Unsere treffsichere Regierung

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Für den Ausgleich zwischen Reich und Arm ist vor allem das Steuer-, nicht das Sozialsystem da.

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Für den Ausgleich zwischen Reich und Arm ist vor allem das Steuer-, nicht das Sozialsystem da.

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Die gegenwärtige Regierung lebt mit einem schweren Erbe. Dass den Schuldenberg der Republik die SPÖ-Finanzminister seit 1970 zu verantworten haben, ist ein Faktum. Die Absicht von Finanzminister Karl-Heinz Grasser, ab dem Budget 2002 diesen Schuldenberg nicht weiter zu erhöhen, verdient Anerkennung und Unterstützung. Was freilich heute in Sachen Einsparungen von Politikern teils schon unternommen oder ernsthaft vorgeschlagen, teils aber erst halblaut gedacht wird, zeichnet sich in vielen Fällen nicht durch die jetzt oft geforderte "Treffsicherheit" aus, sondern ist eher in die Rubrik "Versuchsballons" einzuordnen.

Das derzeitige öffentliche Brainstorming löst nicht nur die üblichen Pawlowschen Reflexe von Parteipolitikern der Opposition gegenüber Anregungen aus Regierungskreisen aus, sondern zeigt auch Gegensätze zwischen Vertretern der Regierungsparteien auf. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Reformideen geboren werden. So bestehen Vorschläge, Studenten die Familienbeihilfe und Hausfrauen die Mitversicherung beim erwerbstätigen Ehemann zu streichen, Sozial- beziehungsweise Transferleistungen nach dem Einkommen zu staffeln, die Wohnbauförderung zu kürzen, die Sozialabgaben zu erhöhen und die Wahl der Krankenversicherung, wie jene der Haftpflichtversicherung fürs Auto, frei zu stellen.

Während noch die Versuche, dem Budget durch Veräußern des "Familiensilbers" der Republik (Landwirtschaftsminister Wilhelm Molterer betreibt jetzt sogar die Privatisierung einer "heiligen Kuh", der Spanischen Reitschule) beziehungsweise durch Ausgliederungen auf die Beine zu helfen, viele Fragen aufwerfen, kreist die Diskussion schon um ein anderes Thema: unser - in jeder Hinsicht - teures Sozialsystem. Bei den Sozialausgaben liegt Österreich in der EU hinter Dänemark und Frankreich an dritter Stelle.

Im Bestreben, der FPÖ wieder das Profil einer die Umverteilung "von oben nach unten" fördernden Partei zu verschaffen, will nun FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler sämtliche Transferleistungen vom Familieneinkommen abhängig machen.

Während eine andere Westenthaler-Sparidee - nämlich die Zahl der Nationalratsabgeordneten von 183 auf 100 zu senken - sehr rasch als unseriös abgetan wurde, löste diese Aussage heftige Diskussionen aus, auch in seiner eigenen Partei. FPÖ-Sozialsprecher Herbert Haupt plädierte gleich für einen Umstieg von der Individual- zur Familienbesteuerung, stieß damit freilich auf wenig Gegenliebe, zumal Fachleute betonten, die Daten für eine Besteuerung nach Haushaltseinkommen seien derzeit gar nicht verfügbar und müssten erst erhoben werden.

Die Tendenz, bei möglichst vielen öffentlichen Leistungen durch eine Staffelung einen Ausgleich von Reich und Arm herbeizuführen, ist aber nicht nur bei der Familienbeihilfe - die ja einen Ausgleich zwischen Menschen mit Kindern und solchen ohne Nachwuchs bewirken soll -, sondern auch in anderen Fällen der falsche Weg. Schon der bürokratische Aufwand stünde in keinem Verhältnis zum allfälligen Nutzen. Bei jeder einzelnen Leistung das Einkommen des Betreffenden - das sich ja außerdem von Monat zu Monat ändern kann - zu kontrollieren, macht den Staat nicht schlanker. Das Einkommen der Bürger zu kontrollieren und zu besteuern, ist die eine Sache, und zwar eine sehr wichtige, den berechtigten Anspruch auf öffentliche Leistungen (Ist jemand wirklich mittellos, krank und/oder arbeitslos, sind Kinder zu versorgen?) zu prüfen, eine andere. Es gilt beide Dinge zu unterscheiden: den Ausgleich zwischen Reich und Arm vom Ausgleich zwischen Personen mit einer besonderen Belastung und solchen ohne diese Belastung.

