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Nicht treiben lassen, sondern selber steuern!

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Eine Gegenmacht gegen die Marktkräfte muß die moderne Sozialdemokratie bilden, sagt Ex-Außenminister Jankowitsch.

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Eine Gegenmacht gegen die Marktkräfte muß die moderne Sozialdemokratie bilden, sagt Ex-Außenminister Jankowitsch.

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DIEFURCHE: Die momentane Regierungskrise mit der Aussicht auf baldige Neuwahlen ist doch auch auf die Schwäche der . Sozialdemokratie zurückzuführen?

Peter Jankowitsch: Es ist weniger die Schwäche der Sozialdemokratie denn ein neues politisches Klima in Österreich mit mehr politischen Akteuren auf der Bühne, das natürlich die Arbeit der jeweiligen Regierung beeinträchtigt beziehungsweise schwieriger macht. Was wir erleben, ist der Wechsel vom Zwei-Parteien-System zu einem Mehrparteiensystem mit einer stärker pluralistischen, auch stärker durch Interessen gespaltenen Gesellschaft. Das fordert natürlich von jeder Partei, auch von den großen traditionellen Parteien, eine neue Standortbestimmung: Wen vertreten wir eigentlich, was ist unser Standort in der Gesellschaft? Daraus sind Konseguenzen zu ziehen. Man kann Österreich nicht mehr regieren wie 1945,1955 und so weiter. Es ist eine grundlegend neue Situation.

DIEFURCHE: Hat das die österreichische Sozialdemokratie Ihrer Meinung nach schon begriffen* Peter Jankowitsch: In einigen Sektoren sicherlich; in anderen ist sicher eine Partei, die über 100 Jahre alt ist, natürlich zum Teil Traditionen verhaftet, die man überprüfen müßte -zum Beispiel: Wer sind heute die Arbeitnehmer, wie ist heute deren Einstellung?

DIEFURCHE: ... angesichts einer An-gleichung von Arbeitern und Angestellten überhaupt

Peter Jankowitsch: Ich habe mich neulich mit dem Bürgermeister von Graz unterhalten, der einer der progressivsten und sensibelsten Sozialdemokraten ist. In Graz sind sechs oder sieben Prozent Arbeiter im klassischen Sinn, aber dem stehen 40.000 Studenten gegenüber. Das heißt, die Wissensgesellschaft ist auch in Österreich sehr stark. Das erfordert natürlich auch für die Sozialdemokratische Partei ein neues Profil und neue Schwerpunkte. Mit einer gewissen Schonung der Funktionäre, die auf alte Traditionen eingeschworen sind, muß man die Partei vorbereiten auf neue, wesentlich schwierigere Zeiten.

DIEFURCHE: Wofür muß die neue Sozialdemokratie stehen*

Peter Jankowitsch: Sie steht sicher nach wie vor da als eine jener Kräfte, die den Begriff des Staates und des öffentlichen Sektors neu definieren, die sich um einen Ausgleich bemühen zwischen Marktkräften und dem Staat, die nicht bedingungslos alle Funktionen der Gesellschaft irgendwelchen Marktkräften überantworten. Nach wie vor wird die Sozialdemokratie eine gewisse Architektur der Gesellschaft betreiben, das heißt, sie wird bewußt versuchen, sich jetzt nicht von Marktkräften treiben zu lassen, in dem Sinn, daß sozusagen die Gestaltungskraft verschwunden ist, weil jetzt alles mit Computern und elektronisch funktioniert. Die Sozialdemokratie muß versuchen, eine Gegenmacht zu bilden. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben ist heute, eine national und international kontrollierende Gegenmacht zu sehr starken, aus der industriellen Bevolution, aus der Informationsgesellschaft kommenden Kräften zu schaffen, die uns alle treiben. Man muß versuchen, hier zu steuern, in der Gesellschaft eine gestaltende Kraft zu bleiben.

DIEFURCHE: Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich als sozialdemokratischer Vertreter Österreichs bei der OECD gemacht? Peter Jankowitsch: Meine große Sorge ist heute der Verlust des Multilateralismus, auch eine durch dieselben Kräfte ausgelöste Schwäche der traditionellen internationalen Organisationen. Die heutige Weltgesellschaft braucht überstaatliche Steuerungsmechanismen, die zum Teil heute im Bereich der EU liegen, irrl

Weltmaßstab etwa bei der OECD, die ja eine globale Organisation ist; aber hier stößt man immer wieder an die Grenzen des Steuerbaren, zum anderen auf eine sehr starke Re-Ideologisierung, wobei allerdings die Ideen heute, das ist eines der Probleme der Sozialdemokratie, zum Teil aus dem ultra-liberalen, zum Teil aus dem orthodox-liberalen Lager kommen, die besagen, man brauche nichts zu machen, wir brauchen uns nur zurücklehnen und schauen, was die internationalen Finanzmärkte machen; der Markt bestimmt, ob eine Regierung verläßlich ist, ob sie mit genügend Stabilität ausgestattet ist; diese Beurteilung kann man doch nicht dem Markt überlassen! Hier braucht man starke internationale Organisationen oder - wie ich es nennen würde - einen neuen Multilateralismus, wo man Verantwortliche aus den wichtigsten Akteuren, nicht mehr allein aus Europa, sondern aus Nordamerika, zum Teil aus dem ostasiatischen Baum, zusammenspannt und sagt, o.k., wir freuen uns sehr über diese neue Dynamik, aber sie muß sich mit einer gewissen sozialen und ökologischen Sensibilität vollziehen. Das ist zum Teil noch nicht der Fall.

DIEFURCHE: Der Sozialdemokratie scheint die internationale Solidarität abhanden gekommen zu sein Es gibt auch keine großen Führungsgestalten mehr, die hier etwas vorgeben

Peter Jankowitsch: Wir stehen natürlich auch mitten in einem Generationenwechsel. Unsere großen Orientierungspersonen waren- Kreis-ky, Palme, Brandt. Jetzt ist die Herausforderung nicht nur an die unmittelbaren Nachfolger gerichtet, sondern an die Enkel, daß sich hier neue Führungspersönlichkeiten finden.

Dabei muß ich sagen, daß ich sehr beeindruckt war vom Auftreten Brigitte Ederers am Parteitag, die in einer sehr volkstümlichen, aber sehr modernen Sprache die Probleme anspricht. Solche Persönlichkeiten müssen in der Sozialdemokratie gefördert werden, das sind vermutlich die Führungsgestalten der Zukunft. Die gibt es wahrscheinlich auch in Frankreich, wo heute oder morgen ein Führungswechsel bei den Sozialdemokraten stattfindet mit Lionel Jospin, der ein moderner Führer ist, Tony Blair in Großbritannien.

Es gibt einen Generationenwechsel, und ich sehe die große Chance der Sozialdemokratie, diesen Generationenwechsel auf eine vernünftige und menschliche Art zu vollziehen und hier diese neuen Persönlichkeiten hervorzubringen.

Die Talente sind da, man muß sie nur ins Spiel bringen. Bei Brigitte Ederer ist es ja gelungen.

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