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Auch Kinderstimmrecht ist ein Menschenrecht

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Die Berücksichtigung der Kinder im Prozeß der Willensbildung wäre eine aus vielen Gründen wünschenswerte Weiterentwicklung unseres demokratischen Systems.

In der Antike bedeutete Emanzipation die Freistellung des erwachsenen Sohnes von der väterlichen Gewalt. Im übertragenen Sinn wird Emanzipation auch angewendet auf die Sklavenbefreiung und auf die Gleichberechtigung der Frau. Die Emanzipationsbewegung beruht auf grundsätzlichen Vorstellungen über die Menschenrechte.

Politisch beginnt ihre Durchsetzung mit der Zuweisung des Wahlrechtes an die betroffenen Gruppen. In diesem Sinne kämpfen die Schwarzafrikaner gegen die Apartheid und die liechtensteinischen Frauen um das Wahlrecht. In diesem Sinne wäre es auch notwendig, sich Gedanken darüber zu machen, wie der letzten Gruppe unserer Gesellschaft, die noch kein Wahlrecht besitzt, dieses gewährt werden könnte.

Der erste Schritt in dieser Richtung wurde in den meisten westlichen Demokratien getan durch Herabsetzung des Wahlalters. Dies hat freilich seine Grenzen, infolgedessen muß überlegt werden, auf welche Weise die Kinder zum Stimmrecht gelangen könnten. Hier sind zu unterscheiden gewisse indirekte Methoden, etwa das Abhängigmachen der Zahl der Mandate von der Zahl der Einwohner einer Region und nicht nur von der Zahl der Wähler. Hier wären die Kinder zumindest quantitativ mitinbegriffen. Dazu kommen direkte Methoden, die den Kindern ein Wahlrecht zusprechen, welches durch ihre gesetzlichen Vertreter auszuüben wäre.

Als Vertreter kommen zunächst in Betracht die Eltern, die sich, wenn möglich, auf die Ausübung des Stimmrechtes einigen sollten; falls sie politisch unterschiedlicher Uberzeugung sind, müßte man Lösungen finden in der Art, daß etwa die Väter für die Söhne, die Mütter für die Töchter das Stimmrecht wahrnehmen oder ähnliches. Natürlich wäre die Ausübung des Stimmrechtes auch möglich durch sonstige gesetzliche Vertreter bei Waisen und so weiter.

Ohne mich jetzt als Nicht-Jurist bei den Juristenproblemen aufhalten zu wollen, möchte ich gleich die politisch-ökonomischen Konsequenzen herausarbeiten. Die Ausübung des Stimmrechtes bedeutet für die begünstigten Gruppen, daß die Politiker als Stimmenmaximierer genötigt sind, auf sie Rücksicht zu nehmen. Ohne den Politikern vorwerfen zu wollen, daß sie die Gruppe der Kinder mangels Stimmrecht bisher nicht genügend im Visier gehabt hätten, darf man doch die Feststellung wagen, daß die kinderreichen Familien in unserer Gesellschaft sozial am schlechtesten dastehen.

Nur ein vergrößertes Stimmengewicht dieser Gruppe wird eine gleichmäßige Behandlung in finanzpolitischen Fragen im allgemeinen und bei der Gestaltung des Budgets im besonderen sicherstellen. Die Debatte in der Bundesrepublik Deutschland über die Begünstigung der Familien spricht in dieser Hinsicht Bände. Im einzelnen könnte man sich vorstellen, von der Seite der Steuerpolitik, daß das Kinderstimmrecht das Familien-Splitting zur Folge haben würde, das heißt, das Einkommen einer Fa-müie wird zusammengezählt, durch die Anzahl der Mitglieder dividiert und dann erst der Besteuerung unterworfen.

Dies bedeutet eine entsprechende Progressionsmilderung und eben die Berücksichtigung der Tatsache, daß von einem Einkommen mehrere Personen zu leben haben. Fairerweise könnte man durch Berücksichtigung der Tatsache, daß Kinder weniger kosten als Erwachsene, für die Kinder ei-r nen geringeren Divisor als Eins ansetzen, wie dies beispielsweise in Frankreich geschieht. Auf der Seite der Sozialausgaben würde sicherlich das Kindergeld sich stärker an der Höhe der Altersrente orientieren oder am Krankengeld, als dies heute der Fall ist.

In einer Marktwirtschaft sind ja alle jene Gruppen, die noch nicht (Kinder), nicht mehr (Alte) oder zur Zeit nicht (Kranke) dem Markt etwas zu verkaufen haben, auf die Solidaritätshilfe angewiesen. Diese Hilfe erfolgt aufgrund des Subsidiaritätsprinzips, im wesentlichen zunächst einmal innerhalb der Familie, und geht dann über die Gemeinde und die

Kirche bis zum Staat. In diesem Zusammenhang darf hervorgehoben werden, daß die katholische Kirche bei den Wahlen zu den Pfarrgemeinderäten bereits das Kinderstimmrecht zubilligt.

Uber Steuern und Sozialleistungen hinaus ist die Kinderzahl natürlich bei der Wohnungsvergabe, bei der öffentlichen Besoldung usw. in Anschlag zu bringen. So, wie das Frauenstimmrecht allmählich die Gleichberechtigung der Frauen erzwungen hat bzw. noch weiter erzwingen wird, so wird dies auch mit der Gleichberechtigung des Kindes ablaufen. Dies wird freilich ein langfristiger Prozeß sein, bei welchem ins Kalkül zu ziehen ist, daß unsere sogenannte dynamische Rente auf längere Sicht nur ausgezahlt werden kann, wenn es genügend Kinder gibt, die den sogenannten Generationenvertrag einhalten können bzw. wollen.

Schon jetzt muß man sich fragen, ob der Generationenvertrag ein aufgezwungener Vertrag mit Unmündigen ist, ja mehr noch, ob nicht die Aktion „Geborene für Ungeborene" auch ökonomisch darauf abzielt, genügend Vertragspartner in der Zukunft zu finden. Es müßten diejenigen, die, aus welchen Gründen auch immer, keine Kinder haben, ihre Renten eher in der klassischen Form des Kapitaldeckungsstock -verfahrens finanzieren, oder sie müßten sich eben im Gefolge des Kinderstimmrechtes mit gewissen Besserstellungen der kinderreichen Familien abfinden, denn dies ist der Garant für die Zahlung der dynamischen Renten.

Wenn zu Anfang Liechtenstein zitiert wurde, so darf hervorgehoben werden, daß nach Ansicht des regierenden Fürsten von Liechtenstein das Frauenstimmrecht ein Menschenrecht ist und eigentlich nicht durch Rechtsetzungsaktionen erst gewährt werden müßte. Ich würde diesen Gedanken auf das Kinderstimmrecht ausweiten.

Freüich werden die politischen Widerstände gegen seine Einführung groß sein, je nachdem, welche politische Partei und welcher Interessenverband sich von seiner Einführung Nachteile verspricht. Das Kinderstimmrecht darf aber nicht aufgrund einer Kosten-Nutzen-Analyse verweigert werden.

Der Autor ist Ordinarius für Politische Ökonomie an der Leopold Franzens-Univer-sita't Innsbruck.

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