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Und woher die Mittel?

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Wenn man in Oesterreich von so vielen Seiten die Einführung eines gerechten Ausgleichs der Familienlasten verlangt, so dürfte es wahrscheinlich keinen verantwortlichen Politiker geben, dessen Hauptsorge sich nicht in erster Linie der Frage „Woher die Mittel?“ zuwenden wird. Und so wird der Familienlastenausgleich mit der Frage der Aufbringung der Mittel stehen oder fallen.

Bevor im einzelnen versucht werden soll, Wege zur Aufbringung der Mittel zu zeigen, müssen zwei Grundsätze vorangestellt werben, nämlich ein fiskalischer und ein familienpolitischer:

1. Vom Standpunkt eines ausgeglichenen Staatshaushaltes aus gesehen muß nämlich jede Ausgabenerhöhung durch gleichzeitige Einnahmenerhöhung gedeckt werden, was

soviel bedeuten würde, als die Wirtschaft mit neuen Steuern zu belasten. Schon im Interesse der Stabilität der Preise und der Währung wäre es derzeit unerwünscht, die Produktionskosten der Wirtschaft durch eine neue Abgabe zu erhöhen.

2. Vom Standpunkt der Familienpolitik darf ein echter „Lastenausgleich“ nicht darin bestehen, daß die Träger der Lasten unter sich die Lasten ausgleichen, sondern daß jene, die keine Lasten zu tragen haben, denen etwas beisteuern, welche die Familienlasten zu tragen haben. Mit anderen Worten: Eine Regelung, wonach die Empfänger von Kinderbeihilfen auch gleichzeitig die Zahler zum Aufbringen der Mittel sein sollen, kann nicht der Sinn eines wirklichen „Ausgleiches“ sein.

Diese beiden Grundsätze sind leicht miteinander vereinbar und führen sogar zwangsläufig zum gleichen Resultat, wenn man nur die Konsequenz aufbringt, steuerliche Leistungsfähigkeit und soziale Hilfsbedürftigkeit säuberlich zu trennen und auseinanderzuhalten.

An diesen beiden Grundsätzen lassen sich leicht die Fehler des gegenwärtigen Kinderbeihilfengesetzes ablesen. Einerseits belastet die gegenwärtige Mittelaufbringung mit sechs Prozent die Lohnquote in der Wirtschaft und wirkt preistreibend. Dadurch verstößt diese Regelung nicht nuf gegen den Grundsatz, daß die Produktion nicht belastet werden sollte, sondern sie macht die Konsumenten zu Zahlern des Kinderbeihilfenausgleichsfonds.

Um diese Fehler zu vermeiden, darf die Beitragsaufbringung unter keinen Umständen Produktionskosten belasten, sondern kann sich nur auf dem Feld der Einkommensteuer (Lohnsteuer) vollziehen. Nur das reine Einkommen, nach Abzug aller Betriebs- und Sonderausgaben, bietet die Möglichkeit zu einem echten Ausgleich zwischen wirtschaftlicher Le i-stungsfähigkeit und sozialer Hilfsbedürftigkeit.

Soll dann also die Einkommensteuer der Kinderlosen erhöht werden? Denn wenn gleichzeitig — wie aus familienpolitischen Gründen gefordert werden muß — die maßlose Ueberbesteuerung der Familien auf ein tragbares Maß abgebaut werden soll, dann bliebe nur die Einkommensteuer der Ledigen und Kinderlosen als Aufbringungsquelle übrig. Aber so starr darf diese Konsequenz auch wiederum nicht gezogen werden, weil sie sonst zu ungerechter Verteilung von Aufbringung und Beihilfen führen müßte. Sollte etwa ein gutbezahlter Prokurist mit 10.000 S Monatseinkommen zu den Beihilfenempfängern gehören, weil er vier Kinder hat, während seine ledige Hausgehilfin mit 800 S Monatseinkommen zum zahlenden Kreis zu rechnen wäre? Nein, denn das würde jeder als ungerecht empfinden; dem Prokuristen trägt es ja immerhin trotz der vier Kinder noch ein monatliches Einkommen von 1666 S pro Person, also mehr als das Doppelte seiner Hausgehilfin. Daher brauchen wir schon ein verfeinertes System für die gerechte Mittelaufbringung, als es die starre Scheidung zwischen Kinderlosen und Kinderfamilien wäre. Und dieses verfeinerte Svstem

ergibt sich ganz von selbst, wenn bei der Einkommensteuer und bei der Kinderbeihilfe die Leistungsfähigkeit und Bedürftigkeit nach dem Pro-Kopf-Einkommen gemessen wird. Denn dann gehört der im Beispiel erwähnte Einkommensempfänger von monatlich 10.000 S nicht zu den Empfängern von Beihilfen, weil ja sein Einkommen — auch pro Kopf gemessen — das Existenzminimum übersteigt. Er gehört vielmehr zu den Zahlern, denn er ist mit einem monatlichen Pro-Kopf-Einkommen von 1666 S steuerlich ganz beträchtlich leistungsfähig.

