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Erziehung zur Kunstfremdheit?

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Es kann nicht geleugnet werden, daß ehrenwerte Männer und Frauen bemüht sind, unserer Jugend in den Schulen jenes vielfältige Wissen zukommen zu lassen, das in seinem Zusammenklang „bildend“ zu wirken vermag. Wenn auch das erstrebenswerte Bildungsideal noch keineswegs in einer klaren, eindeutigen, umfassenden Form erkennbar wird, die wünschenswert wäre. Wenn auch unleugbar durch Überschätzung reiner Wissensanhäufung allzu oft dem kindlichen Gehirn mehr zugemutet wird, als dieses aufnehmen und verarbeiten kann. Wenn auch das Ziel der Bildung: die universell gebildete, im Geiste demokratischer Freiheit erzogene, mit dem lebendigen Erbe abendländischer Kultur und Zivilisation vertraute Persönlichkeit, noch der nötigen Eindeutigkeit entbehrt und die Ansichten der Verantwortlichen weit auseinandergehen. Wenn also so manches noch sehr unklar und im Werden ist, so wollen wir doch diesen ehrenwerten Frauen und Männern, deren fachliches Wissen außer Zweifel stehen mag, zubilligen, daß sie ihr Bestes zu tun gewillt sind. Aber — wir können uns damit nicht beruhigen. Steht doch zu viel auf dem Spiel: der Mensch der Zukunft, der europäische Mensch, der österreichische Mensch. Unsere Jugend, unsere Zukunft!

— Es kann uns nicht gleichgültig lassen, ob ein den praktischen Erfordernissen eines technischen Zeitalters angepaßter Roboter — oder ob ein voller und ganzer Mensch herangebildet wird. Ob die Schuljahre, die Jahre der großen Aufnahmsfähigkeit und Aufnahmsbereitschaft, benutzt werden, um Bestandteile einer Maschine, eines Schreibtisches oder eines Verkaufspultes zu formen — oder freie Menschen, die dann in der Lage sind, nicht nur ihren Unterhalt zu erwerben, sondern auch zu leben — wirklich zu leben. Nicht nur arme Wochenendmenschen, die durch einseitige Fachbildung hilflos und unselbständig einem organisierten Freizeitbetrieb ausgeliefert sind — sondern Persönlichkeiten, die, ihren Veranlagungen entsprechend, teilhaben an den geistigen Werten einer immerhin noch vorhandenen und lebendigen kulturellen Entwicklung. Ob Banausen erzogen werden, die sich willig lenken lassen, oder Menschen, die aufgeschlossen sind dem Schönen, dem Edlen, dem Guten. — Gewiß, die Zeit ist hart und die materiellen Nöte sind groß. Man muß aber mit Recht bezweifeln, ob ein Kind, ob ein junger Mensch, den man in den Jahren, in welchen er noch nicht ums tägliche Brot zu kämpfen hat, mit wertvollen — wenn auch scheinbar unpraktischen — Dingen vertraut macht, ob solch ein Mensch deswegen späterhin lebensunfähig und unpraktisch werden müsse? Oder ob nicht eher im Gegenteil ein — entsprechend seiner Schulerziehung — wirklich gebildeter junger Mensch nicht wertvollere Arbeit leisten wird als ein einseitig „geschulter“?

Anscheinend gibt es noch immer Menschen, welche fürchten, es könne zum Beispiel die Weiterbildung des in jedem Kinde vorhandenen Kunstsinnes sich im „praktischen Leben“ als hinderlich erweisen. Als wäre Kunstfreudigkeit und Kunstgenuß ein Luxus, den sich nur wenige Auserwählte und materiell besser Gestellte erlauben dürften! Denn sonst würde doch der Weiterbildung des Kunstsinnes mehr Augenmerk zugewandt werden? — Nicht daß nüchterne Wissensvermittlung in Form von Kunstgeschichte oder irgendwelcher Kunstbetrachtungstheorien, welche nur als neuer Lernstoff, als neue Belastung empfunden würden, genügten. Schaden dürfte es ja kaum, wenn Kinder an Stelle der unzähligen Schlachten und kriegsgeschichtlichen Jahreszahlen, einmal mehr mit den friedlichen Werten zumindest unserer europäischen, insbesondere unserer österreichischen Kulturentwicklung. vertraut gemacht würden. Was natürlich mit diesen Kenntnissen vertraute Lehrer voraussetzt, Doch diese rein theoretische Wissensvermittlung allein kann nicht helfen. Nur allzu leicht wird sie zu einem erzwungenen Lern- und Prüfungsstoff und bewirkt das Gegenteil des Erstrebten, bildet nicht, sondern belastet bloß. Mehr als einer trockenen Lehrstoffvermittlung ist das Kind, ist der junge Mensch den Einflüssen seiner täglichen Umwelt geöffnet. Es ist nicht gleichgültig für die Bildung der Jugend, ob sie die Hauptzeit ihrer jungen Jahre in häßlichen, lieblos und unästhetisch gestalteten Räumen verbringt oder — mit den vorhandenen Mitteln und Möglichkeiten — schön und zweckentsprechend gestalteten. Ob im Schulzimmer irgendwelche' kitschige, alte, der kindlichen Aufnahmsfähigkeit fremde und langweilige Bilder hängen oder zeitgemäße Reproduktionen von Kunstwerken alter und neuer Künstler. Und im wesentlichen sogar neuer, lebendiger Künstler, die unsere Zeit zu deuten vermögen und in ihrer Art dem kindlichen Kunstsinn, soweit er noch nicht verdorben oder nach der Pubertät verdorrt ist, näher stehen, als irgendwelche belanglose und nichtssagende Schwarten. Ob die Schulgänge und -stiegen besser auf die so aufnahmsfähigen Kinder wirken, und bildender, wenn sie in ihrer lieblos-nüchternen oder geschmacklos verzierten Öde den Anschein und die Stimmung von Gefängnissen erregen oder wenn die Verantwortlichen sich bemühen würden, ihr Bestes zu tun, um auch da ihre Erziehungskünste zum Schönen, zum maßvoll Proportionierten wirksam werden zu lassen? Gewiß, es fehlt an den Mitteln. Gewiß, Ausspeisungen sind wichtiger, aber sollen deswegen die Kinder geistig unterernährt bleiben? Zum Ungeschmack erzogen werden? Zur Kunstfremdheit? Viel mehr — sagen wir es ehrlich — als an den nötigen materiellen Mitteln, fehlt es an der nötigen Wertung solcher Geschmackserziehung, an der wirklichen Achtung vor solchen kunsterzieherischen Fragen und an der entsprechenden Unterstützung der Gutgewillten. Wird nicht bereits der dem gewohnten Schulbetrieb näherstehende Zeichenunterricht allzuoft als Nebensächlichkeit bagatellisiert? Wird durch ein solches Vorgehen in den Kindern nicht bereits die banausenhafte Mißachtung alles Künstlerischen geweckt und großgezüchtet? Und dies in einer Stadt, in welcher der große Jugendkunsterzieher Cizek gewirkt hat und in seinen Schülern weiterwirkt? Weiterwirken könnte, .wenn man nicht den Wert einer solchen Bildungsaufgabe unterschätzen würde! Wenn man den Wert solcher Bildung gering achtet und etwa komplizierten Rechenaufgaben oder sinnlosen Gedächtnisübungen mehr Bedeutung zu mißt — dann wird auch das Ergebnis: der schulentlassene junge Mensch, da-danach aussehen! Oder die Schulbücher! Daß die meisten ja erst gedruckt werden müssen, kann zum Segen gereichen. Falls diese neuen Bücher in jeder Hinsicht einwandfrei sind. Nicht nur inhaltlich — auch in ihrem Aussehen. Ein wohlgeordnetes Satzbild hat vielleicht mehr Einfluß, ein guter und schöner Einband mehr erzieherische Wirkung, als eine noch so gut gemeinte theoretische Belehrung. Wir wollen hoffen, daß bei den verantwortlichen Stellen darauf Rücksicht genommen wird. Ich sah einmal ein Lesebuch und erschrak. Anscheinend gefügige Zeichner unterordneten sich da dem mangelhaften Geschmack der Auftragsgeber und von künstlerischer Gestaltung war nichts mehr zu bemerken. Haben wir nicht namhafte Künstler? Haben wir nicht ausgezeichnete Gebrauchsgraphiker? Die einem Schulbuch ein Gewand zu geben imstande sind, das sich sehen lassen kann? In der Schweiz wurde vor Jahren ein Religionsbuch herausgebracht, das auch in seiner buchtechnischen Ausstattung vorbildlich genannt werden muß und von den für dieses Thema am besten geeigneten modernen Künstlern mit Bildern versehen wurde. Das ist nicht eine Frage des Geldes, des Materials, sondern wesentlich eine Frage des guten Willens und des gebildeten Geschmacks der Auftraggeber und Hersteller. Eine Frage des Verantwortungsgefühls. Kunstfremde Menschen mögen in wahrer Selbsterkenntnis die Finger davon lassen. Mögen sich nicht einmischen. Wir sind noch meilenweit davon entfernt, daß Kunstverstehen Allgemeingut wäre. Leider. Desto notwendiger wäre es aber, daß den angehenden Lehrern und Professoren wenigstens eine gewisse Ahnung von der Bedeutung, vom Sinn und Wesen der Kunst gegeben würde, damit sie — wenn Kunstfremdheit sie. plagt — wissen, daß es sich um etwas handelt, das nicht einfachhin als nebensächlich abgetan werden darf. Schon ein gutes, umfassendes und in die Probleme der Kunst einführendes Buch für Jugendbildner, wäre imstande, blamable Ahnungslosigkeit zu verhindern.

Es ist arg genug, welchem Kitsch, welchen Häßlichkeiten die Kinder auf der Straße ausgesetzt sind. Dutzendbilder, am laufenden Band gepinselt, täuschen vor „Kunstwerk“ zu sein und füllen die Auslagen mancher Geschäfte. Kitschige Kinoplakate und nicht minder kitschige Titelblätter irgendwelcher Zeitschriften beeindrucken ahnungslose Kinderaugen. Gewöhnen die Jugend an billigen Schund und heroisierte Kriminalität. Vom ästhetischen Gesichtspunkt nicht minder verderblich, als vom ethischen, vom moralischen. Denn Schmutz und Schund muß das genannt werden, was echten, wertvollen menschlichen Geist durch unechtes und wertloses Machwerk verdrängt. Was aber, wenn die Jugend, oft genug aus kunstfremdem Heim kommend, von Unkunst und Ungestalt auf der Straße überfallen, auch in der Schule nicht jene Widerstandskraft vermittelt bekommt, durch die sie geschützt wird vor den Einwirkungen verlogenen Kitsches? Erziehung zur Kunstfremdheit — oder Erziehung zum freien, urteilsfähigen, aufgeschlossenen, kunstfrohen, zum wahlhaft gebildeten Menschen? Die Antwort ist klar.

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