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Eine „Maus“ als Sachlösung

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Milliardenbeträge schwirren durch den Raum: der Finanz-minister spricht davon, die „große“ Steuerreform, die im nächsten Jahr wirksam werden soll, werde 2,5 Milliarden Schilling erfordern, soll sie jedem Staatsbürger auch nur 100 Schilling Ermäßigung bringen. Sogar in seiner eigenen Sozialistischen Partei werden aber Stimmen laut, die für einen Einnahmen verzieht von 4 Milliarden plädieren, und Oppositionssprecher Koren hält eine fühlbare Erleichterung der Steuerlast nur bei einer Verringerung der Einnahmen um mindestens 5 Milliarden Schilling für möglich.

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Milliardenbeträge schwirren durch den Raum: der Finanz-minister spricht davon, die „große“ Steuerreform, die im nächsten Jahr wirksam werden soll, werde 2,5 Milliarden Schilling erfordern, soll sie jedem Staatsbürger auch nur 100 Schilling Ermäßigung bringen. Sogar in seiner eigenen Sozialistischen Partei werden aber Stimmen laut, die für einen Einnahmen verzieht von 4 Milliarden plädieren, und Oppositionssprecher Koren hält eine fühlbare Erleichterung der Steuerlast nur bei einer Verringerung der Einnahmen um mindestens 5 Milliarden Schilling für möglich.

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Wenn also die Androsch-Reform mit 2,5 Milliarden ihr Auslangen finden will und gewisse Gruppen von Steuerzahlern noch dazu stärker begünstigen möchte, werden viele praktisch leer ausgehen. Zwar sollen — soweit bisher bekannt wurde — alle Steuersätze reduziert werden; dennoch werden viele de facto noch mehr Steuer als bisher zahlen. Dieses finanzpolitische Kunststück wird dadurch zustande kommen, daß zwar der Tarif bis hinauf in die Spitzengruppen gesenkt wird, dafür aber diverse Freibeträge abgeschafft werden. „Timeo Danaos et dona feren-tes“ — das gilt auch für Finanzminister in scheinbarer Geberlaune.

Inflationsbeute

Uberhaupt ist Tarifsenkung ein sehr relativer Begriff, bei dem es immer darauf ankommt, welchen Ausgangspunkt wir wählen. Wir dürfen nicht übersehen, daß sich die Nettoeinnahmen des Bundes aus öffentlichen Abgaben von 55,1 Mrd. S im Jahr 1970 auf 62,1 Mrd. S 1971, also um 12,7 Prozent oder 7 Mrd. S, erhöht haben. Ein großer Teil davon war Inflationsgewinn, dadurch entstanden, daß einem gleichgebliebenen Realeinkommen nunmehr ein höheres Nominaleinkommen entsprach, dieses aber infolge der Progression unseres Steuertarifs stärker belastet wird. Die Steuern konnten somit auf kaltem Weg hinaufgesetzt werden, ohne daß dazu gesetzliche Steuererhöhungen notwendig geworden wären.

Da in diesem Jahr die Geldentwertung noch kräftiger ausfallen wird als im Vorjahr, wird auch die stille

Steuererhöhung ein größeres Ausmaß haben. Es ist daher eine sehr problematische Angelegenheit, von einer Tarifsenkung zu sprechen, wenn der Finanzminister aus seiner Inflationsbeute dem vorher kräftig gerupften Steuerzahler 2 bis 3 Milliarden abläßt. Wir müssen auch bei den Steuergeschenken zwischen nominal und real unterscheiden: eine leichte nominale Steuersenkung kann unter inflationären Verhältnissen noch immer eine recht empfindliche reale Steuererhöhung bedeuten.

Namhafte Finanzwissenschaftler, darunter Prof. Tautscher, haben daher gefordert, daß bei inflationärer Entwicklung alljährlich die Steuerprogression automatisch um den Entwertungssatz nach oben paralell verschoben werden müßte. Geschähe dies, so könnten die Österreicher auf die Steuersenkung gut und gerne verzichten und kämen mehrheitlich besser davon. Der „Ausfall“ für den Staatshaushalt wäre freilich auch größer, aber er würde in Wahrheit nur ein Verzicht auf zusätzliche Einnahmen sein. Gerade die Inflation macht die Steuerprogression erst so völlig unterträglich, führt sie doch früher oder später dazu, daß, wie Wilhelm Röpke einmal sagte, schließlich der Portier jenen Steuersatz bezahlt, der ursprünglich für den Generaldirektor vorgesehen war.

Und die Mehrwertsteuer?

Aber es kommt noch dicker: in den neuen Steuertarif werden die bisherigen Zuschläge zur Lohn- und Einkommensteuer — insgesamt bereits 31 Prozent des Grundtarifs — einbezogen. Sie setzen sich zusammen aus dem ehemaligen Besatzungskostenbeitrag in Höhe von 18 Prozent — der inzwischen ebenso langatmig wie salbungsvoll in „Beitrag zur Förderung und Errichtung von Klein- und Mittelwohnungen und zur Familienförderung“ umbenannt und zum Dauerbestandteil der Steuerleistung erhoben worden ist —, weiters aus der befristeten Sonderabgabe zum Einkommen in Höhe von 10 Prozent und dem gleichfalls befristeten Zuschlag zum Katastrophenfonds von 3 Prozent. Würden diese beiden Zusatzsteuern abgeschafft — wie den Österreichern einst hoch und heilig versprochen worden ist —, so würde das allein schon bei weitem mehr ausmachen als die nunmehr großspurig angekündigten Steuer-„Geschenke“.

Außerdem soll ab nächstem Jahr die Mehrwertsteuer eingeführt werden und nach den jüngsten Berechnungen ungefähr um 2 Mrd. S mehr einbringen als die alte Umsatzsteuer — ein Betrag, der allein schon ungefähr ausreichen würde, um die „Geschenke“ auf seiten der direkten Steuer zu finanzieren. Darüber hinaus wird die Mehrwertsteuer unfehlbar eine neue Teuerungswelle bringen (die Mehreinnahmen des Staates aus diesem Titel müssen ja finanziert werden), was dem öffentlichen Haushalt zusätzliche Inflationsgewinne bringen wird.

Es besteht also kein Grund zur Rührung über die Geberlaune von Vater Staat. Er hält sich für seine kleinen Geschenke gleich dreifach schadlos. Wieder zeigt sich, daß der Staat das, was er einmal hat, nicht mehr hergibt: die befristeten Sonderabgaben werden kurzerhand „integriert“, und die Almosen, die davon dem Steuerzahler zurückerstattet werden, als Steuerreform bezeichnet.

Der Staat gleicht einem jener lieben Freunde, die auf die geborgten 1000 Schilling glatt „vergessen“, dafür aber dem Spender ein Geschenk für 100 Schilling machen, das groß herausstreichen und noch Dankbarkeit erwarten: vom letzten Endes „geborgten“ Steuerzuschlag wird nicht mehr gesprochen, dafür dem braven Steuerzahler von einem Teil davon ein nettes kleines Präsent gewährt, getreu den von Hugo Wolf vertonten Versen Paul Heyses: „Auch kleine Dinge können uns entzücken, auch kleine Dinge können uns erfreuen.“

Aber dürfen wir uns wirklich wundern, wenn wir eine Lupe brauchen, um die „große“ Steuerreform zu sehen? Was bleibt dem Finanzminister angesichts der lawinenartig wachsenden Ausgabenflut übrig als zu knausern? Solange

Georg Friedrich Knapps „Gesetz der wachsenden Staatsausgaben“ uneingeschränkt in Geltung ist, solange die Steuerreform nicht auf der Ausgabenseite beginnt, sondern sich mit Manipulationen auf der Einnahmenseite begnügt, müssen alle Maßnahmen Augenauswischerei bleiben, sich darauf beschränken, durch Zahlenkunststücke eine Tarifsenkung aus dem Zylinder zu zaubern, obwohl in Wirklichkeit die Steuern kräftig hinaufnumeriert werden.

Aber die groß herausgestellten generellen Tarifkorrekturen sind nur der Zuckerüberguß für die Veränderungen im Detail, die eine zusätzliche Umverteilung der Steuerlast mit stark gesellschaftspolitischem Vorzeichen verfolgen. Es beginnt mit dem Versuch, die niedrigeren Einkommen stärker zu entlasten, als die höheren, wobei die Grenze bei zirka 120.000 S Jahreseinkommen liegen soll. Gerade dadurch muß aber die ohnehin schon ziemlich weit unten einsetzende Progression noch steiler werden, als sie bisher war. Daher wird es weiterhin dabei bleiben, daß auch schon dem Durchschnittsverdiener jede Lohnerhöhung zum Großteil weggesteuert wird.

Daß der Finanzminister die längst überfällige Vereinfachung des Steuertarifs verspricht, ist lobenswert. Weniger erfreulich ist, daß diese u. a. nicht in der Abschaffung, sondern in der Integrierung der verschiedenen Zuschläge besteht. Außerdem sollen aber Freibeträge, wie Existenzminimum, Alleinverdienerfreibetrag, Kinderfreibeträge und gewisse Sonderausgaben abgeschafft werden, was natürlich eine optische Milderung der Progression ohne substantielle Verringerung der Steuerleistung des einzelnen gestatten wird. Erhalten und womöglich erhöht werden soll hingegen das Werbungskostenpauschale für Arbeitnehmer (bisher 3276 S pro Jahr).

Prinzipiell ist der Fortfall vieler jener Freibeträge, die bisher alljährlich auf der Lohnsteuerkarte eingetragen werden mußten — was die Lohnsteuerreferenten bisher immer monatelang belastete —, als Verwaltungsvereinfachung durchaus zu begrüßen. Ob diese in der Praxis auch eintritt, bleibt abzuwarten. Wenn zum Beispiel die Bausparbegünstigung durch Prämien ersetzt wird, so entlastet das gewiß die Verwaltung. Nur mag das viele bisherige Bausparer vielleicht dazu bewegen, auf eine Lebensversicherung — für die es wie bisher beim Freibetrag bleiben soll — „umzusteigen“, so daß auch die Verwaltungsarbeit erhalten bleibt. Kaum eine wirkliche Verwaltungsvereinfachung bedeutet die geplante Umstellung der Kinderfreibeträge, die vom steuerpflichtigen Einkommen abgezogen werden konnten, auf Absetzbeträge, die von der Steuerlast selbst in Abzug gebracht werden.

Eine Verringerung des Verwaltungsaufwands mag sich durch die Ausdehnung der bisherigen Steuerstufen zu breiten Tarifbändem ergeben, wodurch die prozentuelle Steuerbelastung für einen größeren Einkommensbereich gleichbleiben soll. Durch diese Maßnahme erübrigt sich bei kleineren Einkommensschwankungen während eines Jahres die Durchführung eines Jahresausgleichs.

Abgesehen von diesem verwaltungstechnischen Aspekt sind allerdings die breiten Bänder nicht ganz unproblematisch. Muß sich daraus doch ein größerer Sprung von einer Progressionsstufe 'zur anderen ergeben, was an gewissen kritischen Stellen besondere Härten bei Einkommenserhöhungen ergeben muß — besonders da diese Bänder bis zu einem Monatseinkommen von 13.000 Schilling ausgedehnt werden sollen, also bis in Bereiche hinein, die von der allgemeinen Progressionsmilderung nur noch wenig erwarten dürfen.

Die gesellschaftspolitischen Intentionen werden u. a. bei der Verwandlung der Freibeträge in Absetzbeträge deutlich. Bisher hat der Freibetrag die Bemessungsgrundlage verringert, was angesichts der steilen Progression dazu führte, daß die absolute Steuerersparnis in den oberen Einkommensregionen größer war als in den niedrigeren. Die direkten Absetzbeträge von der Steuerschuld bewirken, daß jeder — sofern er überhaupt Steuern in einer gewissen Höhe zahlt — den gleichen Ermäßigungsbetrag erhält.

Das bisherige System wurde — etwa beim Kinderfreibetrag — mit der Notwendigkeit einer „schichtenspezifischen“ Entlastung des Kindererhalters begründet. Das freilich klingt sehr stark nach „standesgemäßer“ Erziehung, die bekanntlich von den Sozialisten vehement abgelehnt wird. Gegen den sozialistischen Standpunkt spricht aber, daß sich für Menschen mit höherem Lebensstandard und meist auch größerer beruflicher Belastung mehr Kosten pro Kind ergeben.

