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„Selbstverständlich kostet eine Arbeitszeitverkürzung etwas“

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Ein so vielschichtiges Problem wie das der Arbeitszeitverkürzung ist nach dem Willen der sozialistischen Parlamentarier Gegenstand eines Volksbegehrens. Dadurch wird die Lösung wirtschaftspolitischer Sachfragen mittels Suggestivfragen in der Art von „Wollen Sie weniger arbeiten?“ zur trefflichen Methode deklariert. Würde Dr. Ernst Veselsky, Mitautor des sozialistischen Wirtschaftsprogramms und Geschäftsführer des Beirats für Wirtschafts- und Sozialfragen, ein solches Volksbegehren' unterschreiben? „Wenn ich allein politisch blutleerer Technokrat wäre“, versicherte er den FURCHE-Intervie-wern, „dann unterschriebe ich dieses Volksbegehren nicht.“ Doch Dr. Veselsky ist nicht nur Nationalökonom, er ist auch empirischer Sozialist, und da sieht er „die Dinge anders“. Da denkt er an „die Menschen, die unter Tag schuften, für die eine Arbeitszeit, wie wir sie haben, ein Martyrium ist“.

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Ein so vielschichtiges Problem wie das der Arbeitszeitverkürzung ist nach dem Willen der sozialistischen Parlamentarier Gegenstand eines Volksbegehrens. Dadurch wird die Lösung wirtschaftspolitischer Sachfragen mittels Suggestivfragen in der Art von „Wollen Sie weniger arbeiten?“ zur trefflichen Methode deklariert. Würde Dr. Ernst Veselsky, Mitautor des sozialistischen Wirtschaftsprogramms und Geschäftsführer des Beirats für Wirtschafts- und Sozialfragen, ein solches Volksbegehren' unterschreiben? „Wenn ich allein politisch blutleerer Technokrat wäre“, versicherte er den FURCHE-Intervie-wern, „dann unterschriebe ich dieses Volksbegehren nicht.“ Doch Dr. Veselsky ist nicht nur Nationalökonom, er ist auch empirischer Sozialist, und da sieht er „die Dinge anders“. Da denkt er an „die Menschen, die unter Tag schuften, für die eine Arbeitszeit, wie wir sie haben, ein Martyrium ist“.

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FURCHE: Das sozialistische Wirtschaftsprogramm nennt als erstrangiges Ziel die Steigerung des „Wirtschaftswachstums“. Ist es nicht so, daß eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 40 Wochenstunden wachstumshemmende Effekte nach sich zieht. Widersprechen aber dann nicht das sozialistische Wirtschaftsprogramm und die SPÖ-Inltiative zur Arbeitszeitverkürzung einander? VESELSKY: Es ist richtig, daß das sozialistische Wirtschaftsprogramm auf eine Wiederbelebung des Wirtschaftswachstums abzielt. Deshalb muß es aber noch lange nicht der Einführung einer 40-Stunden-Arbeitszeit widersprechen. Schließlich ist im Wirtschaftsprogramm der SPÖ ausdrücklich davon die Bede, daß in naher Zukunft eine Arbeitszeitverkürzung zu erwarten ist.

FURCHE: Nun, im Bericht des Beirats für Wirtschafts- und Sozialfragen zu den Arbeitszeitproblemen ist zu lesen, daß „gesamtwirtschaftlich gesehen, eine nicht durch zusätzliche Beschäftigung oder Überstunden kompensierte Arbeitszeitverkürzung zu einer gewissen Wadis-niä|i.S, Uüuseinbuße führen, Wirdum <*tu&i

VESELSKY: Man muß sich darüber klar sein, was man mit der Wiirtschaftswachistumszielsetzung will, ein maximales oder ein optimales Wachstum. Entscheidet man sich für das erstere, dann müßten wir unsere Schlafenszeit minimieren und unsere Arbeitszeit maximieren. Entscheidet man sich für ein optimales Wirtschaftswachstum, dann sind auch noch andere Tatsachen zu berücksichtigen. Ich meine damit, daß die Wirtschaft den Menschen zu dienen hat und nicht umgekehrt. Wir hätten in Österreich vielleicht den gleichen Wachstumsverlust, ob man nun die verlorene Arbeitszeit durch das Einstellen zusätzlicher Arbeitskräfte ausgleicht oder nicht

FURCHE: Unter der Annahme, daß Österreich ein relativ geringes Wirtschaftswachstum hat, würden Sie demnach dennoch für das Anpeilen eines bestmög-li< en Wirtschaftswachstums plädieren?

