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Jugend und Politik

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Sie alle kennen das berühmte Zitat von G. B. Shaw, daß ein Mensch, der mit 20 Jahren nicht Sozialist sei, kein Herz habe, und wenn er es mit 40 immer noch sei, keinen Verstand. Nun, das ist eine gewisse ironische Selbstreflexion des Mannes, denn er ist ja bis zum Ende seines Lebens Sozialist geblieben. Trotzdem erhält dieser Ausspruch in einer sehr komprimierten Form eigentlich drei Aussagen: erstens das unterscheidbare Verhalten von Jugendlichen und Erwachsenen, zweitens, daß das Verhalten der Jugendlichen gesellschaftskritisch und reformerisch sei (Sozialismus in seiner Zeit ist die Gesellschaftskritk, Reform der Gesellschaft in England), und drittens, daß in den Kontinuen des Lebensablaufes sich die Folge eines zunehmenden konservativen Verhaltens einstellt: Verstand, die „ratio“, die die entwickelten Interessen verteidigt.

Jugend — wer Ist das?

Lassen Sie mich zunächst einmal beginnen, oberrational zu definieren. Wir greifen in der Jugend diejenige Gruppe von Menschen heraus, die sich etwa im Alter zwischen 14 und 25 Jahren befindet. Das heißt, eine Gruppe von Menschen, die, wie wir wissen, von psychologischen Forschungen her ihre Trieb- und Motivstruiktur weitgehend ausgebildet hat In den ersten Jahren des Lebens, vor allem aber zwischen dem 6. und 14. Lebensjahr, zeigen etwa die Untersuchungen über Leistungsmotivationen deutlich, wie hier die wesentlichen Fundamente gelegt werden; im Lernprozeß und der ständigen Sozialisation des Kindes. Eine Gruppe, die sich weiterhin, wiederum als Hypothese formuliert, zunächst einmal dadurch auszeichnet, daß ihr Selbstverständnis, ihre Definition ihrer sozialen Rolle sehr unsicher ist, ihr eigener Status in eine kritische Phase gerät oder in einer kritischen Phase sich befindet, die eben nicht bloß umschrieben ist mit der Phase der biologischen Pubertät und psychologischen Reife, sondern auch des Hineinwachsens in soziale Rollen. Eine Gruppe, die sich in Konfliktsituationen psychischer Art befindet, nicht bloß in Rollenkonflikten, wie wir alle in verschiedenen Dingen, sondern Konfliktsituationen ganz spezifischer Art, nämlich zwischen dem Wertsystem des Elternhauses, Intimigruppe der Schule, dem Berufsleben und ihren eigenen Ansprüchen an Freizeit.

Karl Mangerer hat schon einmal davon gesprochen, daß diese Gruppe ein besonderes Lagerungsproblem besäße, das ein zeitlich begrenzter Abschnitt ist in einem Kontinuum des Lebensablaufes und daß hier auch von der Gesellschaft her besondere Probleme entstehen, nämlich die Notwendigkeit, gerade in diesem Alter Tradition der Gesellschaft mit politischer Kultur zu vermitteln, um die Kontinuität herzustellen. Man kann auch sagen, daß diese Gruppe ein besonderes Identifikationsproblem besitzt: sich selbst zu erkennen, und daß ihr vor allen Dingen wiederum, zunächst als Hypothese formuliert, die Einsicht in die Gesellschaft und vor allen Dingen ihre politischen Aspekte zunächst einmal befremdlich erscheinen, und daß sich aus dieser Gruppe erst einmal Bezugsgruppen herausbilden, das heißt Orientierungspunkte, an denen man sich nun wirklich, wie man sagt, orientiert.

Alle diese Tatsachen sind nun Anlaß und Ursache vieler Hypothesen über das Problem Jugend. So zum Beispiel die Konfliktsituation, die bei Renė König etwa auch als Quelle der Jugendkriminalität gesehen wird (genauso wie oft gesagt wird, daß sich aus dieser Konfliktsituation der Randalismus oder der Hollyganis- mus oder die Rockers oder was es da alles gibt zu erklären ist), als Grenzfall, als Protest. Die Statusunsicherheit wird oft als wesentlicher Grund für das Entstehen einer juvenilen Subkultur angesehen. Es gibt viele Beispiele, die eigentlich dafür sprechen: die eigene Sprache, das eigene Selbstverständnis in dieser Hinsicht, etwa die Teenagersprache bis hin zu 20, 25 Jahren. Das Generationsproblem, das, mit Mangerer gesprochen, als Lagerungsproblem einer spezifischen Generation Anlaß war für die posi- vistische Sicht, darin die Triebfeder des Fortschritts zu sehen, oder gerade in der deutschen Romantik Anlaß für die Tradition kultureller Werte. Die Sozialpsychologie wird hier ein besonderes Augenmerk auf die Internalisierung der Erwachsenennormen lenken, auf die spezifischen Probleme, die sich daraus ergeben. Die traditionelle politische Theorie hat eigentlich in . diesen Phänomenen die Ursache im juvenilen Radikalismus gesucht oder auch eines normativen Rigorismus, Ansprüche an das öffentliche Leben zu stellen, die sehr stark normativ bezogen sind, sozusagen ohne die praktische Erfahrung, ohne die wirkliche Kenntnis.

Sozialisation und Stabilität

Im spezifischen Sinne meines Themas, das spezifisch ein politisches Problem ist, daß in dieser Gruppe junger Menschen ein besonderer An- passungs- und Sozialisationsprozeß an die politische Kultur stattfindet und immer stattgefunden hat. Und daß gerade in diesem Sozialisationsprozeß und seinem Ergebnis für etwa ein demokratisches Staatswesen unausweichlich die Stabilitätsfrage mit verknüpft ist: ob es gelingt, diie Werte einer demokratischen, politischen Kultur und auch die Verhaltensweise, die verhaltensrelevanten Werte der demokratisch-politischen Kultur so zu tradieren und einen langen Prozeß in Gang zu bringen, daß diese Werte gelebt werden. Das gilt nicht etwa nur für die Bundesrepublik, das gilt sicherlich auch für andere Länder, und es gibt genug nordamerikanische Literatur, in der das betont wird, daß eben die politischen Normen und das politische Verhalten in einem politischen System von einer Generation zur anderen in diesem Zeitalter vor allen Dingen vermittelt werden müßte und daß hier unzweifelhaft und unausweichlich die Stabilitätsfrage für das politische System sich stellt; das heißt, ob hier nicht Verhaltensweisen entwickelt werden, die unter Umständen eben ein solches demokratisches Wertsystem in Frage stellen.

In der Bundesrepublik hat dies eine spezifische Bedeutung wegen der relativ kurzen Tradition demokratischer Verfassunigspolitik (relativ kurz, seit 1949, existiert das Grundgesetz).

In der Bundesrepublik stellt sich im besonderen oft die Frage, und sie wird auch gestellt, bei empirischen Untersuchungen und bei Darlegung der staatsbürgerlichen Bildung, inwieweit der demokratische Wertgedanke heute in der Jugend lebendig ist und wieweit die Verhaltensweisen, die als Bedingungen, nicht als logische Voraussetzungen einer demokratischen Staatsform angesehen werden müssen, inwieweit diese Verhaltensweisen heute entwickelt worden sind. Gerade auch unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg hat eine ganze Reihe von amerikanischen Theorien über den autoritären Charakter hier angesetzt und gefragt, ob bestimmte deutsche Institutionen nicht Verhaltensweisen tradieren, die dem demokratischen Wertgedanken nicht sehr tauglich sind.

Autoritäre Vorstellungen

Die autoritäre Staatsvorstellung, die aus dem Elternhaus, der deutschen Staatstradition, aus der Schule kommt, könnte eben den Charakter so formen, daß nachher die für die demokratischen Verhaltensweisen! notwendigen Internalisierungsprozesse nicht stattgefunden hätten. Darüber hinaus wird gefragt, wie diese Jugend die Zeitgeschichte, die unmittelbar jüngste Vergangenheit, verarbeitet habe. Im Augenblick befindet sich die staatsbürgerliche Bildung meiner Meinung nach in einem ziemlichen Umbruch, sie hat lange besonderen Nachdruck auf die Vermittlung formellen Wissens gelegt, was einen der Leiter der staatsbürgerlichen Bildungsstelle in München, einen Psychologen, zu dem polemischen Wort veranlaßt hat, daß hier das deutsche Bürgertum versuche, nachdem Politik lange in der deutschen Geschichte sozusagen abgelehnt worden sei, den Gotha-Adel durch den Goethe-Adel zu ersetzen; also Nachdruck auf das rein formelle Wissen — wer ist der Staatspräsident und wie wird er gewählt usw.

Die staatsbürgerliche Bildung befindet sich in einem Umbruch. Ich weiß, daß etwa die Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn im Augenblick eine Untersuchung ansetzte, eine sehr breite Untersuchung über die Jugendführer, um deren Verhaltensweisen wirklich empirisch zu ermitteln und nunmehr auch Voraussetzungen zu schaffen, in der staatsbürgerliche Bildung anders als nur formelles Wissen zu verbreiten. Es wird gefragt, wie es mit der Partizipation der Jugendlichen in der Politik ist, wobei ich hier am Rande vermerken darf, daß überhaupt diese Frage der Partizipation des Bürgers schlechthin an der Politik meines Erachtens oft falsch gestellt wird. Ich darf hier sagen, es gibt Vertreter, die glauben, daß die Demokratie nur dann funktioniere, wenn eine möglichst vollkommene Partizipation des Bürgers mit einem sehr hohen Informationsgrad an der Politik erreicht werden könne. Ich würde meinen, daß das ein ebenso großes Überspitzen bedeutet wie etwa die Annahme, daß ein politisches System bei einem sehr niedrigen Informationsgrad der Politik funktionieren könne. Es ist eine Frage des Zusammenhanges zwischen Institution und demokratischer Verhaltensweise, die mir als geraten erscheinen läßt, auch in der Partizipation nach einem Optimismus zu fragen und die totale Radikalisierung und Politisierung im Grunde genommen zu vermeiden.

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