Aber noch ein weiteres Argument — und das gilt für alle Freibeträge — ist gegen das neue System ins Treffen zu führen: Freibeträge sind nichts anderes als pauschalierte Abschreibungsposten eines steuerwirksamen Aufwands, nicht anders als z. B. jene Beträge, die Unternehmer für Investitionen geltend machen können. Auch hier fällt die nämliche Investition bei einem Großbetrieb mit hoher Steuerleistung als absolute Steuerersparnis stärker ins Gewicht als beim Kleinbetrieb. Dennoch hat — vorläufig zumindest — noch niemand daran gedacht, an Stelle der Abschreibungen starre Absetzbeträge einzuführen — was auch praktisch kaum durchführbar wäre.

Die Einkommen einer Progression zu unterwerfen, den einkommens-mindemden Aufwand aber durch starre Beträge abzugelten, ist einfach systemwidrig und muß früher oder später unser ganzes Steuerschema in Unordnung bringen. Es stellt auch keinen Verstoß gegen die soziale Gerechtigkeit dar, wenn derjenige, der nicht nur einen absolut höheren Betrag an den Staat abführt, sondern auch einen größeren Teil seines Einkommens, durch Frei-beträge etwas mehr profitiert. Das ist einfach die natürliche Folge seiner höheren Steuerleistung. In der geplanten Neuregelung wird das Gleichheitsprinzip einfach überstrapaziert.

Dagegen läßt sich die Abschaffung des Alleinverdienerfreibetrages, der bisher auch kinderlosen Ehepaaren gewährt wurde, sofern nur ein Partner verdiente, rechtfertigen. Eine steuerliche Belohnung der Nichtberufstätigkeit einer durchaus arbeitsfähigen Ehegattin ist im Zeitalter der Vollbeschäftigung nur dann - gerechtfertigt, wenn Kinder vorhanden sind. Aber auch der alleinverdienende Familienerhalter soll per saldo nicht mehr Absetzbeträge pro Kind erhalten als jene Gatten gemeinsam, die beide einen Beruf ausüben. In dieser mangelnden Berücksichtigung der Mutterrolle einer Frau steckt ein gutes Stück der letzten Endes familienfeindlichen Ideologie des Sozialismus, die z. B. heute im Schweden Olof Palmes zu einer immer stärkeren Diskriminierung der nicht berufstätigen Mutter führt.

Keine Polarisierung

Durchaus zu begrüßen — und von allen Parteien befürwortet — ist die gänzliche Beseitigung der gemeinsamen Veranlagung von Ehegatten bzw. von Eltern und im gleichen Haushalt lebenden minderjährigen Kindern. Bisher sind nur Arbeitnehmer bis zu einem gemeinsamen Jahreseinkommen von 200.000 Schilling getrennt veranlagt worden. Die in der geplanten Steuerreform anvisierte Lösung ist die Individual-besteuerung: jedes Familienmitglied versteuert sein Einkommen gesondert. Die Opposition tritt hingegen für das Splitting ein: das Familieneinkommen soll gleichmäßig auf die Erwerbstätigen einer Familie aufgeteilt und gesondert nach den sich nun ergebenden niedrigeren Tarifsätzen versteuert werden.

Die Individualbesteuerung ist zweifellos die sowohl sozial- als auch leistungsgerechtere, weshalb hier die Regierung die besseren Argumente haben dürfte. Eine Schwierigkeit wird sich nur bei der Einstufung der im Betrieb mittätigen Ehegattin ergeben. Es bleibt abzuwarten, welche Lösung sich hier das Finanzministerium einfallen läßt.

Noch nicht klar abzusehen ist, ob und in welcher Form die Regierung eine Differenzierung zwischen Lohn-und Einkommensteuertarif plant. Eine simple Polarisierung zwischen den „reichen“ Selbständigen, die es sich noch dazu steuerlich „richten“ können, und den „armen“ Arbeitnehmern entspricht jedenfalls nicht mehr der sozialen Realität von heute. Noch vorhandene Steuerungerechtigkeiten könnten nur mit einem subtileren Instrumentarium beseitigt werden.

Viele Fragen scheint die „große“ Reform nach wie vor offenzulassen. So dürfte eine echte Vereinheitlichung unter Einbeziehung der 13. und 14. Monatsbezüge und der unzähligen Zulagen nicht anvisiert werden, ebensowenig eine echte Progressionskorrektur und eine Abschaffung der automatischen Steuererhöhung im Gefolge der Inflation. Wieder einmal werden die publizistischen Berge kreißen, um eine Maus an Sachlösungen zu gebären.

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