand wird auch die Gewerkschaft an ihren an sich durchaus verständlichen Forderungen in der Arbeitszeitfrage Abstriche vornehmen müssen, um nicht durch Unnachgiebigkeit für die Arbeiter das Erreichte zu gefährden.

Auch die bereits erwähnte unterschiedliche produktionstechnische Lage der einzelnen Betriebe wird es erforderlich machen, in der Frage der Kürzung der Arbeitszeit von Allgemeinregelungen abzugehen und einzelbetrieblichen Vereinbarungen zwischen Unternehmern und Betriebsräten Raum zu geben, damit cfie Maßnahmen realadäquat sind.

Wenn auch das Problem in Österreich noch nicht so akut ist wie in anderen westlichen Nachbarländern, ist es auch in Österreich an der Zeit, Überlegungen anzusfellen, in welcher Weise und in welchen Proportionen der Produktivitäfsansfieg an die Arbeiter weifergegeben werden soll.

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