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Steuerpolitischer Nervus rerum

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Kein anderes Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes hat so gereizte Reaktionen ausgelöst wie die beiden, die am 9. Jänner veröffentlicht wurden und die die Besteuerung unterhaltspflichtiger Väter und Mütter auf eine neue Grundlage stellen.

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Kein anderes Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes hat so gereizte Reaktionen ausgelöst wie die beiden, die am 9. Jänner veröffentlicht wurden und die die Besteuerung unterhaltspflichtiger Väter und Mütter auf eine neue Grundlage stellen.

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Damit haben die Hüter der Verfassung die Bestimmung des Einkommensteuergesetzes aufgehoben, der zufolge der Steuerzahler seine gesetzlichen Unterhaltsleistungen für Kinder nur dann als außergewöhnliche Belastung geltend machen kann, wenn diese Belastung gegenüber anderen Familien mit der gleichen Kinderzahl außergewöhnlich ist. Das ist vor dem Jahre 1972 wohl sinnvoll gewesen, als das damalige Einkommensteuersystem (infolge der Einkommensteuerreform 1967) eine um vieles gerechtere Familienbesteuerung vorgesehen hatte, die von der Auffassung ausgegangen ist, daß die gesetzlich vorgeschriebenen Unterhaltsleistungen (vermindert um die vom Staat geleisteten Familienbeihilfen) die steuerliche Leistungsfähigkeit gegenüber dem herabsetzt, der solche Pflichten nicht zu tragen hat.

Mit der Beseitigung der Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen für Kinder im Einkommensteuerrecht durch die Regierung Kreisky aber hat die nunmehr (ab 31. Dezember 1992) als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesstelle einen geradezu familienfeindlichen Charakter erhalten: Die verschiedensten Umstände werden als außergewöhnliche Belastung anerkannt, die hohe, für die Familienerhalter sich aus der Anzahl der Kinder notwendigerweise ergebende jedoch nicht. Damit setzte man die Familienerhalter soweit zwischen beide Stühle, daß ihre Einkommen heute - wie das Kummer-Institut für Sozialpolitik gemeinsam mit den Familienverbänden konkret nachgewiesen hat - bis weit unter die Existenzminima der davon lebenden Famlienangehörigen besteuert werden. Die FURCHE hat dieses Steuerunrecht wiederholt aufgezeigt und die steuerliche Gleichbehandlung der Existenminirrta aller Familienangehörigen mit dem Existenzminimum der kinderlosen Steuerpflichtigen gefordert.

Mit diesen Erkenntnissen der Verfassungsrichter ist nun wenigstens der Weg der Anerkennung der durch die Unterhaltspflicht der Kinder verursachten Kosten gegenüber den Kinderlosen als außergewöhnliche Belastung offen. Diesen Ausweg wieder durch eine Verfassungsbestimmung zumauern zu wollen -wie es auch sonst eher besonnene sozialdemokratische Politiker zunächst verlangt haben -kann wohl nur als grobe Unüberlegtheit der ersten Reaktionen verstanden werden, zeigt aber, daß mit diesen beiden Erkennmissen ein Nervus rerum der heutigen österreichischen Steuerpolitik getroffen worden ist.

Was diesen beiden Erkennmissen ihre Bedeutung gibt, geht über die beiden Anlaßfälle hinaus. Der Verfassungsgerichtshof hat damit nicht nur festgestellt, daß die in den Einkommenssteuergesetzen 1972 und 1988 vorgesehene Besteuerung unterhaltspflichtiger Eltern verfassungswidrig ist, sondern zeigt auch die Grundlinien auf, denen eine Reparatur der Besteuerung folgen muß.

Die Hüter der Verfassung stellen fest, daß die Eltern heute im Vergleich zu nicht unterhaltspflichtigen Personen gleichen Einkom-

mens diskriminiert werden, weil der Teil ihres Einkommens, den sie (über die Familienbeihilfe hinaus) von Gesetzes wegen entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit für den Unterhalt der Kinder verwenden müssen, wie frei verfügbares Einkommen besteuert wird. Die Nichtberücksichtigung der Unterhaltsleistungen bewirkt eine vergleichsweise höhere Besteuerung Unterhaltspflichtiger. Unterschiede in der Leistungsfähigkeit aufgrund unterschiedlicher Einkommenshöhe - so stellt der Verfassungsgerichtshof fest -dürfen nicht durch Belastung bloß eines Teiles der Steuerpflichtigen gleichen Einkommens berücksichtigt werden.

Lösung - oder Antragsflut ab 1993

Was das Verfassungsgericht als Gegenstand der verfassungsrechtlich gewährleisteten Gleichheit zu prüfen hatte, war die steuerliche Behandlung der unterhaltspflichtigen Steuerzahler gegenüber den Kinderlosen. Ein anderer Gesichtswinkel ist angesichts gerade der von SPÖ-Seite eingeführten Individualbe-steuerung unter Gleichheitserwägungen kaum möglich.

Aufgehoben werden nun jene Teile des Paragraphen 34 Einkommensteuergesetz 1972 und 1988, welche die Berücksichtigung von Unterhaltslasten als außergewöhnliche Belastung ausschließen. Wie das Verfassungsgericht betont, stehen dem Gesetzgeber aber neben der Behandlung als außergewöhnliche Belastung auch andere Möglichkeiten für eine verfassungskonforme Lösung zur Verfügung. Er muß auch nicht etwa individuell-konkrete Leistungen berücksichtigen, sondern darf von Durchschnittswerten ausgehen und der Bemessung der Steuer jenen Unterhalt zu Grunde legen, der sich aus dem für die Bemessung in Frage kommenden Einkommen ergibt.

Der Verfassungsgerichtshof macht ebenso aufmerksam, daß der Lastenausgleich auch durch eine der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit entsprechende Verteilung der Steuerlast - also eine Umschichtung zu Lasten der nicht Unterhaltspflichtigen - aufkommensneutral gestaltet werden kann. Er hat damit dem Argument vorgebeugt, eine verfassungs-

gemäße Familienbesteuerung wäre aus budge-tären Gründen nicht möglich. Wenn man im Wege der künftigen Besteuerung aber eine höhere Besteuerung Kinderloser vermeiden will, wird die Reform nicht ohne Kosten abgehen. Bisher genannte Ziffern sind aber irreale Horrorzahlen.

Regierung und Parlament bleibt also ein Gestaltungsraum. Ein gemeinsamer Nenner aller politischen Gruppen sollte wohl auf dem Grundsatz zu finden sein, daß die Einkommen aller Staatsbürger nicht bis unter das Existenzminimum aller Staatsbürger besteuert werden dürfen. Damit wären alle unbegründeten Sorgen aus der Welt geschafft, das auch das „Reitpferd der Tochter" steuerlich absetzbar werden soll. Es bestünde auch kein Einwand dagegen, die prinzipielle Steuerfreiheit der Existenzminima in der Verfassung als Grundrecht festzuschreiben.

Besondere Umsicht ist den Verfassungshütern auch anzuerkennen, daß die Aufhebung des verfassungswidrigen Teiles des Einkommensteuergesetzes 1988 erst in Kraft tritt, wenn der Gesetzgeber bis Ende 1992 keine Neuregelung trifft. Bis dahin und bei der Veranlagung für bereits vergangene Zeiträume (mit Ausnahme der Anlaßfälle) bleibt die bisherige Regelung wirksam.

Damit besteht für diejenigen, die sich für eine verfassungsgerechtere Besteuerung der Familie einsetzen, kein absoluter Zugzwang. Der Finanzminister müßte ihr Verbündeter sein, der mangels einer anderen verfassungsmäßigen Regelung einen Sturm von Anträgen aller Steuer- und unterhaltspflichtigen Fami-lienejfhalter auf die Finanzämter auf Anerkennung ihrer Unterhaltsleistungen als außergewöhnliche Belastung zu gewärtigen hat.

Die Vertreter der OVP in Regierung und Parlament, die sich weitgehend am Ziel einer Steuerfreiheit des Existenzminimums für alle Familienangehörigen orientiert haben, sind in dieser Frage nun nicht mehr Juniorpartner, der die SPÖ von seiner Meinung überzeugen muß, sondern gleichberechtigt, weil ohne ÖVP-Zustimmung eine andere als die ab 1. Jänner 1993 automatisch wirksame Familienbesteuerung nicht möglich ist.

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