VESELSKY: Zur Frage der Wachstumsrate kann ich Ihnen beipflichten. Österreichs Wirtschaft wächst tatsächlich langsamer als die der EWG-Staaten.

FURCHE: Und dennoch sind St£ für die ArbeitsizeituerJcürzunfir?

VESELSKY: Die Sozialisten fordern eben kein maximales, sondern bloß ein optimales Wirtschaftswachstum.

FURCHE: Läßt sich in einer vollbeschäftigten Wirtschaft wie der österreichischen der durch die Arbeitszeitverkürzung bedingte Wachstumsausfall überhaupt durch die Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte kompensieren?

VESELSKY: Die österreichische Wirtschaft ist glücklicherweise seit Jahren in einem Zustand der Vollbeschäftigung. Selbst in den beiden Jahren der Rezession, also 1958 und 1967, gab es in unserem Land keine bedeutende Abweichung vom Zustand dar Vollbeschäftigung. Dennoch gibt es Arbeitskräfte, die nicht voll ausgelastet sind. Dieser Polster, so meine ich, dürfte 1971 und 1972 schwinden, aber dann wieder viel rascher wachsen als je in der Vergangenheit seit 1945. Dann werden die geburtenstärkeren Jahrgänge ins erwerbsfähige Alter kommen. Ferner werden die ersten Wirkungen der Einführung des 9. Schuljahres abzuebben beginnen.

FURCHE: Im Beiratsgutachten wird jedenfalls davon ausgegangen, daß auch in Zukunft in Österreich Vollbeschäftigung bestehen wird. Wenn die Umschichtungspolitik am Arbeitsmarkt nur Teilerfolge erzielt, wäre es dann günstig, den Arbeitsmarkt zu liberalisieren, mehr Gastarbeiter aus dem Ausland anzuwerben?

VESELSKY: Ich bin der Auffassung, daß eine liberalere Zulassungspolitik für Fremdarbeiter in Österreich etwas durchaus Vernünftiges ist, wenn es darum geht, eine Arbeitszeitverkürzung abzusichern.

FURCHE: Im Beiratsgutachten steht zu lesen, daß „die Gewinne infolge der Arbeitszeitverkürzung zurückgehen dürften“. Würde dann nicht aber auch die private Investitionsquote fallen? VESELSKY: Ich will dazu bemerken, daß dieses Zitat aus dem Kapitel Modellanalyse des Beiratsgutachtens stammt. Persönlich würde ich begrüßen, wenn die Arbeitszeitverkürzung durch zusätzliche Investitionen und &#9632;über einen besseren Einsatz der “ Produktionsmittel kompensiert werden würde.

FURCHE: Halten Sie die österreichischen Unternehmer für kapitalkräftig genug, bei sinkenden Gewinnen mehr zu investieren?

VESELSKY: Die Investitions-quote Österreichs ist mit 26 Prozent eine der höchsten der Welt ModelltheoretLsch bin ich der Meinung, daß die Investitions-quöte fallen würde. Aber die Bedingungen eines Lehrbuches erfüllen sich in der Realität nicht durchwegs.

FURCHE: Wie sieht dann aber die realitätsbezogene Begründung dafür aus, daß die Unternehmer im Fall der Arbeitszeitverkürzung trotz sinkender Gewinne mehr investieren sollten?

VESELSKY: Es würde nur dann mit Gewinneinbußen zu rechnen sein, wenn die Unternehmer keinen Einfluß auf die Preisgestaltung hätten. Tatsächlich sitzen aber in einer kapitalistischen Wirtschaft die Unternehmer am stärkeren Ast. Aus diesem Grund, das kann ich jetzt schon prophezeien, werden Preiskorrekturen eher stattfinden, als daß Gewinnminderungen die Folgen der Arbeitszeitverkürzung wären.

FURCHE: In seiner Untersuchung über die Arbeitszeitverkürzungsprobleme erklärt der Beirat, daß „eine entsprechende Einengung des lohnpolitischen Spielraums“ im Fall der Einführung der 40-Stunden-Woche notwendig ist. Und dazu gesellt sich nun die Preisinflation!

VESELSKY: Eine Arbeitszeitverkürzung kostet selbstverständlich etwas. Ich möchte aber nicht sagen, daß sie inflationistische Tendenzen heraufbeschwören wird, wenn man sie entsprechend absichert.

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