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Es gab noch nie so viel Sozialismus

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Nach dem Wahldebakel vom 9. Oktober gärt es in der SPÖ. Ex-Klubobmann Sepp Wille im FüRCHE-Gespräch.

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Nach dem Wahldebakel vom 9. Oktober gärt es in der SPÖ. Ex-Klubobmann Sepp Wille im FüRCHE-Gespräch.

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DIEFURCHE: WO sehen Sie die Hauptursache für das schlechte Wahlergebnis der SPÖ?

SEPP WILLE: Ich glaube, daß sich die Koalition miserabel dargestellt hat. Vor allem die mangelnde Geschlossenheit der Regierung hat der Opposition gut getan, zudem wurden gewisse Reformaufgaben zu lange verzögert.

DIEFURCHE: Welche? ' WILLE: Ich bin der Meinung, daß sich die Budgetkonsolidierung derart in den Vordergrund drängt, daß sich jedes Ressort dieser Aufgabe einzuordnen hat. Eine Staatsschuld von 1.200 Milliarden Schilling, trotz Ausgliederung und Verkäufen, ist unvertretbar. Hier sind Entscheidungen fällig, an Sprechblasen hat es nie gefehlt.

DIEFURCHE: Wird ein Sozialabbau zu verhindern sein?

WILLE: Der Sozialabbau wird sicher nicht notwendig sein. Karl Popper sagte: Der Wohlfahrtsstaat ist die größte Erfindung der Menschheit, wir sollten diesen Wohlfahrtsstaat nicht ruinieren. Das heißt nicht, daß man nicht auch bei sozialen Leistungen einsparen kann. Man muß das Notwendige Und Sinnvolle tun und alles Übrige aus dem Budget hinausbringen.

DIEFüRCHE: Die SPÖ hat offen bar viele ihrer Stammwähler aus der Arbeitnehmerschaft verloren., wohl auch wegen der Privilegiendiskussion um die Arbeiterkammer...

WILLE: Freilich gab es die Stammwähler, vor allem in der Arbeiterschaft, aber die SPÖ war dennoch nie eine Arbeiterpartei, sondern eine Partei für Recht, Freiheit und Wohlstand für alle. Die heute aufgeflammte Gehälterdiskussion werden die Parteien und Sozialpartner in Bälde abhaken können. Das größte Versäumnis ist, daß seit mindestens zehn Jahren eine große Pensiorisreform verhindert wurde. Das Flickwerk der Parteien hat die Explosionsgefahr nur vergrößert. Es ist unerträglich, daß der ASVG-Versi- cherte an den besten 15 Jahren gemessen wird und der Beamte und Politiker beim besten Bezug. Hier ist Handlungsbedarf. Wenn man weiß, daß seit 40 Jahren in einer Dekade die Lebenserwartung um zwei Jahre zunimmt, kann man nicht so tun, als könnte man das Pensionsanfallsalter beim derzeitigen Stand belassen.

DIEFüRCHE: Was raten Sie der heutigen sozialdemokratischen Parteiführung?

Wille: Eine konsequente Politik, die glaubwürdig ist, ist einfach unverzichtbar. Wenn wir den Menschen sagen, daß wir in den letzten Jahren über unseren Standard gelebt haben und daß es jetzt darum geht, vieles zu durchforsten und in Ordnung zu bringen und die Regierung glaubwürdig, mit Argumenten auftritt, dann bin ich überzeugt davon, daß die Aufgabe zu schaffen ist. Mehr kann ein Politiker nicht tun.

DIEFÜRCHE: Man spricht von einer Koalition neuen Stils, von einem koalitionsfreien Raum Was halten Sie davon?

WILLE: Da wir zu Verfassungsgesetzen einen weiteren Partner brauchen, ist es sicher sinnvoll, hier flexibler zu sein. Aber wenn die beiden Regierungsparteien nicht mit sehr viel Gespür und Verantwortungsbewußtsein, sondern mit Populismus an diese Frage herangehen und ein Regierungspartner auf Kosten des anderen jeweils einen x-beliebigen Partner sucht, dann wird man scheitern.

DIEFURCHE: Wie bewerten Sie die Zukunftsaussichten der SPO auf einem politischen Markt, auf dem sich immer mehr Bewerber tummeln?

WILLE: Wir hatten noch nie so viel Sozialismus wie heute. Wir haben heute ein Bruttosozialprodukt von rund 2.000 Milliarden Schilling. Aber die öffentlichen Hände geben 1.000 Milliarden Schilling aus. Das heißt, die Staatsausgabenquote liegt bei uns und in einigen anderen hochentwickelten Staaten bei 50 Prozent, der öffentliche Einfluß war noch nie so groß wie heute. Daran wird sich grundsätzlich nichts ändern. Wenn sich mehr Parteien mit vertretbaren Programmen anbieten, wird es zwar schwieriger werden für die Sozialdemokratie, aber es wäre eine absolute Fehlan-nahme, daß die Sozialdemokratie bei einem Drittel der Wähler stehenbleiben müßte. Wenn sie weiter absacken sollte, wäre das ein arges Versagen ihrer Führer.

Mit Sepp Wille sprach Heiner Boberski

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