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Solidarität nicht nur unter dem Druck leerer Kassen

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Beim 13. ÖGB-Bundeskongreß vom 17. bis 20. Oktober (siehe auch Dossier) will die Fraktion christlicher Gewerkschafter die Weichen für eine neue Politik stellen.

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Beim 13. ÖGB-Bundeskongreß vom 17. bis 20. Oktober (siehe auch Dossier) will die Fraktion christlicher Gewerkschafter die Weichen für eine neue Politik stellen.

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DIEFURCHE: Welche Themen werden Sie beim kommenden OGB-Kongreß besonders aggressiv nach vorne bringen?

Fritz Neugerauer: Alles, was sich unter dem Begriff „Sicherheit” sub-summieren läßt. Das betrifft sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit. Erstere betrifft die Themen Arbeitsplätze und Vollbeschäftigung sowie die Sicherheit der sozialen Netze, zweitere die Themen Illegalität und Wirtschaftskriminalität. Soziale Sicherheit bedeutet aber nicht, daß wir neue Hängematten knüpfen wollen, wo sich jeder hieinfallen lassen kann, was in den letzten Jahren da und dort passiert ist. Es geht darum, für die einzutreten, die unsere Unterstützung wirklich benötigen.

DIEFURCHE: Angesichts der Budgetmisere sind aber dauerhafte Lösungen und nicht kleine Reperaturen notwendig. Was bieten Sie beispielsweise an zur Lösung der Arbeitslosigkeit? neugebauer: In einer Marktwirtschaft kann die dauerhafte Lösung nur lauten: Anstreben der Vollbeschäftigung. Wir haben heute einen Stand von Beschäftigen, wie er noch nie da war, nämlich über drei Millionen Menschen.

DIEFURCHE: Wird es genug Arbeitsvolumen geben in den nächsten Jahren? neugebauer: Diesbezüglich habe ich keine Sorgen.

DIEFURCHE: Worauf setzen Sie? Arbeitszeitverkürzung? neugebauer: Arbeitszeitverkürzung auf 35-Wochenstunden mit vollem Lohnausgleich war noch eine Forderung beim letzten ÖGB-Kongreß vor vier Jahren. Noch während der Kongreßwoche wurde damals eine Umfrage unter den Delegierten gemacht. Da rangierte die Arbeitszeitverkürzung weit hinten. Und wenn Sie die Kollektiwertragsabschlüsse der letzen Jahre betrachten, dann werden Sie sehen: Es kamen zwar immer wieder die Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung, die wurden aber letz-lich nie paktiert. Es hat sich herausgestellt, daß Arbeitszeitverkürzungen um kleine Einheiten von einer halben oder einer ganzen Stunde wegrationalisiert werden und den gewünschten Beschäftigungseffekt nicht bringen. Der würde nur eintreten, wenn man gleich um drei oder vier Stunden verkürzt, und das ist wirtschaftlich nicht verkraftbar. Das ist die Lehre daraus.

Ich glaube daher, daß es andere Arbeitszeitformen geben wird, aber keine massvie Verkürzung. diefurche: Das wahre Ausmaß der Arbeitslosigkeit wird ja durch staatliche Hilfe übertüncht Statt der Schmutzarbeit in Form von Kündigungen gab es eben die Frühpensionen neugebauer: Diese staatlichen Mechanismen müssen überprüft werden. Man muß sich überlegen, wie hält man Menschen länger in Beschäftigung? Ein Angelpunkt des Budgets ist ja auch die Frage der Frühpensionierangen. In Wirklichkeit ist das aber nur ein Punkt. Denn es sagt keiner dazu, daß wir derzeit in großen, halbstaatlichen Unternehmungen regelrechte Frühpensionierungswellen laufen haben. Etwa bei der ÖMV. Eine Hundertschaft von Kollegen wird dort dem Sozialminister überantwortet. Das alles spielt sich zum selben Zeitpunkt ab. Und das ist schon schizophren. Das gilt es einmal darzustellen. Qualität und Kontinuität müssen wieder einen Wert haben. Menschen mit langer Erfahrung müssen länger in Beschäftigung bleiben. Es sollen nicht nur jugendliche, frische Menschen für die Wirtschaft interessant, weil besser ausbeutbar, sein. Das Problem ist nur, daß Umfragen zufolge die Österreicher gern in Früh-pension gehen. Diese Einstellung ist seit Bruno Kreiskys Zeiten, also seit zweieinhalb Jahrzehnten, kontinuierlich gewachsen. Wir müssen die Diskussion in andere Bahnen lenken: Das gilt es auch in den Gewerkschaften klar zu machen. Diese Diskussion führen wir intern zwar bereits seit längerem, aber es gibt noch viel zu viele einzementierte Positionen.

DIEFURCHE: Die Art, wie die Budgetdiskussion in der Regierung geführt wurde, hat doch viel verdorben neugebauer: Daß diese Art der Diskussion nicht zur Nachahmung empfohlen werden kann, ist klar. In Sachen Diskussionskultur könnte die Regierang von der Kirche etwas lernen. Sie sollte nächstes Mal in Klausur gehen und erst wieder herauskommen, wenn der weiße Rauch aufsteigt.

DIEFURCHE: Eine andere Frage: was verstehen Sie heute unter Solidarität? neugebauer: Es geht uns gut, wir gehören zu den wohlhabendsten Staaten. Aber der Wohlstand hat uns auch einen Mangel an Solidarität beschert.

Das merken auch andere große Organisationen wie die Kirchen, die Parteien. Wir haben einen Hang zum Egoismus, und gerade auf die Randgruppen wird dann gerne vergessen. Auf jene zum Beispiel, die zu Schandlöhnen arbeiten müssen und ähnliches. Solche Ungleichheiten, die beseitigbar sind, wie zum Beispiel unterschiedliche Löhne zwischen Männern und Frauen, müssen jetzt besser bekämpft werden.

Dort, wo es Ungleichheiten gibt, die nicht beseitigbar sind, müssen wir die Kraft zur Solidarität aufbringen. Es muß solidarische Hilfe geben. Aber nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern nur mit jenen, die unserer Hilfe wirklich bedürfen. Dieser Umdenkprozeß sollte nicht nur aus Angst vor einem Budgetdesaster entstehen.

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