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Wo heute viel Geld davonrinnt

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Ist der Staatssäckel leer, sollte der Bürger dafür Verständnis haben, daß energisch gegen „Pfusch” und „Schwarzarbeit” vorgegangen wird.

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Ist der Staatssäckel leer, sollte der Bürger dafür Verständnis haben, daß energisch gegen „Pfusch” und „Schwarzarbeit” vorgegangen wird.

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Es ist stets lohnend, Betrachtungen darüber anzustellen, wieviel von der Politik angewandte Psychologie ist (oder sein sollte). Dabei müssen wir nicht so sehr an leicht verständliche Vorgänge der Beeinflussung denken, wie sie etwa bei Fernsehauftritten oder Reden vor Massenversammlungen geschehen. Viel stärker und vor allem nachhaltiger wirkt, wie Menschen politische Entscheidungen beurteilen, die getroffen wurden. Ein sehr anschauliches Beispiel dafür ist jetzt das Reagieren der steuerzahlenden Bevölkerung auf die Bemühungen, den Staatshaushalt durch spektakuläre Ausgabenkürzungen wieder in Ordnung zu bringen.

Zunächst müssen wir in diesem Zusammenhang bedenken, daß es im Gegensatz zu verbreiteten Auffassungen ein doch stark ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden in be-zug darauf gibt, was der Staat dem einzelnen geben und was er nehmen soll. Wie etwa Professor Friedrich Schneider von der Universität Linz vergangenes Jahr in einer breit angelegten Studie darlegte, handelt der Steuerpflichtige keineswegs nur von der simplen Absicht geleitet, seine Abgabenlast unter Einsatz aller (erlaubten und unerlaubten) Mittel zu reduzieren und sich davon auch möglichst viel wieder zurückzuholen. Es besteht ein doch recht ausgeprägtes Gefühl dafür, daß jeder seinen Beitrag zu den Gemeinschaftsaufgaben leisten muß.

Dieses Bewußtsein wird aber ganz entscheidend davon beeinflußt, ob man wohl davon ausgehen kann, daß die Einhebung der Steuern gleichmäßig und deren Verwendung sinnvoll, also sparsam geschieht. Ist dies nicht der Fall, entsteht Steuerwiderstand. Dann werden Hinterziehungen aller Art als gerechtfertigt betrachtet, weil uns der Staat „zu Unrecht” belastet.

Die von Gewerkschaften und Sozialdemokraten anläßlich des Sparpakets geforderte Abgabenerhöhung für Besserverdienende („Solidaritätsbeitrag”) löste bekanntlich sowohl Zustimmung als auch politisch und ökonomisch begründeten Widerspruch aus. Es waren dazu aber auch manche Meinungen aus dem Kreis derer zu hören, die man zur Kassa bitten wollte. Aussagen, die man nicht mit Meinungsumfragen, sondern nur durch Motivforschung erfassen könnte und die auf die Feststellung hinauslaufen, „man wäre schon bereit, mehr Steuern zu zahlen, wenn man wirklich wüßte, daß gut gehaushaltet wird”. Diesen Standpunkt sollte man sehr ernst nehmen.

Eine wesentliche und viel zu wenig beachtete Wirkung hat das Wissen über den Entgang von Einnahmen durch den „schwarzen” Sektor der Wirtschaft. Diese Dinge werden meist unter den Teppich gekehrt, obwohl sie ein ständiges Ärgernis derer sind, die redliche Steuerzahler sein wollen oder sein müssen. Werden Lasten erhöht, verschärft sich zwangsläufig die Ungerechtigkeit, die darin liegt, daß die Ehrlichen für die Verweigerung der anderen mitzahlen müssen. Dabei geht es um Beträge, die durchaus ins Gewicht fallen.

Obwohl wir naturgemäß nur über Schätzungen verfügen, geben diese immerhin an, daß etwa sieben Prozent (!) des Bruttoinlandsproduktes abseits der Abgabenerfassung erwirtschaftet werden. Rund ein Zehntel der Erwerbsfähigen verdient inoffiziell Einkommen (dazu). Der Entfall an Beiträgen und Steuern wird mit mindestens 17 Milliarden beziffert. Er liegt aber in Summe sicher erheblich höher und in Größenordnungen, die bei Sanierungsabsichten sehr wohl ins Gewicht fallen.

Der eingebrachte Vorschlag, neben Einsparungen auch Steuererhöhungen vorzunehmen, damit niemand ungeschoren bleibe, kann daher nicht nur unter hehren Gesichtspunkten gerechter Umverteilung betrachtet werden. Er weist eine beachtliche politische, weil eben psychologische Brisanz auf. Höherverdienende sind zu einem großen Teil Menschen, die an den Schalthebeln der Wirtschaft und öffentlichen Meinung sitzen. Die Erzeugung oder

Verstärkung des Gefühls, man werde als Geisel politischen Versagens genommen, läßt also viel mehr Schaden befürchten, als der eher bescheidene Gewinn einer zusätzlichen Abschöpfung großer Einkommen ausmachen würde.

Die Betroffenen könnten eine höchst bedrohliche Klimaveränderung in Sachen Abgabenwiderstand auslösen, die unserem Staat schweren Schaden zufügen würde. Am Ende stünden womöglich italienische Zustände mit einer total gespaltenen Wirtschaft, ungeordneten Verhältnissen und dem Verlust jedes Gemeinsinns. Wo jeder nur mehr danach sieht, wie er den Staat betrügen kann.

Zum Glück ist es bei uns noch nicht so weit. Die Menschen haben durchaus Verständnis dafür, daß der Gürtel enger geschnallt werden muß. Es war aber sicher ein Versäumnis, daß man das Sparpaket nicht mit einer Offensive gegen das Wuchern der Schattenwirtschaft verbunden hat. Jedermann weiß ja, wie unzulänglich derzeit die Instrumente zur Erfassung von Schwarzarbeit und Pfusch sind. Arbeitsinspektorate, Arbeitsämter, Finanzbenörden und Krankenkassen kontrollieren nicht in energischem Zusammenwirken. Die Verhängung von Strafen erfolgt oft nachlässig und zu milde.

Man müßte also heute der Bevölkerung das Gefühl geben, daß große Gruppen nicht nur Kürzungen hinnehmen müssen, sondern daß wirklich Ordnung in den Staatsfinanzen gemacht wird. Daß man mit konsequentem Bemühen jene zahlreichen Lücken aufspüren und schließen will, durch die heute in Summe sehr viel Geld davonrinnt.

Unter dieser Voraussetzung kann man bei den Österreichern sicher Solidarität einfordern. Sie bejahen ja (noch) diesen Staat und seine Gesellschaftsordnung. Die Erhöhung von Abgaben ohne die Vermittlung des Bewußtseins, daß man Lasten und Wohltaten wirklich gerecht verteilt, müßte aber einen Teufelskreis in Bewegung setzen. Eine Solidarität mit Schlamperei und Versäumnissen ist sicher nicht zu erwarten. Sie würde verweigert, egal, welche Gesetze man beschließt. Denn ohne die Zustimmung seiner Bürger ist, wie uns der Blick über manche Grenzen lehrt, der Staat letzten Endes machtlos, denn er ist im Kampf gegen unwillige Steuerzahler meist der Schwächere.

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