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Randbemerkungen zur woche

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AM 2. NOVEMBER werden die Toten von den Lebenden geehrt. Und die Toten des zweiten Weltkrieges von den Überlebenden. Auf den Gräbern flackern die kleinen Totenlichter, vor den Ehrenmälern und auf den Soldatenfriedhöfen brennen Opferflammen. Es ist der Tag der stillen und ehrfurchtsvollen Zwiesprache mit denen, die nicht mehr unter uns sind. Und da sind auch schon wieder die anderen da, die politischen und sonstigen Geschäftemacher, die Tüchtigen, die „Dynamischen“. Sie scheuen vor den Toten nicht zurück, sie wärmen sich die Hände an den Totenlichtern, sie kochen ihre Süppchen über den Opferflammen. Mit gemischten Gefühlen hörte man von manchen „Feierstunden“, die eher den Ungeist der Vergangenheit als die Geister der Toten heraufbeschwören möchten, mit Abscheu aber vernahm man, daß das Grüppchen der österreichischen Nationalbolschewiken — jene, denen der Sprung vom Nationalsozialismus zum Kommunismus leicht fiel — auch mit dabei sein wollen. Erst wollten sie „Ehrenposten“ in Uniform vor das Heldendenkmal stellen. Das wurde ihnen verboten. Aber sie gaben nicht so schnell auf: geht's nicht in Uniform, ginge es vielleicht mit nacktem Oberkörper... Die alten Mätzchen der „Kampfjähre“ sollten wieder aufleben. Und das noch dazu an einem solchen Tag. Die Toten aber schweigen. Das ist gut für jene, denen der Tod von Millionen gut genug für ein makabres Possenspiel erschien.

DAS AMTSBLATT VERÖFFENTLICHTE EINEN ERLASS des Bundesministeriums für Finanzen vom 9. März 1951, Zahl 51.903-9150. In ihm wird der österreichische Steuerträger daran erinnert, daß in der nationalsozialistischen Ära, die unser Einkommensteuerrecht geboren hat, die Kosten des Hochschulstudiums von Familienangehörigen eine außergewöhnliche Belastung darcjestellt haben, die bei Überschreitung eines bestimmten Prozentsatzes des Einkommens auch in der Steuerberechnung berücksichtigt wurde. Diese offiziellen Richtlinien des Dritten Reiches könnten, so sagt nunmehr der neue Erlaß, „für das österreichische Steuerrecht nicht als maßgeblich angesehen werden“. Das Hochschulstudium der Kinder bedeute in Österreich keine außer gewöhnliche Belastung, mag nun der Familienwohnsitz am Sitz einer Hochschule sein oder seine geographische Entfernung für den Steuerträger eine ganz erhebliche Belastung bringen. Nun soll hier nicht das leidige Lied von der Steuerschraube angestimmt werden. Es wird hierzulande, auch kein vernünftiger Mensch verlangen, daß der Staat die Kosten des Studiums der Kinder trage. Eine Frage aber muß erhoben werden: Wie ist der Erlaß mit den Bestimmungen des Gesetzes vereinbar? Er argumentiert, daß keine berücksichti-genswerten Kosten erwachsen, wenn der Sitz der Hochschule gleichzeitig Familiensitz ist. Das mag stimmen, weil dann die außergewöhnliche Belastung nicht die Prozentsätze der gewöhnlichen Belastung überschreiten dürfte. Erstaunlich ist aber, mit welchem Argument der fern von einer Hochschulstadt lebenden Familie die Möglichkeit beschnitten werden soll, das Kind studieren zu lassen: Die Mehrzahl der Bevölkerung Österreichs wohne außerhalb von Universitätsstädten, und deshalb erwachse der Mehrzahl der Familien, die unter diesen Umständen einen Angehörigen studieren lasse, höhere Kosten. Also, sehließt der Erlaß anscheinend scharfsinnig, kann niemals eine außergewöhnliche Belastung vorliegen. Das denkerische Mißgeschick des Schlusses ist handgreiflich. Nicht die geographische Lage verursacht die größeren Aufwendungen, sondern die Belastung durch das Studium, und diese trifft die Familie, deren Kind studiert, anders als die, deren Kinder nicht studieren, sondern schon verdienen können. Der Angriff gegen die Eltern studierender Kinder steht also im Widerspruch mit dem Gesetz. § 33 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 1951 bestimmt eindeutig, daß eine außergewöhnliche Belastung anzunehmen ist, wenn dem Steuerpflichtigen größere Aufwendungen als der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse entstehen. Und das ist nun einmal der Fall, toenn der eine Familienerhalter das Kind studieren läßt, während das Kind des anderen mitverdienen kann! Die klare Bestimmung des Gesetzes schließt die Auffassung des Erlasses aus., Der Erlaß ist also auch vom Standpunkt des formalen Rechts anfechtbar und — dürfte im Instanzenzug nicht gehalten werden können. •

DIE BETEILIGUNG DER ARBEITNEHMERSCHAFT AN DEN PRODUKTIONSMITTELN wurde bereits in verschiedenen Staaten eindringlich erörtert. Die „Furche“ hat in diesem Sinne vor kurzem über den erfolgreichen, individuellen Versuch eines französischen Unternehmens berichtet, seine Mitarbeiter an der durch ihre Tätigkeit erwachsenen Substanzvermehrung teilnehmen zu lassen. Karl Arnold, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, eine der markantesten Persönlichkeiten der CDU, legt %un einen Plan vor, der den deutschen Arbeitnehmern die Möglichkeit geben soll, sich durch eigene Investitionen an der Neuordnung der Grundstoffindustrien zu beteiligen. Arnold sagte, dieser Gedanke beruhe auf dem Grundsatz der sozialen Partnerschaft und des Mitbestimmungsrechtes. Durch Beteiligung der Arbeiterschaft an den Investitionen würde auch eine gerechtere Besitzverteilung geschaffen. Einen praktischen Weg sieht Arnold folgendermaßen: es sollte möglich sein, die Stundenlöhne um zwei Pfennige zu erhöhen unter der Voraussetzung, daß auch die Arbeitnehmer zwei Pfennige von ihrem jetzigen Stundenlohn bereitstellen, so daß 4 Pfennige pro Arbeitsstunde einer Zentralkasse zur Finanzierung der Investitionen zur Verfügung gestellt werden könnten. Wenn man von 15 Millionen Lohn- und Gehaltsempfängern in der Bundesrepublik ausgehe, so lasse sich errechnen, welche Kapitalbildungsquellen von der Arbeitnehmerseite her geschaffen werden könnten. Arnold unterstrich, daß die deutschen Grundstoffindustrien in der heutigen Lage durch Selbstfinanzierung oder durch staatliche Mittel nicht hinreichend gekräftigt werden könnten, sondern weiterer zusätzlicher Investitionen bedürften. Diese Gedankengänge verdienen mit Ernst erwogen zu werden. Sie bewegen sich in der Bahn klassischer christlicher Sozialtradition, deren Ziel es immer war, einen gerechten und dadurch stabilen Ausgleich der Einkommen- und Vermögensverhältnisse innerhalb der Gesamtheit, eine neue Verankerung der durch die industrielle Entwicklung aus ihrem früheren Lebensrahmen losgerissenen und nun fluktuierenden Schichten zu schaffen. Die Diskussion über die Vorschlage Arnolds wird deshalb auch außerhalb der Grenzen der deutschen Bundesrepublik mit Interesse verfolgt werden. •

FEIERTAG IN DER VOLKSDEMOKRATIE — ein schwieriges Problem! Marien* feiertage, Apostelfeste, Feste der Landespatrone — das alles sind natürlich überlebte Dinge. Fast wundert man sich, im neuen Feiertagsgesetz der Tschechoslowakei noch den Ostermontag, den Christtäg und Stephanitag zu finden. Die bisherige Regelung hatte nach altem Muster noch Fronleichnam, Dreikönigstag und die anderen Feste der Kirche aufgezählt, nur eine unscheinbare Bemerkung besagte, daß sie, solange die äußersten Anstrengungen aller Kräfte der Nation erforderlich sind, von der Regierung auf den folgenden Sonntag verlegt werden konnten. Diese Rücksichten sind jetzt weggefallen, seitdem auch die Sonntagsarbeit eine Selbstverständlichkeit geworden ist. Fünf Gruppen von Feiertagen unterscheidet das neue „definitive“ Gesetz, das am 1. Jänner 1952 in Kraft tritt: die Sonntage, die Tage der Arbeitsruhe, die „B e-deutenden Tage der Tschechoslowakei“, die Gedenktage und schließlich den Staatsfeiertag — den 9. Mai, den Tag des Einmarsches der Roten Armee in Prag. Die „Bedeutenden Tage“ sind gewöhnliche Arbeitstage; es sind dies der 25. Februar (Jahrestag des kommunistischen Staatsstreichs von 1948), der 29. August (Gedächtnistag des slowakischen Aufstandes von 1944) und der 7. November (Tag der Oktoberrevolution in Rußland). Ebenso sind Arbeitstage die beiden Gedenktage der Slawenapostel Cyrill und Method und des Magisters Johannes Hus (5. und 6. Juli). Bezahlte Feiertage sind die sechs Tage der Arbeitsruhe: außer dem Neujahrstag, dem Oster- und Weihnachtsfest noch der 1. Mai und der 28. Oktober — der Tag, an dem aus der zertrümmerten Donaumonarchie der Nationalrat der Tschechen und Slowaken hervorging. Heute gilt er im neuen Feiertagsgesetz des Prager volksdemokratischen Regimes als „Tag der Verstaatlichung“ — als Jahrestag der Erlassung der Verstaatlichungsdekrete, jener Dekrete, die die Unterschrift Beuel' als des damaligen Staatspräsidenten, Lauimanns als des damaligen Industrieministers und manches anderen, heute im sicheren Exil weilenden Ministers tragen. Und wieder findet sich das oberwähnte Häkchen im Gesetz, der klassische Nebensatz: Wenn es die wirtschaftlichen Interessen des Staates erfordern, kann die Regierung den 28. Oktober auf einen anderen Tag verlegen ...! Vielleicht verlegt die Weltgeschichte selber einmal dieses Fest auf einen anderen Tag.

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