6578238-1951_02_13.jpg
Digital In Arbeit

Randhemerkungen zur woche

Werbung
Werbung
Werbung

DAS GESPRÄCH ZWISCHEN SOZIALISTISCHEN UND CHRISTLICHEN KREISEN in Österreich hat, nachdem es eine geraume Zeitlang eher zurücktrat, vor kurzem den bekannten neuen Auftrieb erfahren: die Diskussion um das staatliche Eherecht zwingt beide Partner, sich auf das Wesentliche ihrer Position zu besinnen und Unwesentliches und tagbezogen Parteipolitisches abzuschneiden von den prinzipiellen Erwägungen und Stellungnahmen. Wieder zeigt sich die Richtigkeit des alten Satzes, der der geduldig erlittenen Weisheit des Volkes entstammt: „Gut Ding braucht Weile.“ Nur redliches Bemühen in der Kleinarbeit des Tages und der Stunde vermag das große Werk einer echten inneren Begegnung zu fördern. Nur der Ungläubige, der, welcher weder an Gottes Mühlen- noch an die Möglichkeiten der Demokratie zu glauben vermag, spricht leicht: „Es geht nicht? weiter.“ Nein, es geht weiter. Untrügliche kleine Zeichen sprechen ihre Sprache; sie sind meist zuverlässiger als große Demonstrationen, ihre Sprache ist zwingender, unmittelbarer, weil sie dem Geschäft und dem Realismus des Tages entstammt! Gehen wir da also, in eben diesen Tagen an den Auslagen des sozialistischen Parteiverlages im Parteihaus vorbei, bleiben stehen und staunen erfreut. Liegen da, neben vielen anderen, in schöner Vorderfront, christliche Bücher, wie Lubacs „Die Tragödie des Humanismus ohne Gott“, Picards „Flucht vor Gott“ und einiges andere mehr. Eine Schwalbe, sagt man, macht noch keinen Sommer. Mag er stimmen, dieser Satz -*• ist doch wichtiger und richtiger der andere: Ein aufgeschlagenes, ein dargebotenes Buch ist ein Weg. Es ist der Weg, auf dem seit Jahrhunderten die Völker und Kulturen zum Verständnis, zur Verständigung wandeln.

EIN GROSSES EREIGNIS DER LETZTEN

WOCHE: Von Linz nach Wien fuhren Schiffe der Donaudampfschiffahrtsgesellschaft, und sie fuhren unter österreichischer Flagge. Zum erstenmal seit 1938! Die in der amerikanischen Zone stationierten Schiffe luden bei Wien Heizöl, das aus den Zistersdorfer Bohrtürmen kam und nach Oberösterreich — sozusagen — exportiert werden sollte. Der Bericht übej; diese Fahrt — er glich ein wenig den Kommuniques, die von Expeditionen aus fernen Weltteilen nach Hause gefunkt werden — sprach davon, daß die Fahrt donauabwärts „tatsächlich vollkommen reibungslos“ vor sich gegangen sei und die Kontrolle an der Demarkationslinie von der Besatzungsmacht zuvorkommend durchgeführt wurde. Die OROP, die sowjetische ölförderungsgesellschaft in Österreich, hatte den unbehelligten Transport garantiert... Die Urnstände des Unternehmens mögen gewiß zur Nachdenklichkeit anregen. Aber dennoch, die drei Zugschiffe mit der österreichischen Flagge auf dem verödeten Strom — der eine Hauptverkehrsader unseres Landes war —, sie wären früher von den Anrainern der Donau nicht einmal beachtet worden. Heute sind sie Über raschungen und ihre Fahrt eine freundliche Sensation.

DAS „ÖSTERREICH-INSTITUT“ hat bereits mancherlei Anstände über sich ergehen lassen müssen. Vor der von ihm veranstalteten Kulturwoche, während ihr und nach ihr. Und leider ist ja nicht zu leugnen, daß diese Institution zwischen dem löblichen Bestreben, der Kultur zu dienen, und dem weniger löblichen Trieb, für sich selbst Reklame zu betreiben, einen kulturpolitisch merkwürdigen Zickzackkurs eingeschlagen hat, an dem eine etwas strengere Kritik mancherlei aussetzen kann. Aber auch der Optimist, der halbe, mißglückte oder von allen Mängeln eiliger Improvisation gezeichnete Taten mit dem guten Willen und der reinen Absicht entschuldigt, zog die Stirne kraus, als er die, übrigens unbeant-wortet gebliebenen, Proteste von Buchhändlern und Verlegern gegen eine Buchexposition des Österreich-Instituts las — eine Exposition, in der zu billigen Preisen Bücher von in Auflösung begriffenen Verlagen angeboten wurden. Hier schien der Kommerz wirklich der Kulturförderung den Rang abgelaufen zu haben. Noch weniger gern aber bemerkt man jetzt die Plakate, die zur Teilnahme an einem Wettbewerb des Österreich-Instituts auffordern; es All die Preisfrage bean*-wortet werden: „Was ist der Goldene Gro-suchen?“ Man ist versucht, die Frage* ohne auf einen Preis Anspruch zu erheben, in eigener Weise zu beantworten: Der Goldene Groschen ist eine Erfindung des Österreich-Instituts, deren Wert auch in der jüngst abgehaltenen Kulturwoche noch nicht bewiesen werden konnte. Es wäre besser gewesen, die Frage „Was ist Kultur?“ zu stellen — denn es gibt, wie Exempla zeigen, genügend Leute, die sich bis jetzt über sie noch nicht ganz im klaren sind.

DIE BEVORSTEHENDE VOLKSZÄHLUNG REGT WÜNSCHE NACH MODERNISIERUNG UND ERGÄNZUNG der Erhebungen an. Bisher erstreckten sich diese auf Angaben über die Verteilung der Individuen nach Geschlecht, Alter, Familienstand, Schulbildung und Beruf. Diese große Erkundung, die in erheblichen Zwischenräumen stattfindet, würde eine rationellere Ausnützung im Sinne einer gesunden Bevölkerungspolitik verdienen. Biologisch oder sozial-Ökonomisch wichtig wäre eine Ehe-, Familien-, Haushaltungsund Fortpflanzungsstatistik, welche über die Zahl der lebend geborenen Kinder, die Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaften und Verhältnisse nach den zu versorgenden Kindern Auskunft gibt. Das erzielte Erhebungsmaterial würde der Bevölkerungsund Sozialpolitik neue aufschlußreiche Aspekte eröffnen. In Großbritannien ist wegen der großen biologischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung der Familien-, Statistik eine besondere Kommission mit eingehenden 'Untersuchungen beauftragt, die nach dreijähriger Arbeit einen umfangreichen Bericht vorlegte. Die Nachahmung des englischen Beispiels wäre am Platze. •

DENKWÜRDIG IN DER MODERNEN RECHTSGESCHICHTE wird das Urteil bleiben, das der Generalberichterstatter für die Ablösung des alten österreichischen „A II gemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches“ durch ein neues „Bürgerliches Gesetzbuch“ vor dem versammelten Prager Parlament, den Mitgliedern der juristischen Fakultät, der Arbeiterrechtsschule und vor den Arbeitervertretern, die an dem neuen Gesetz und an einer neuen „bürgerlichen Gerichtsordnung“ mitgewirkt hatten, über das alte „ABG“, eines der berühmtesten Werke europäischer Rechtssatzung, mit den Worten zum besten gab: „Das alte Bürgerliche Gesetzbuch wurde für die despotische Ära des österreichischen Kaisertums geschaffen, es ermöglichte den Kapitalisten, das Gesetz zum Schaden der Gesamtheit auszunützen, schützte das von den Kapitalisten zusammengestohlene Vermögen und gestattete sogar die Enteignung des Eigentums des kleinen Mannes.“ Anders als die Gesetzgeber des Dritten Reiches, die bei ihren Kodifikationsversuchen das „Bürgerliche Gesetzbuch“ durch ein „Volksgesetzbuch“ ersetzen wollten, haben jedoch die Prager Juristen trotz aller inhaltlichen Wandlungen den alten Namen beibehalten und den bourgeoisen Ausdruck „bürgerlich“ auch in den Titel des Gerichtsverfahrensgesetzes eingefügt. *

INDUSTRIELLE UNTERNEHMUNGEN IRLANDS werden im neuen Jahr ein G e-winnbeteiligungs System einführen, welches der Arbeiter- und Angestelltenschaft über ihre kollektivvertragliche Entlohnung hinaus einen bestimmten prozentuellen Anteil am Reingewinn der betreffenden Firmen sichern soll. Dieser Beschluß erfolgte jüngst als Ergebnis eingehender Besprechungen zwischen irischen Arbeitgebern und dem gegenwärtigen Inhaber der bekannten Firma Harmel in Val-dv-Bois (Frankreich), wo der Gedanke der „christlichen Fabrik“ schon seit längerem verwitklicht ist. Allerdings verkennt man nicht die vielfachen Fragen, die sich namentlich in größeren Betrieben, und um solche handelt es sich zum Teil bei dem irischen Projekt, dem klaglosen Funktionieren des gedachten Systems ergeben werden: Welcher Prozentsatz des Reingewinns darf unter den Arbeitnehmern verteilt werden, ohne die Rücklagen zu gefährden, die das Unternehmen zur Erneuerung seiner Produktionsmittel, als Reserve für Zeiten rückläufiger Konjunktur oder für unvorhergesehene Schadensfälle unbedingt benötigt? Wie wird sich die Beteilung der Arbeitnehmerschaft auf die Höhe der Dividenden und damit auf die Möglichkeit neuer Kapitalsbeschaffung auswirken? Nach welchem Schlüssel wird der Anteil des einzelnen Arbeiters oder Angestellten zu errechnen sein? Wie steht es um die Ansprüche jener Arbeitnehmer, die im Laufe des Bilanzjahres bei der betreffenden Firma eingetreten beziehungsweise aus ihrem Dienste geschieden sind? Solche und manche andere Probleme, die mit diesem ungemein schwierigen Thema verbunden sind, müssen von den Vertretern der Arbeitnehmerschaft nicht weniger gründlich überdacht werden als von den Unternehmern; denn für die einen wie für die anderen ist die möglichst krisenfeste Stabilität des Unternehmens und damit auch der sicheren Beschäftigung eine Angelegenheit von vordringlicher Wichtigkeit.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung