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„Ich stehe nicht für einen Nachtwächterstaat"

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FURCHE: Warum ist schon wieder eine Reform der Besteuerung notwendig? Wurden bei der ersten Steuerreform 1989 nicht „Nägel mit Köpfen " gemacht?

FTNANZMTNISTER FERDINAND LACINA: Was wir jetzt vorbereiten, ist wieder eine Anpassung bei der Lohn- und Einkommensteuer. Über diese Anpassung hinaus wollen wir auch zu einer Entlastung der unteren Einkommen kommen. Dann aber auch zu einer Vereinfachung. Denn es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die wahrscheinlich den einzelnen Staatsbürger gar nicht so sehr interessieren, die ihn aber - wenn er davon betroffen ist - ärgern. Wir haben beispielsweise ein sehr verworrenes Gebührensystem, das wir übersichtlicher machen wollen. Weiters ist die Frage, ob uns ein größerer Wurf auf dem Gebiet der Unternehmensbesteuerung gelingt. Hier habe ich schon vor geraumer Zeit vorgeschlagen, dieses komplizierte Netzwerk aus Lohnsummen- und Gewerbesteuer - vielleicht auch andere Abgaben bis hin zur Vermögenssteuer - zu durchbrechen und mit einer Kommunalabgabe herauszukommen. Eine solche sichert erstens die Gemeindefinanzen, und zweitens sichert sie auch, daß derjenige, der wirtschaftliche Aktivität auf seinem Gemeindegebiet zuläßt, auch einen entsprechenden Gegenwert dafür erhält. Denn wir haben immer mehr das Problem, daß die Bürger bei wirtschaftlichen Aktivitäten das Gefühl der Belästigung haben. Es hat da übrigens die Forderung gegeben, die Gewerbesteuer abzuschaffen; dann kommt man aber in die Situation, daß allmählich auch die Gemeinden das Gefühl haben, das Geld kommt vom Staat genauso wie der Strom aus der Steckdose kommt...

Das wäre so die Gesamtpalette an Maßnahmen, die im Rahmen der zweiten Etappe der Steuerreform zur Diskussion stehen. Das wird sicherlich dazu führen, daß eine Reihe von Gruppen ihre persönlichen oder lange gehüteten Vorrechte oder Sonderstellungen als gefährdet ansehen. Ich glaube, es ist vernünftig, den eingeschlagenen Weg weiter zu gehen und eher zu einer Verbreiterung der Steuerbasis mit relativ niedrigen Tarifen zu kommen; das ist letzten Endes auch sozial gerechter.

FURCHE: Im Frühjahr hat Ihr Ministerium eine Umfrage gemacht, derzufolge mehr als die Hälfte der Österreicher von der Steuerreform noch nichts gehört hat beziehungsweise damit nichts anfangen konnte. Findet politische Willensbildung in Ihrem Minsterium überhaupt mit den Betroffenen statt, oder ist sie ohnehin nur Kabinettspolitik?

LACINA: Ich halte es nicht für verwunderlich, daß konkrete Antworten zur Steuerreform von einer Mehrheit der Bevölkerung nicht gegeben werden können. Ein guter Teil der Steuerreform-Arbeit setzt ein hohes Maß an Spezialkenntnissen voraus.

Ich möchte nicht sagen, daß niemand an einer Reform der Unternehmensbesteuerung interessiert ist, aber das bewegt wirklich nur kleine Teile der Bevölkerung. Die Frage der Vermögenssteuer interessiert neben den Lobbies vor allem diejenigen Unternehmen, die an die Börse gehen wollen. Die Fragen der Vereinfachung der Verrechnung interessieren vor allem Lohnverrechner beziehungsweise Wirtschaftsprüfer. Der einzelne Lohnsteuerzahler kennt eigentlich die Schwierigkeiten gar nicht, die sich bei der Verrechnung seiner Lohnsteuer ergeben. Daher meine ich, daß der Bürger nur an einer periodisch wiederkehrenden Senkung der Lohn-und Einkommensteuer interessiert ist. Und diese Senkung ist einfach deshalb notwendig, weil in einem progressiven Steuersystem mit steigendem Einkommen beziehungsweise mit einem

Verlust des Geldwertes solche generellen Anpassungen alle fünf, sechs Jahre eintreten sollen und müssen. Aber das ist keine wirkliche Steuerreform.

FURCHE: Was sind bereits fixe Punkte, was ist umstritten? Wo werden am deut Heilsten Korrekturen sichtbar?

LACINA: Ein Fixpunkt ist für mich die Steuerfreiheit für Einkommen bis zu lO.OOOSchilling. Wer unter 10.000 Schilling verdient, soll nicht - wie bisher - durch die Erhöhung der Sozialbeiträge in Wirklichkeit eine Mehrbelastung auferlegt bekommen. Es gibt technisch verschiedene Mög-

lichkeiten, dieses Problem zu lösen. Das gelänge mit Ausgleichszahlungen oder mit der Nicht-Abzugsfähigkeit von Sozialabgaben, die natürlich über den Tarif ausgeglichen wird. Es gibt auch die Möglichkeit, das im Sozialversicherungsrecht selbst zu lösen. Ich glaube, es ist für keine politische Gruppierung, wie immer sie heißt, akzeptabel zu sagen, wir wollen die Einkommen unter 10.000 Schilling entlasten und dann zeigt einem der Betroffene mit einem Einkommen von unter 10.000 Schilling oder bei 10.000 Schilling, daß er nicht entlastet worden ist, sondern mehr zahlt. Er zahlt zwar keine Steuern, er zahlt aber mehr an Sozialabgaben.

FURCHE: Die Einführung einer „Negativsteuer" war hier das große Reizwort, jetzt ist von einem „Steuerbonus" die Rede.

LACINA: Wenn man zu einer realen Entlastung der Einkommen unter 10.000 Schilling kommen will, dann ist die „Negativsteuer" eine der Möglichkeiten, und wahrscheinlich sogar die beste Möglichkeit, zu diesem Ziel zu kommen. Natürlich hat es dann alle möglichen Vorwürfe gegeben, daß ich hier umverteile. Dazu bekenne ich mich gerne, denn das ist ja eine der Zielsetzungen für staatliche Aktivität überhaupt. Ich habe nie verhehlt, daß ich nicht für einen Nachtwächterstaat stehe, dessen Aufgaben nur innere und äußere Sicherheit sind, der nur • dafür da ist, daß das Eigentum geschützt wird, und daß fremde Armeen nicht einmarschieren. Für mich ist das Budget - bei der Größenordnung die es hat - auch ein Instrument, um von einer Einkommensverteilung, wie sie sich am Markt bildet, zu einer Einkommensverteilung zu kommen, die in Wirklichkeit die reine Marktwirtschaft für die Menschen überhaupt erträglich macht.

Das gilt für staatliche Ausgaben wie für staatliche Einnahmen. Das Lustige ist ja, daß mir ausgerechnet jene Umverteilungswünsche vorwerfen, die selbst die größten Umverteilungswünsche haben. Wer zum Beispiel eine Entlastung von Unternehmungen verlangt, verlangt nichts anderes als eine Umverteilung. Aber so ist es eben. Das Wort „Negativsteuer" war in diesem Zusammenhang mißverständlich; jetzt sprechen wir halt von „Steuerbonus".

FURCHE: Wie wird die geplante Erhöhung derZinsenbesteuerung ausfallen? Welche Änderung wird es bei den Steuertarifen geben?

LACINA: Es ist noch zu früh, darüber zu diskutieren, wie hoch eine Kapitalertragsteuer sein könnte. Man weiß ja noch nicht einmal, wann sie eingeführt wird. Genauso verfehlt wäre es, jetzt über Steuersätze zu sprechen.

Ich glaube, daß bei der Einkommensteuer ein Spitzensteuersatz von 50 Prozent erträglich ist. Ich habe die Forderung der ÖVP - und dort ja wieder nur die des Wirtschaftsbundes - vernommen, den Spitzensteuersatz zu senken. Das ist ja eher eine optische Maßnahme, als sie tatsächlich etwas bringt.

Ich glaube, daß es auf andere Dinge ankommt. Auf einen Tarif etwa, der sozial verträglich ist. Und das ist nicht eine Frage der Spitzensteuersätze oder der Unternehmensbesteuerung, sondern der Besteuerung der breiten Masse der Bevölkerung

FURCHE: Es hat immer geheißen, die Reform wird mit 1. Jänner 1993 in Kraft treten. Verzögern Sie jetzt aus wahltaktischen Überlegungen?

LACINA: Es war nie ein fixer Zeitpunkt angekündigt, sondern es hat immer nur Wünsche und Forderungen gegeben. Wir haben immer gesagt, daß wir den Reformzeitpunkt dann ansetzen werden, wenn eine Mehrbelastung droht. Das heißt, eine Mehrbelastung, die über der des Jahres 1986 liegt. Nach unseren Berechnungen ist das Anfang 1994 der Fall. Ich sehe also nicht, daß die zweite Etappe der Steuerreform zum 1. Jänner 1993 richtig und notwendig ist. Das heißt nicht, daß man nicht die eine oder andere Maßnahme vorzieh-ne kann, insbesondere in Richtung Vereinfachung.

Wie bei der ersten Etappe der Steuerreform, haben wir im Finanzministerium in aller Ruhe die Unterlagen vorbereitet. Diese erlauben uns, aufgrund einer doch ziemlich umfassenden Erhebung sagen zu können, welche Veränderungen in der Struktur der Lohn- und Einkommenbesteuerung welche Auswirkungen auf welche Einkommensgruppen haben. Diese Erhebungen liegen jetzt weitgehend vor, so daß man die Diskussion beginnen kann. Wir haben uns auch diesmal das Ziel gesteckt, daß 95 Prozent der Österreicher Vorteile aus der Steuerreform haben werden.

FURCHE: Bleibt die Besteuerung des 13. und 14. Gehaltes ein Tabu?

LACINA: Bei den sonstigen Bezügen, also auch dabei, haben wir keine Änderung geplant.

FURCHE: Ein weiterer wichtiger Punkt ist ein neuer Finanzausgleich zwischen dem Bund sowie den Ländern und Gemeinden. Wer Geld ausgibt, soll es auch einnehmen, ist die Devise. Das klingt gut. Ist es aber auch machbar?

LACINA: Der Bund hat darauf hingewiesen, daß Verantwortung für Leistungen und Finanzierung in einem stärkeren Ausmaß zusammenfallen müssen. Wir kämpfen gegen einen Föderalismus mit doppeltem Boden, der zwar sagt, die Länder wollen für das oder jenes mehr anZuständigkeiten, aber das Geld holen sie sich dafür vom Bund.

Etwa bei der Diskussion mit den Lehrern: Es geht uns nicht um Einsparungen, sondern darum, daß nicht ein Land selbstherrlich von sich aus entscheiden kann, daß prinzipiell jeder Lehrer mit 55 Jahren ohne amtsärztliche Bestätigung in Pension gehen kann, weil der Bund das ohnehin zahlt. Oder, daß in einer Hauptschule an einem Standort zwei Direktoren da sind, weil es sowieso der Bund zahlt.

FURCHE: Gerade in dieser Frage haben Sie doch kürzlich ein eindeutiges Nein erhalten.

LACINA: Dieses Nein wird von mir nicht akzeptiert. Es kann nicht sein, daß die Länder allein bestimmen, wie der Finanzausgleich aus-

sieht. Hier gibt es zwei Partner: wenn der eine Nein sagt, und der andere besteht darauf, dann wird man sich füglich wieder zusammensetzen müssen. Es steht hier nicht neun zu eins, sondern da werden die Länder zu einem Kompromiß mit dem Bund kommen müssen.

Wenn sie das nicht wollen, dann wird es zu einem Finanzausgleich kommen, der das erste Mal seit 1945 den Ländern aufgezwungen wird. Dazu habe ich die rechtliche Basis. Der Bund hat sich immer kompromißbereit gezeigt, aber wenn die Länder prinzipiell ihre Beamten und sich selbst besser bezahlen, darüberhinaus ihre Schulden abbauen können und dann auch noch glauben, alle Lasten auf den Bund abwälzen zu können, dann werden wir die Zukunft nicht bewältigen können.

Ich glaube aber, daß wir da sicherlich zu einer Kompromißentscheidung kommen können.

FURCHE: Haben Sie als sozialdemokratischer Finanzminister überhaupt noch Raum für die Verwirklichung von gesellschaftspolitischen Anliegen? Oder sind Sie ohnehin nur mehr Makler zwischen den Wünschen der Kollegen und den Erfordernissen, das Budget zu stabilisieren? .'

LACINA: Es wäre illusionär zu sagen, hier sitzt ein Sozialdemokrat als Finanzminister und der macht alles lOOprozentig anders, als es einer von der ÖVP machen würde. Es ist ja auch nicht so, daß diese beiden Parteien so grundsätzlich verschiedene gesellschaftliche Konzepte vertreten. Warum setzt sich überhaupt ein Sozialdemokrat dafür ein, daß im öffentlichen Sektor gespart wird? Warum weist er kritisch auf diese oder jene Maßnahme hin, an deren Berechtigung man zweifeln kann? Unter anderem wohl auch deshalb, weil die Funktionsfähigkeit des Staates für die so-

zial weniger begüterten Schichten, für die Älteren, für die Jungen, die in Ausbildung sind und überhaupt für die Schwächeren wichtiger als für die, die ohnehin ganz gut leben. Die brauchen den Staat weniger.

Es gibt für mich eine Angstvorstellung: Wenn die Defizite ausufern, dann muß es es zu radikalen Sanierungen kommen. Bis jetzt haben wir ja keine solche Budgetsanierung durchgeführt, sondern wir haben Schritt für Schritt das Budgetdefizit zurückgenommen und das ist verträglich mit dem wirtschaftlichen Wachstum, mit einer doch relativ guten Beschäftigungslage, mit dem Verhindern des Entstehens einer Zwei-Drittel-Gesellschaft, während wir rundherum in der westlichen Welt andere Beispiele sehen können wie die Vereinigten Staaten oder Großbritannien.

FURCHE: Die SPÖ diskutiert bereits ein neues Parteiprogramm; was bleibt Ihrer Meinung nach überhaupt vom Sozialismus? Was muß bleiben?

LACINA: Der Stellenwert eines Parteiprogramms ist meistens nicht der, daß ein für allemal Wahrheiten festgelegt werden. Der Sinn einer Programmdiskussion ist die Standortbestimmung und die Anwendung der Grundwerte an die jeweilige Situation. Ob man das als Aktionsprogramm oder als neues Grundsatzprogramm diskutiert, ist ziemlich egal. Es ist sicherlich so, daß die ursprünglichen Forderungen der Sozialdemokratie auf nationaler Ebene erfüllt sind. Die Frage

für heute und morgen ist die, wie kommen wir zu einer internationalen Solidarität und zu einem internationalen Gesellschaftsmodell? Ein Modell, das sowohl die Lebensstandards der Menschen insbesondere in der Dritten Welt, als auch die Umweltstandards einigermaßen befriedigend lösen kann. Das scheint mir ein Problem zu sein, auf das keine politische Gruppierung und niemand heute befriedigende Antworten geben kann. Die Diskussion über die Entwicklungshilfe steckt auch in der Krise.

Was die Entwicklung der Gesellschaft betrifft, so wir haben durch die konservative Welle, die von Amerika und von Großbritannien ausgegangen ist, zweifellos eine starke Tendenz der Entsolidarisierung bekommen. Heute kann man nicht mehr damit rechnen, daß festgefügte soziale Gruppen vorhanden sind, die ihre Interessen vertreten, sondern daß wir neue Inhalte für gesellschaftliche Solidarität brauchen. Das scheint mir eine der Hauptfragen zu sein.

Es stehen heute nicht mehr so sehr die wirtschaftspolitischen Fragen im Vordergrund. Es ist ja zum Beispiel die Arbeitslosigkeit nicht mehr in erster Linie ein wirtschaftliches Problem, sondern die Frage ist, wie die Gesellschaft mit Menschen umgeht, die älter geworden oder arbeitslos sind. Da fehlt es uns zum Teil noch an Instrumenten, zum Teil noch an Ideen.

Für mich ist eine Programmdiskussion eigentlich wichtiger als das Endprodukt. Aber da sind wir aufgerufen, nicht letzte Antworten zu geben, sondern einen Diskussionsbeitrag zu leisten und für gesellschaftliche Entwicklung offen zu sein; auch für die Ideen anderer.

Ein künftiges sozialdemokratisches Modell wird weniger ein geschlossenes Weltbild sein, sondern eher der Versuch, für mittelfristige Probleme eine Antwort zu geben.

Man sollte auch den Mut haben, zu sagen, daß es dann bestimmte Bereiche gibt, in denen wir eigentlich noch keine Antwort kennen.

Das Gesprächm mit FinanzministerLacina führte Elfi Thiemer.

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