Wenn die Mittel zum Familienlastenausgleich aus der Einkommensteuer aufgebracht werden, dann zahlen wir zwar alle in gleicher . Weise mit, auch die kinderreichen Familien, wenn ihr Einkommen die steuerpflichtige Höhe erreicht. Aber jeder zahlt nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, und das ist gerecht und tragbar.

Das Einkommensteueraufkommen in Oesterreich (einschließlich Lohnsteuer und Körperschaftssteuer) wäre hiefür auch genügend groß, wenn die Ausfälle, die durch unbegründete Steuerermäßigungen in den letzten Jahren geschaffen oder vergrößert worden sind, abgebaut werden. Als erster ist der jährliche Ausfall zu nennen, der vermieden würde, wenn die Ledigen mindestens zu jener Belastung herangezogen werden, die sie noch im Jahre 1945 prozentmäßig tragen mußten. Wäre dies denn eine gar zu große Zumutung an die Ledigen, nachdem man den Familienerhaltern schon seit mehreren Jahren ein Mehrfaches davon zugemutet hat? Durch die steuerliche Besserstellung der Ledigen entsteht dem Staat gegenwärtig ein jährlicher Steuerausfall von schätzungsweise 360 Millionen Schilling, nämlich durchschnittlich jährlich 300 S für 1,200.000 ledige Einkommensempfänger.

Auch aus der Besteuerung der Höchstein-kommensempfänger (von 200.000 S jährlich aufwärts) nimmt der Staat im Vergleich zu ihrer steuerlichen Belastung von 1945 einen Steuerausfall von mindestens 122 Millionen Schilling hin, weil der Einkommensteuerhöchstsatz von 67 auf 56 Prozent gesenkt wurde.

Einen weiteren Steuerausfall (schätzungsweise 614 Millionen Schilling) erleidet der Staat durch die steuerlichen Sonderbegünstigungen doppelt verdienender Ehepaare, weil ihre Besteuerung weit unter der liegt, die ein kinderlos verheirateter Verdiener zu tragen hat, wenn er das gleichhohe Einkommen für beide Ehepartner allein schafft, das bei den Doppelverdienern beide Eheleute zusammen erreichen.

Nun denken wir noch daran, daß seit 1. Jänner dieses Jahres die Investitionsbegünstigung weggefallen ist. Sie dürfte im Jahre 1952 bei der veranlagten Einkommensteuer und Körperschaftssteuer einen Ausfall von schätzungsweise 777 Millionen Schilling verursacht haben.

Bei dieser Aufzählung muß unbedingt auch auf die gegenwärtig in den Zeitungen viel diskutierten Einsparungen bei den Besatzungskosten, die mit 500 bis 600 Millionen Schilling genannt werden, gegriffen werden. Die Einhebung des Besatzungskostenbeitrages aufzulassen, würde nämlich bedeuten, daß das größte Ausmaß der Erleichterung den Ledigen, und den Höchst-einkommensempfängern in den Schoß fällt, deren Besteuerung ohnedies gegen 1945 in vielen Einkommensstufen schon gesenkt wurde. Wenn von Steuersenkungen überhaupt die Rede sein kann, dann in erster Linie für die seit Jahren überbesteuerten Familienerhalter. Das kann man aus Gründen der Steuergerechtigkeit kaum umgehen.

Für die notwendige Progressionsangleichung der Tarifsätze für Familienerhalter an die Prozentsätze von 1945 ergibt sich voraussichtlich ein Steuerausfall von rund 279 Millionen Schilling. Der Berechnung dieser Ziffern — wie auch des bisherigen Steuerausfalles der Ledigen — wurden statistische Daten aus der letzten Volkszählung zugrunde gelegt. Dabei wurde angenommen, daß im Zuge der Steuerreform die Prozentsätze für Ledige an jene von 1945 soweit wieder angeglichen werden, soweit sie dieselben derzeit nicht erreichen; daß für die kinderlosen Ehepaare keine Aenderung eintreten werde (mit Ausnahme der Doppelverdiener); weiter, daß für die Familien-

erhalter der Tarif auf den Stand 1945 gesenkt wird. Mangels statistischer Unterlagen über die Einkommensschichtung wurde die Berechnung auf ein unversteuertes Jahresnettoeinkommen von 14.000 S, bei Familien mit vier und mehr Kindern von 18.000 S angewendet.

