Unfair und unbrauchbar

19451960198020002020

Von den wirklich wichtigen Punkten der nächsten Steuerreform(en) wie der Entlastung der unteren Einkommen, der Ökologisierung des Steuersystems und einer internationalen Harmonisierung lenkt die Flat tax nur ab.

19451960198020002020

Von den wirklich wichtigen Punkten der nächsten Steuerreform(en) wie der Entlastung der unteren Einkommen, der Ökologisierung des Steuersystems und einer internationalen Harmonisierung lenkt die Flat tax nur ab.

Werbung
Werbung
Werbung

Man nehme eine Postkarte und behaupte, diese ersetze die jetzige Einkommensteuererklärung; das entfallende Steueraufkommen entnehme man den Rücklagen der Oesterreichischen Nationalbank.

Also gut, nehmen wir halt den Vorschlag ernster, als er es verdient. Zunächst: was ist eine Flat tax? Es handelt sich um eine Steuer mit konstantem Grenzsteuersatz. Gleichgültig, ob das Jahreseinkommen von 250.000 auf 300.000 steigt oder von 900.000 auf eine Million, stets ist derselbe (Grenz-) Steuersatz auf das zusätzliche Einkommen anzuwenden. In Österreich liegen die relevanten Grenzsteuersätze derzeit zwischen 22 und 50 Prozent, die Freiheitlichen schlagen einen "flachen" Steuersatz von 20 Prozent vor.

Auch eine Flat tax kann progressiv sein. Wenn zum Beispiel der Tarif einen Freibetrag von 100.000 Schilling vorsieht, dann bezahlt man bei einem Einkommen von 300.000 Schilling (und einem Steuersatz von 20 Prozent) 40.000 Schilling, bei einem Einkommen von einer Million Schilling eine Steuer von 180.000 Schilling; da der Durchschnittssteuersatz (Steuerbetrag dividiert durch Einkommen) im ersten Fall 13,3 Prozent beträgt, im zweiten Fall aber 18 Prozent, ist der Tarif progressiv trotz des konstanten Grenzsteuersatzes.

Aber die Beibehaltung der Progressionseigenschaft sagt noch wenig darüber aus, wer die Nutznießer einer solchen Tarifänderung wären. Offensichtlich sind es jene, die über ein hohes Einkommen verfügen, deren Einkommen also, soweit es über 700.000 Schilling liegt, von einem derzeitigen Grenzsteuersatz von 50 Prozent (Freiberufler, Selbständige) bzw. rund 44 Prozent (Unselbständige; Begünstigung des 13./14. Monatsgehalts!) erfaßt wird. Je höher das Einkommen, desto höher die Begünstigung.

Aber es wär' doch kein Schaden, wenn (auch) hohe Einkommen in Österreich weniger belastet werden, sagen manche. Die Progression frißt uns eh alles weg. Der erste Satz ist ein Werturteil, das ich nicht teile. Der zweite Satz ist statistisch gesehen einfach falsch. Österreich hat kein Abgabensystem, das insgesamt progressiv wirkt: dafür sorgen die hohen Sozialversicherungsbeiträge und indirekten Steuern und die minimalen Vermögensteuern. Die Steuern auf persönliche Einkommen sind - ob nun in Prozent des Sozialprodukts oder in Prozent des Gesamtaufkommens - niedriger als in der EU, niedriger als in den USA, niedriger als in der Schweiz, ja niedriger als in Italien. Und diese Steuerstruktur verlangt nach einer Flat-tax-Reform?!

Den Rückgang des Steueraufkommens nach einer solchen Reform bezifferte Haider selbst mit 60 bis 70 Milliarden Schilling jährlich, das Finanzministerium mit 110 Milliarden Schilling. Persönlich halte ich die höhere Ziffer für realistischer. Allein der Totalausfall der Kapitalertragsteuer auf Zinsen macht 25 Milliarden Schilling aus; würde ein Drittel des Aufkommens an Lohn- und Einkommensteuer entfallen, wären das weitere 80 Milliarden Schilling. Rund 100 Milliarden Schilling kurzfristig durch "Bürokratieabbau" hereinholen zu wollen, ist absurd. Befürworter eines derart massiven Steuerabbaus müssen die Karten auf den Tisch legen: Wenn das Defizit nicht steigen soll (tatsächlich schreibt der EU-Stabilitätspakt eine weitere Senkung vor), wo ist das 100-Milliarden-Kürzungspotential bei den öffentlichen Ausgaben (kurzfristig!): bei der Bildung? bei den Pensionen? bei den Sozialausgaben?

Wirtschaftswachstum und Beschäftigung würden erhöht, sagen die Befürworter, und das kompensiere zumindest teilweise den Steuerausfall. Dieses Argument setzt voraus, daß (a) die Arbeitsangebotselastizität hoch ist, d. h. daß das Arbeitsangebot stark und positiv auf eine Erhöhung der Nettoentlohnung reagiert; (b) daß die zusätzlich angebotene Arbeit auch nachgefragt wird, also in Beschäftigung mündet; (c) daß der Wachstumseffekt sehr hoch ist: ein Prozent mehr Sozialprodukt würde nur rund zehn Milliarden Schilling mehr in die staatlichen Kassen spülen ... Unter Präsident Reagan wurden ähnliche Vorschläge als Voodoo-Economics klassifiziert.

Das Steuersystem würde drastisch vereinfacht, sagen die Befürworter. Das österreichische Einkommensteuergesetz hat rund 130 Paragraphen, davon befaßt sich genau einer (§ 33) mit dem Tarif. Die Komplikationen der Lohn- und Einkommensteuer ergeben sich nicht aus dem Tarif: jedes Kind, das Addieren, Subtrahieren und eventuell noch Dividieren gelernt hat, kann bei Vorliegen der relevanten Daten den § 33 anwenden. Die Komplikationen liegen in den Vorstufen, im Erstellen der "relevanten Daten": Was ist "Einkommen" im Sinne des EStG? Sollen wir auf § 3 ("Von der ESt sind befreit ...") verzichten, außergewöhnliche Belastungen (§ 34) vernachlässigen? Gibt es Werbungskosten (Sachbücher, Reisen ...), die vom Gehalt vor der Besteuerung abzuziehen sind? Was sind Betriebsausgaben, die den steuerpflichtigen Gewinn schmälern? Sind Veräußerungsgewinne bei Aktienverkäufen "Einkommen", können Veräußerungsverluste von anderen Einkunftsarten (z. B. vom Gehalt) abgezogen werden? Sollen Sozialversicherungsbeiträge vom Bruttolohn abgezogen werden, bevor die Lohnsteuer berechnet wird? (Letzteres laut FPÖ: offenbar nein.) Auf all diese klassischen Fragen gibt die Flat tax keine Antwort; die Behauptung der "Vereinfachung" ist einfach ein schlechter Scherz.

Insgesamt: Von den wirklich wichtigen Punkten der nächsten Steuerreform(en) - nämlich Entlastung der unteren Einkommen, Ökologisierung auch im Interesse der uns nachfolgenden Generationen, Verschiebung zwischen Arbeit und Kapital, internationale Harmonisierung soweit nötig - lenkt die Flat tax nur ab.

Der Autor ist Universitätsprofessor sowie Bundessprecher und Steuerexperte der Grünen.

Zum Thema Der Debatte 2. Teil In Furche Nr. 42 brachten wir an dieser Stelle ein Plädoyer des steirischen Wirtschaftslandesrates Herbert Paierl für eine radikale Reform und Vereinfachung des Steuersystems unter dem Titel "Einfacher steuern - Einfach-Steuer". Der ÖVP-Mann trat in diesem Beitrag - damit im Widerspruch zur offiziellen Parteilinie stehend - für einen einheitlichen Steuersatz von 19 bis 24 Prozent ein. Im Gegenzug sollten seiner Meinung nach sämtliche Absetzbeträge gestrichen, Steuerschlupflöcher gestopft und nur für sozial Benachteiligte großzügige Freibeträge eingeführt werden. Ein Ansatz, der im wesentlichen auch den Vorstellungen der FPÖ entspricht, die sich in der Steuerreform-Debatte für eine "Flat tax" (flache Steuer) ausgesprochen hat. Paierl setzte sich in seinem Artikel allerdings insofern von den Freiheitlichen ab, als er schrieb, er wolle einer "ideologisch, populistisch und polemisch besetzten Diskussion um die Flat tax ... entgehen". Als Debatten-Kontrahent Paierls war unsererseits der Bundessprecher der Grünen, Alexander Van der Bellen, vorgesehen. Dieser mußte dann kurzfristig absagen, reicht aber nun für die vorliegende Nummer seinen Beitrag nach - und bleibt Paierl inhaltlich nichts schuldig.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung