Kinder an die Urne? - © llustration: Florian Zwickl (unter Verwendung von iStock, A-Digit)

Maulkorb in puncto Politik

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Dass Kinder vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, widerspricht dem Grundgedanken der Demokratie. Erwachsene sind nicht per se rationaler. Ein Plädoyer für mehr Mitspracherecht.

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Dass Kinder vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, widerspricht dem Grundgedanken der Demokratie. Erwachsene sind nicht per se rationaler. Ein Plädoyer für mehr Mitspracherecht.

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Eine Grundidee der Demokratie lautet, dass die von einer Thematik betroffenen Personen über diese auch mitbestimmen sollten. Dieses Ideal ist in der Praxis kaum zu erreichen, schon gar nicht in Zeiten der Globalisierung, wo sich Entscheidungen an einem Ort der Welt auf den ganzen Globus auswirken können. Doch auch in Österreich und anderen Nationalstaaten ist man weit davon entfernt, dem Prinzip gerecht zu werden. So sind zwei Gruppen in der Regel überall von der entscheidenden Mitbestimmungsmöglichkeit – dem Wahlrecht – ausgeschlossen: Kinder und Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft. Ob dieser Ausschluss gerechtfertigt ist, wird öffentlich kaum diskutiert. Auf den ersten Blick scheint es sonnenklar: Das Wahlrecht ist nun mal an die Staatsbürgerschaft und ein gewisses Alter gebunden. Das war immer und überall so. Wozu also darüber diskutieren? Genauer betrachtet ist die Sache aber nicht so eindeutig. So fordern MigrationsforscherInnen etwa seit Langem einen leichteren Zugang zum Wahlrecht für Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft – zumindest auf kommunaler oder regionaler Ebene. Auch eine Senkung des Wahlalters wird in Politik- und Rechtswissenschaft diskutiert.

Fragen der Zukunft in Kinderhand?

Denn gerade die letzten Jahre haben sehr deutlich gezeigt, dass die Politik über existenzielle Fragen der Zukunft bestimmt, von denen insbesondere Kinder betroffen sein werden. Der Altersgap bei der Abstimmung über den Brexit, für den hauptsächlich ältere WählerInnen eintraten, ist da noch das kleinere, weil regional eingrenzbare Problem. Langfristig und global betrachtet sind der Klimawandel und die autoritäre Wende das größere Malheur, mit dem die heute Minderjährigen später zu kämpfen haben werden. Aber kann man ernsthaft ein Wahlrecht für Kinder erwägen?

Werfen wir mal einen Blick auf die verschiedenen Argumente, die gegen ein solches Vorhaben ins Feld geführt werden: Das erste und wohl wichtigste lautet, dass Kinder nicht mündig seien für Politik. Philosophisch betrachtet bedeutet Mündigkeit die Fähigkeit, sich seines eigenen Verstands zu bedienen. Wenn es um Politik geht, wird Kindern diese Form der Mündigkeit meist ohne weitere Debatte abgesprochen. Sie könnten sich ihres eigenen Verstandes eben noch nicht derart bedienen, um rationale Entscheidungen zu treffen. Doch das Argument hinkt, denn wenn man die Fähigkeit zu rationalen Entscheidungen als Voraussetzung für das Wahlrecht heranzieht, dann stellen sich unzählige weitere Fragen: Sind Erwachsene per se rational? Haben sie etwa alle immer den Mut, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen? Sind sie nicht manipulierbar und immer in der Lage, verantwortungsvoll zu agieren? Immanuel Kant hat in seinem wichtigen Aufsatz über die Aufklärung beklagt, dass dies genau nicht der Fall sei – die Menschen seien oft zu faul und zu feig dazu. Es spricht wenig dafür, dass sich dies­ seit dem 18. Jahrhundert gravierend verändert hätte. Abgesehen davon ist in einer Demokratie die Rationalität vom Zweck abhängig, da es um unterschiedliche Interessen geht. Wie sollte man also entscheiden, welches Wahl-Verhalten als rational oder mündig gelten kann und welches nicht und wer zur Anwendung seines Verstandes überhaupt mutig genug ist? Erwachsensein allein sagt darüber herzlich wenig aus. Dass umgekehrt viele Kinder auch in gesellschaftlichen Belangen ganz erstaunlich mutig und rational agieren, bestätigt dies nur.

Langfristig betrachtet sind der Klimawandel und die autoritäre Wende das größte Malheur, mit dem die heute Minderjährigen ­später zu kämpfen haben werden.

Freilich stellt sich bei all dem die Frage, ab wann ein junger Mensch überhaupt vom Kind oder Jugendlichen zum Erwachsenen wird. Darüber ließe sich lange philosophieren. Der Einfachheit halber kann man sich aber auch die Gesetze über Mündigkeit in Österreich anschauen. Juris­tisch betrachtet bedeutet Mündigkeit so viel wie Geschäftsfähigkeit oder Deliktfähigkeit. Volljährig ist man ab 18. Zwischen 14 und 18 gelten junge Menschen vor dem Gesetz als mündige Minderjährige. Man traut ihnen also zu, über Einkommen aus eigenem Erwerb sowie über Sachen, die ihnen zur freien Verfügung überlassen werden, selbst zu verfügen und Geschäfte einzugehen. Auch strafrechtlich werden sie – wenn auch eingeschränkt – zur Verantwortung gezogen. Wählen können sie in Österreich allerdings erst ab 16. In den meisten anderen Staaten sogar erst ab 18. Beschränkt geschäftsfähig sind in Österreich sogar Kinder zwischen 7 und 14 Jahren, d. h. sie dürfen so genannte altersübliche, geringfügige Geschäfte des täglichen Lebens abschließen. Man könnte etwas sarkastisch hinzufügen: Als Konsumenten sind die Kinder gern gesehen, aber politisch sollen sie lieber den Mund halten. Für Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft scheint dies übrigens genauso zu gelten. Interessant ist außerdem, dass Menschen, die besachwaltet werden, in Österreich zwar ihre Geschäftsfähigkeit verlieren, nicht aber ihr Wahlrecht.

Wie man es auch dreht und wendet: Dass Menschen unter 16 kein Wahlrecht haben, lässt sich mit dem Argument der mangelnden Mündigkeit nicht durchgängig begründen. Es ist ein historisch gewachsenes Phänomen, das uns daran erinnert, dass mit den gleichen fadenscheinigen Argumenten über Jahrhunderte hinweg auch den Frauen die Mündigkeit abgesprochen und das Wahlrecht verwehrt wurde. Was bleibt dann also? Manche meinen, Kinder und Jugendliche müssten vor politischen Spielchen und Wahlkampfmanipulation beschützt werden. Nun, das ist ein ebenso schwaches Argument. Zum einen behauptet man das nicht, wenn es um Produktwerbung geht – hier sind Kinder eine besonders beliebte Zielgruppe. Zum anderen nehmen Kinder und Jugendliche gerade in einer medial so vernetzten Welt politische und gesellschaftliche Debatten ohnehin wahr. Sie davor abgrenzen oder „beschützen“ zu wollen, wäre auch pädagogisch fragwürdig. Gegen Manipulationsgefahr kann am besten die Verstärkung der politischen Bildung in der Schule, angelegt als Demokratiebildung, wirken.

Jugendparlamente als Innovation

Wie die Fridays-for-Future-Bewegung zeigt, fordern immer mehr junge Menschen geradezu ein, politisch mitreden zu können und gehört zu werden. Durch patriarchalische Gesten oder stockkonservative Hinweise auf die Schulpflicht lassen sie sich bestimmt nicht davon abhalten, ihren Protest zu äußern. Möglicherweise wird durch die Bewegung auch die Forderung nach einer Senkung des Wahlalters lauter vernehmbar.

Analog zum Status mündiger Minderjähriger wäre 14 Jahre ein denkbarer Vorschlag. Warum sollte man das passive Wahlrecht nicht ab diesem Alter schon haben? Neben dieser für viele sicher unvorstellbaren Reform könnten weitere Schritte der Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen ins Politische im Zuge von demokratischen Innovationen wie Jugend- und Kinderräten oder themenbezogenen Entscheidungsabläufen stattfinden. In manchen europäischen Städten werden etwa partizipative Budgets von StadtbewohnerInnen ab dem 12. Lebensjahr und unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft beschlossen. Auch Parlamente von Kindern und Jugendlichen, die hin und wieder zusammentreten und zumindest konsultativen Charakter haben, wären ebenso denkbar. In jedem Fall gilt: Wo Entscheidungen über existenzielle Zukunftsfragen getroffen werden, können die jungen Menschen nicht außen vor gelassen werden, denn sie sind diejenigen, die diese Entscheidungen ausbaden müssen.

Der Autor ist Politikwissenschaftler an der FH Salzburg mit Schwerpunkt auf Demokratie-Fragen, Europa und Partizipation.

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