Für den Ausgleich zwischen Arm und Reich müsste ein gerechtes und transparentes Lohn- beziehungsweise Einkommensteuersystem sorgen. Dass das nicht so einfach ist, weil nicht wenige Bürger dazu neigen, nicht alle ihre Einkünfte zu deklarieren, ja manche in Österreich ein Paradies der Schattenwirtschaft sehen, wird kaum jemand bestreiten. Dass anderseits viele armutsgefährdet sind, nämlich rund eine Million, und 330.000 schon in der Armutsfalle sitzen, darf man auch nicht übersehen. Hier müsste man tätig werden und "denen, die es wirklich brauchen" unter die Arme greifen, wenigstens das Existenzminimum sichern.

In Österreich zahlen fast alle in die Töpfe an Steuern und Sozialversicherungen ein, die besser verdienenden sogar deutlich mehr als die Bezieher kleiner Einkommen, darum muss der Inhalt auch allen offen stehen. Wer nach dem Motto vorgeht "Ich zahle mehr ein, also muss ich auch mehr herausbekommen" oder "Ich kann zwar fast nichts einzahlen, möchte aber umso mehr herausbekommen", führt jedes Sozialsystem ad absurdum. Natürlich werden und sollen die Kleinverdiener mehr davon haben, aber wenn man die Hauptzahler ausschließt, trägt das nicht zur Solidarität bei.

Wenn man meint, dass allein über die Besteuerung des Einkommens zu wenig Umverteilung stattfindet, könnte man ja den Vorschlag aufgreifen, Transfer- und Sozialleistungen dem Einkommen hinzu zu rechnen und alles zusammen zu besteuern. Das wäre immer noch sinnvoller und weniger bürokratisch, als die Gewährung jeder einzelnen solchen Leistung beziehungsweise des Umfanges jeder solchen Leistungen von Einkommensnachweisen abhängig zu machen.

Zwangsläufig wird angesichts der angepeilten Budgetziele einiges an Einschränkungen an Herrn und Frau Österreicher zukommen. Werden die Reformvorschläge vernünftig präsentiert (beispielsweise die Streichung der Familienbeihilfe für Studenten nur in Verbindung mit einer Neuregelung der elterlichen Unterhaltspflichten und des Stipendiensystems), so verdienen sie auch eine ernsthafte Diskussion. Umfassende Konzepte fehlen aber leider, ebenso konkrete Sparpläne der einzelnen Ressorts.

Da das Budget hauptsächlich ausgabenseitig saniert werden soll, ist jedenfalls nicht zu leugnen, dass Sozialabbau stattfindet. "Was wir derzeit sehen, ist ein massiver historischer Umbruch, den Sozialstaat nach neoliberalen Kriterien zu gestalten", meint Johannes Jäger, Ökonom an der Wirtschaftsuniversität Wien. Und nicht nur Andreas Koller von den "Salzburger Nachrichten" ortet in etlichen der vorgeschlagenen Maßnahmen einen "Feldzug gegen den Mittelstand".

Mit anderen Worten: Die Reichen schmerzt es nicht sehr, zumal in Österreich nur 0,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus Vermögenssteuern kommen, im OECD-Schnitt hingegen 1,8 Prozent. Den Armen kann man nicht mehr viel wegnehmen, also zahlt die Masse in der Mitte die Zeche. Wer in die Mitte zielt, schießt meistens nicht ganz daneben, und insofern kann das schwarz-blaue Kabinett wenigstens ein bisschen Treffsicherheit beweisen.

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