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Reagans Kampf um die Steuerzahler

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Im Herbst wird Ronald Reagan seinen größten Triumph feiern: Den Sieg „über ein unüberschaubares, ungerechtes Steuersystem“. Derzeit wird um die Endfassung gerungen.

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Im Herbst wird Ronald Reagan seinen größten Triumph feiern: Den Sieg „über ein unüberschaubares, ungerechtes Steuersystem“. Derzeit wird um die Endfassung gerungen.

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Je mehr sich die zweite Amtsperiode eines amerikanischen Präsidenten ihrer Halbzeit nähert, desto weniger politischen Bewegungsspielraum pflegt er zu haben. Er wird dann — wie dies im Polit-Jargon heißt - zu einer „lame duck“, also zu einer lahmen Ente. Bei uns würde man sagen:

Er steht auf der Abschuß-Liste.

Nicht so bei Ronald Reagan: Er ist nach allen Umfrage-Ergebnissen am Höhepunkt seiner Beliebtheit angelangt und — was vielleicht noch beachtlicher ist — sein Einfluß auf den Kongreß ist ungeschwächt. Vor wenigen Wochen errang er den wahrscheinlich größten Triumph seit seinem Amtsantritt: Der Kongreß hat getan, was selbst die größten Optimisten kaum für möglich hielten: Er hat eine große Steuerreform beschlossen, die den Dschungel an Bestimmungen durchforstet, die Steuersätze drastisch senkt, die Absetzmöglichkeiten wesentlich reduziert und die sogenannten „loop-holes“, also die Gesetzesmaschen, durch die man bisher unter Umständen durchschlüpfen konnte, weitgehend eliminiert. Mit einem Wort: Es ist gelungen, ein leichter überschaubares, gerechteres Steuersystem .zu beschließen.

Bekanntlich haben die beiden Häuser des Kongresses, nämlich der Senat und das Repräsentantenhaus, zwei verschiedene Versionen eines Steuerreform-Paketes beschlossen. Das ist nichts Ungewöhnliches in der amerikanischen Gesetzgebungs-Prozedur. Was dann geschieht, ist das Zusammentreten einer gemischten Kommission, die sich auf eine Kompromißlösung zu einigen hat.

Worum geht es nun beim Ringen um einen Kompromiß zwischen der Variante des Senats und der des Repräsentantenhauses? Es geht nur vordergründig um Progressionsstufen, Höchstsätze, Abschreibungsmöglichkeiten etc. Letzten Endes spiegeln sich in den beiden Entwürfen verschiedene Philosophien:

Der Senat will soviel Geld wie möglich in den Taschen der Steuerzahler, und zwar auch jener mit hohen Einkommen, lassen und sowenig Umverteilung wie möglich. Der Kuchen soll vor allem größer und nicht so sehr anders verteilt werden. Gerade jene Steuerzahler, die hohe Einkommen haben, spielen eine Schlüsselrolle beim Vergrößern des Kuchens, denn sie sind potentielle Arbeitgeber, Sparer, Investoren, Konsumenten etc.

Der Entwurf des Repräsentantenhauses möchte — vereinfacht ausgedrückt — eine geringere Belastung der mittleren Einkommen, also von etwa 300.000 bis 1,35 Millionen Schilling pro Jahr, und sich den Fehlbetrag durch eine höhere Besteuerung der Unternehmen holen, also mehr Umverteilung.

, Um hier kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Beide Entwürfe haben einen gemeinsamen Grundtenor, nämlich: Steuersenkung zugunsten der niedrigen und mittleren Einkommensschichten, stärkere Belastung der hohen Einkommen, nämlich von 1,35 Millionen Schilling Jahreseinkommen aufwärts, und Schließung der berüchtigten loop-holes; beide streben also eine Umverteilung an, nur eben unterschiedlihen Ausmaßes. Darüber hinaus sind beide Versionen aufkom-mens-neutral, das heißt sie werden dem Bund weder höhere, noch niedrigere Einnahmen erbringen als bisher.

Andererseits muß die gemischte Kommission — eigentlich heißt sie House-Senate-Conference — die aus 22, zum Teil sehr prominenten beziehungsweise politisch sehr exponierten Mitgliedern besteht, darunter aus drei Präsidentschaftskandidaten (Robert Dole, Bill Bradley und Richard Gephardt) — hunderte Differenzen bereinigen. Denn auch wenn beide Seiten entschlossen sind, die endgültige Fassung noch vor Mitte September dem Weißen Haus zuzuleiten, wird es sehr viel guten Willens bedürfen, um dieses Ziel zu erreichen, denn der Teufel sitzt in den Details.

Einer der ganz wesentlichen Punkte, wenn nicht der wichtigste überhaupt, ist die radikale Lichtung und Senkung der Progressionsstufen.

Derzeit gibt es sage und schreibe vierzehn (!) Stufen, wobei die niedrigste einen Steuersatz von elf, die höchste einen solchen von 50 Prozent vorsieht. Der Senat hat beschlossen, nur zwei Stufen anzuwenden, nämlich eine von 15, die andere von 27 Prozent. Das bedeutet freilich nicht, daß jemand, der heute 50 Prozent seines Einkommens an Steuern abführt, in Zukunft nur 27 Prozent zahlen müssen wird, denn künftig werden ja viele Absetzmöglichkeiten entfallen, was bei hohen Einkommen oft schwerer wiegen dürfte als die reduzierte Progressionsstufe.

Demgegenüber sieht der Beschluß des Repräsentantenhauses vier Progressionsstufen vor, und zwar: 15, 25,35 und 38 Prozent. Es liegt auf der Hand, daß die Uber-brückung der Auffassungen in dieser Frage bei den Verhandlungen einen hervorragenden Stellenwert einnehmen wird.

Präsident Reagan, der auf den Kongreß Druck ausübt, indem er sich an die Öffentlichkeit wendet / — die amerikanische Demokratie funktioniert so, daß der Präsident artikuliert, was die Bevölkerung will, sie aber auch mobilisiert und auffordert, ihrerseits Druck auf ihre Abgeordneten und Senatoren auszuüben — schon wiederholt erklärte, er werde das neue Steuergesetz, wenn die höchste Progressionsstufe nicht unter 30 Prozent liegt, nicht unterschreiben, sondern von seinem Vetorecht Gebrauch machen.

Eine Gegenüberstellung der derzeitigen und der künftigen Einkommensbesteuerung (in den USA gibt es keine Unterschei-

(FURCHE-Karikatur Erik Bauer)dung in Lohn- und Einkommensteuer) zeigt, daß die Entlastung für mittlere Einkommen zwischen elf und 26 Prozent liegen soll (siehe Kasten).

Sehr umstritten ist auch die Behandlung der sogenannten „Indi-vidual Retirement Accounts“, kurz IRA's genannt. Im Zuge der Förderung einer verstärkten Ei-gerivorsprge wurde seinerzeit eine Bestimmung eingeführt, wonach jeder Steuerpflichtige jährlich 2000 US-Dollar (30.000 Schilling) steuergestundet absetzen darf, wenn er den Nachweis erbringen kann, daß er diesen Betrag auf ein Eigenvorsorge-Konto eingezahlt hat.

Wenn es nach dem Willen des Repräsentantenhauses geht, soll es bei der bisherigen Regelung bleiben, während der Senat diese Vorgangs weise nur bei jenen Steuerzahlern aufrecht lassen will, die keinen Pensionsanspruch haben.

Weitere Streitpunkte sind das Ausmaß der Absetzbarkeit von Spitals- und Ärztekosten, der Umsatz- und Grundsteuer, ferner die Erhöhung der Kapital-Ertragsteuer von 20 auf 27 Prozent und vor allem auch die Neugestaltung der Besteuerung der Unternehmen sowie die Änderung der Abschreibungsmöglichkeiten.

Bei diesem zuletzt angeführten Punkt wird eine Kompromißlösung besonders schwer zu erzielen sein, geht es doch um die Uber-brückung einer Differenz von 25 Milliarden Dollar (380 Milliarden Schilling), selbst für amerikanische Begriffe eine sehr beachtliche Summe. Die steuerliche Mehrbelastung der Unternehmen soll nach dem Entwurf des Repräsentantenhauses über einen fünfjährigen Zeitraum 140 Milliarden Dollar (2100 Milliarden Schilling) betragen, die Senkung der individuellen Einkommen läge im Durchschnitt bei neun Prozent. Demgegenüber möchte der Senat die Erhöhungen zu Lasten der Wirtschaft mit 100 Milliarden Dollar (1.500 Milliarden Schilling) begrenzen und die Individualeinkommen nur um sechs Prozent reduzieren.

Tausende von Lobbyisten belagern, riesigen Moskitoschwärmen gleich, in diesen Wochen Washington, um im Auftrag ihrer Klienten verschiedene Sonderinteressen zu verteidigen bzw. durchzusetzen.

Interessant ist schließlich auch die Haltung der Verantwortlichen in Washington in der Frage einer Steueramnestie. Es wurde erwogen, allen Steuerschuldnern Straffreiheit zu garantieren, falls sie ihre bisher nicht einbekannten Einkommen innerhalb einer bestimmten Frist bei der Behörde anmelden. Schätzungen zufolge hätte diese Maßnahme dem Bund mit einem Schlag mehrere Milliarden Dollar eingebracht, die im Hinblick auf das gigantische Defizit hochwillkommen gewesen wären.

Trotzdem sprach sich die Mehrheit der Abgeordneten gegen die Amnestie aus, und zwar mit folgender Begründung: Sie wäre geeignet, die Steuermoral zu untergraben, und zwar insoferne, als die Steuerhinterzieher sie als Signal auffassen würden, das etwa so lautet: Nun kann man wiederum jahrelang ungestraft Steuern hinterziehen, denn eines Tages kommt bestimmt die nächste Amnestie ...

Wie immer die endgültige Fassung des neuen Steuergesetzes aussehen wird, eines steht fest: Sie ist das innenpolitische Ereignis der Reagan-Ära.

Die restlichen Sommerwochen werden also in Washington in jeder Hinsicht heiß verlaufen. Allen ideologischen Gegensätzen zwischen Konservativen und Liberalen zum Trotz läßt sich aber schon jetzt ohne größere Schwierigkeiten prophezeien, daß bis Anfang oder spätestens Mitte September alle Differenzen bereinigt sein werden und ein strahlender Präsident Reagan das neue Steuergesetz, das den Amerikanern noch mehr Anreiz zu Leistung und Eigenverantwortung geben und die Steuermoral verbessern wird, feierlich—vor laufenden Fernsehkameras, versteht sich — unterzeichnen wird.

Der Autor ist Leiter der Repräsentanz der Genossenschaftlichen Zentralbank AG, New York.

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