Eine gerechte Verteilung der einkommensteuerlichen Belastung könnte also die Ausfälle, die noch für das Jahr 1952 wirksam waren, mindestens in folgender Höhe vermeiden:

1. Aus dem Wegfall der Investitionsrücklage............777

2. Aus der Aufhebung der steuerlichen Sonderbegünstigungen doppelt verdienender Ehepaare.......614

3. Aus der Progressionsangleichung 1945

für die Ledigen........560

4. Ebenso für die Höchsteinkommen-bezieher...........122

5. Einsparungen bei Besatzungskosten . . 500

6. Abzüglich Einkommensteuerausfall wegen der Progressionsangleichung 1945

bei den Familienerhaltern.....279

Mehraufbringung: 2094

Der Gesamtbedarf an progressiv steigenden Kinderbeihilfen würde schätzungsweise . . . 2115 Schilling ausmachen, unter der Voraus-. Setzung, daß ein monatliches Existenzminimum von 500 S pro Kopf der Familie als oberste Grenze gilt, über der der übersteigende Teil der Kinderbeihilfe nicht mehr zum Zuge kommt. Dieser Bedarf vermindert sich um jene Kinderbeihilfen, die derzeit vom Bund, den Ländern und Gemeinden, der Kriegsopferversorgung usw., nicht über den Ausgleichsfonds, sondern direkt bezahlt werden. Diese Mittel stünden ja auch bei der geplanten Neuregelung zur Verfügung: 411

(Diese Ziffer ist dem Vorschlag für die Errichtung von Familienausgleichskassen, von Nationalrat Josef Reich, entnommen.)

Nettobedarf für Kinderbeihilfen: 1704

Zusammenstellung: Mittelaufbringung rund 2094 Mittelbedarf „ 1704

Ueberschuß: 390 Diese Berechnung ist zwar in Anbetracht der spärlichen finanzstatistischen und familienstatistischen Veröffentlichungen allen Gefahren von Fehlkalkulationen ausgesetzt, aber es ist anzunehmen, daß allfällige Fehler nicht größer sein werden als der berechnete Ueberschuß.

Für den Zweck dieses Aufsatzes ist nur wichtig, daß ein gangbarer Weg zum Familienlastenausgleich aufgezeigt werden soll. Als ausreichende Reserve für etwa noch entstehende Aufbringungslücken steht ja überdies die gegenwärtig laufende Beitragssumme der Arbeitgeber zum Kinderbeihilfenfonds, das sind sechs Prozent von der Bruttolohnsumme, zur Verfügung, die (nach NR. Josef Reich) jährlich rund 1200 Millionen Schilling ausmacht. Diese Beiträge sollten allerdings — wenn sich die aufgezeigten Quellen als ergiebig genug erweisen — stufenweise bis auf den Nullpunkt abgebaut werden, weil sie die Produktionskosten belasten und preistreibend wirken und die Arbeitslosigkeit fördern.

Dieser Vorschlag der Mittelaufbringung hätte den Vorzug, daß er sich auf das steuerpflichtige Nettoeinkommen allein beschränkt, keine Produktionskosten erhöht und Zahler und Empfänger reinlich scheidet. Die Ziffer, die als Existenzminimum pro Kopf festgelegt wird, wäre der einzige Regulator zwischen Großzügigkeit und Sparsamkeit. Die oberste Grenze von 500 S monatlich ist vorläufig nur als Diskussionsgrundlage gedacht. Vielleicht stellt sich bei der genaueren Durchrechnung oder nach Einführung der vorgeschlagenen Neuregelung heraus, daß auch eine höhere Grenze, etwa 600 S, noch tragbar ist.

Es ist noch die Frage zu untersuchen, welche Auswirkungen ein derartiger Familienlastenausgleich auf die Wirtschaft haben würde. Eine Belastung der Wirtschaft kann in- keiner Weise eintreten, weil sich der Ausgleich nur in Form einer etwas geänderten Einkommensverteilung vollziehen würde. Selbst diese würde den betroffenen Zahlern nur ganz geringe Opfer zumuten (den Ledigen, wie erwähnt, durchschnittlich 300 S im Jahr). Auf die Wirtschaft hingegen würde

sich die neue Regelung spürbar erleichternd auswirken, wenn die 6 Prozent Beiträge von der Lohnsumme abgebaut werden können. Darüber hinaus würden die rund 1% Milliarden Schilling, die aus dem Volkseinkommen nunmehr in die Taschen der Familienerhalter geleitet werden seilen, von diesen geradezu ruckartig wieder der Wirtschaft weitergegeben werden, und zwar nicht in Form von Auslandreisen, Luxusautos usw., sondern durch Ankauf lebensnotwendigster Produkte der heimischen Landwirtschaft, Industrie und des Gewerbes. Wenn dem Doppel-verdienertum auch noch der Reiz der steuerlichen Begünstigungen entzogen wird, so werden eher Arbeitsplätze für echte

Arbeitslose frei, woraus sich wieder Einsparungen auf dem Gebiete der Arbeitslosenfürsorge ergeben. Auch verwaltungs-vereinfachend müßte es sich — trotz der anscheinenden Mehrarbeit, die die Finanzämter durch die Ausdehnung der Kinderbeihilfen auf die Selbständigen in Kauf nehmen müssen — auswirken, wenn nicht mehr Hunderttausende von Lohnempfängern gleichzeitig Lohnsteuerzahler und Kinderbeihilfenempfänger, sondern dies nur entweder-o d e r sind. Ueberhaupt wird ein Familienlastenausgleich nur dann tragbar sein, wenn er in einfacher Form keine Verwaltungsmehrarbeit, sondern eine Vereinfachung bringt.

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