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Den einen nehmen, den anderen geben

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Nicht nur mit Worten, sondern auch um Worte läßt sich trefflich streiten. Was ist, heißt oder meint „sozial" und „gerecht"? Zumal dann, wenn man die beiden Inhalte zueinander führen will?

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Nicht nur mit Worten, sondern auch um Worte läßt sich trefflich streiten. Was ist, heißt oder meint „sozial" und „gerecht"? Zumal dann, wenn man die beiden Inhalte zueinander führen will?

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Zunächst liegt es ja nahe, eine contradictio in se anzunehmen: sozial hat mit (gemeinschaftlicher respektive gesellschaftlicher) Teilnahme und Teilhabe zu tun und wird im allgemeinen Sprachgebrauch auch mit gemeinnützig, hilfsbereit oder auch ausgleichend und angleichend, allenfalls sogar „umverteilend" assoziiert. Wenn jemand sich sozial verhält, hat man das Gefühl, er tut etwas, das man vielleicht tun sollte, aber nicht unbedingt muß.

Mit der Gerechtigkeit verhält es sich anders: ob man von einer naturrechtlichen oder positivistischen Auffassung ausgeht, hier spielt immer eine Art von Legitimität eine Rolle -ob es nun „Gleiches gleich behandeln" oder „Jedem das Seine" heißt: es gibt einen rechtlichen Rahmen, der das definiert.

Oder doch nicht wirklich? Denn wie verhält es sich dann mit sozialer Gerechtigkeit, Gemein wohlgerech-tigkeit, um die Eckpunkte der großen Ideologien als Reaktion auf die „bloße Marktgerechtigkeit" ? Selbst der Liberalismus kennt ja den Begriff „Fairneß", dem eine soziale Dimension im weitesten Sinn nicht abzusprechen ist. Auch das kann aber kaum verrecht-licht noch verordnet werden, wie es eben auch dem „sich sozial verhalten" im Sinne von karitativem oder Gemeinwohlverhalten immanent ist. In gewisser Hinsicht tut der Staat oder muß die Politik das aber doch tun, um den mühevollen Spagat zwischen dem Anspruch an eine sowohl soziale wie gerechte Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zustande zu bringen: mit dem Effekt, daß nie alle zufrieden sind, oder auch nur das „größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl" zu erreichen ist. Wann immer Politik für jemanden etwas tut, jemandem etwas gibt, fehlt das irgendeinem anderen, der sich dann weder gerecht noch sozial behandelt fühlt.

Besonders deutlich wird das an Beispielen, die inhaltlich mit der Arbeitswelt, dem Verhältnis von Mann und Frau beziehungsweise der Generationen untereinander zu tun haben, und die formell über Versicherungs-, Besteuerungs- und Subventionsprinzipien abgehandelt, teilweise aber auch via „Markt" geregelt werden. So gibt es nicht wenige, oft eher oder auch nur vermeintlich „einfache" Berufsfelder, die zweifelsfrei „systemerhaltend" wirken, aber viel schlechter bezahlt sind als Absolventen kurioser Studienzweige, denen der Weg ins fakultative Erwerbsleben immerhin noch mit, staatlichen Stipendien gepflastert wird.

Hier aber ein nächster Punkt: die Chancen eines Studenten, dessen Eltern unselbständig erwerbstätig sind, ein Stipendium zu erlangen, sind wesentlich klarer und restriktiver definiert als diejenigen von Kindern Selbständiger mit zahlreichen „einkommensmindernden" Abschreibmöglichkeiten. Wobei aber wieder zum Beispiel die Arbeitszeit eben jener Selbständigen keineswegs gesetzlich geregelt ist und Überstunden Privatvergnügen sind - die Unselbständigen mit Zeit oder Geld abgegolten werden - in einem oft so begehrenswerten Maße, daß durch die verständliche Bereitschaft dazu die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze blockiert wird: dies obwohl sich bei zunächst niedrigen Arbeitslosenraten in Österreich die Zahl der Notstandshilfebezieher von 1987 bis 1997 verdoppelt hat.

Wobei Notstands- und Sozialhilfebezieher auch ihre „Privilegien" haben: das steuerfreie Jahreseinkommen kann gut und gern um etliche tausend Schilling höher sein als das von Kleinverdienern ... Dafür haben sie nicht, was manche, aber durchaus wieder nicht alle Arbeitnehmer haben: Dienstwohnung (oder gar Dienstwagen), vom Betrieb finanzierte oder mitfinanzierte Zusatzversicherung oder Zusatzpension, Kuranstalten und Ferienwohnungen. Aber immerhin: die einen wie die anderen kommen, sofern sie verheiratet sind und (am besten mehrere) Kinder haben, in den Genuß aller möglichen Familienermäßigungen: von der Seilbahn bis zum Hallenbad.

Benachteiligte Frauen

Alleinerziehende haben diese Möglichkeiten in aller Begel nicht, und zur Strafe für ihren Status müssen sie auch eine verkürzte Karenzzeit akzeptieren, weil sie keinen Partner haben, der mit ihnen „halbe-halbe" macht. Und so geschieht es ihnen ganz recht, daß der „Begelbedarf" an Unterhalt für ihre Kinder oft nur ein Viertel dessen beträgt, was den Abkömmlingen Begüterter zusteht. Wobei die Härte für die Eltern-(teile) letzterer demnächst ja wohl durch steuerliche Absetzbarkeit gemildert werden dürfte. Chancen, die sich (allenfalls unfreiwillig) Kinderlose selbstredend verbaut haben - für sie wird immerhin schon dort und da eine „Strafsteuer" erwogen, weil sie nichts zur Sicherung der - höchst unterschiedlichen - Pensionssysteme tun -ihre eigenen Beiträge sind ja nicht der Bede wert. Es sei denn, sie sind in einem der nach wie vor begünstigten Arbeitsfelder tätig — dann können sie entweder immer noch ein bißchen früher als andere mit passablen Bezügen in den Buhestand treten, oder ein wenig später mit einem Maximum.

Zumindest innerhalb einer Übergangsfrist oder „Einschleifregelung", wie es so schön heißt.

Problematischer ist das allerdings, wenn es um eine Frau geht. Natürlich werden Kindererziehungszeiten anerkannt, aber, so viele Sprößlinge es auch sind beziehungsweise waren, die Altersabstände müssen passen, und

„tatsächlich pensionsbegründende" Arbeitszeiten müssen in ausreichendem Maße vorliegen - das ist nun einmal das Versicherungsprinzip. Sonst muß die Frau sich eben mit der Hinterbliebenenpension zufrieden geben - sofern ihr nicht irgendwann der Ehegespons abhanden gekommen ist und etliche anderwärtige Verpflichtungen eingegangen ist...

Aber selbst i m Falle einer regulären Eigenpension wird diese meist wesentlich niedriger ausfallen als bei einem Mann mit vergleichbarer Vorleistung: trotz Objektivierung und Gleichbehandlung liegt bei der Einstufung und Entlohnung von Frauen noch einiges im argen. Aber die Frage der Einkommensgerechtigkeit ist natürlich nicht nur geschlechtsspezifisch zu sehen, sondern auch altersbezogen: das „Senioritätsprinzip" in der Arbeitswelt benachteiligt die Jungen in der Familienaufbauphase und begünstigt die Älteren - aber nur so lan -ge, bis diese für den Betrieb „zu teuer" und eine Zahl in der Statistik der Langzeit- und Altersarbeitslosigkeit werden. Nachdem Frühpensionierungen mittlerweile schwerer erreichbar sind, ergibt sich vielleicht das „Glück", krank und behindert und damit Pflegegeldbezieher zu werden so kann man wenigstens den Dachbodenausbau im Haus der Kinder oder das Moped des Enkels finanzieren - die pflegende (Schwiegertochter ist ja „durch den Mann" abgesichert ...

Wer profitiert?

Daß für Leistungen bezahlt werden sollte, ist aber auch anderswo nicht selbstverständlich. Fußballstadien und Opernhäuser werden subventioniert, von den Steuergeldern aller, obwohl sie nur von einem Bruchteil der „Zahler" frequentiert werden. Sollte man hier „Tarifwahrheit" einführen? Dann könnte aber kein Kleinverdiener mehr zu einer Sportveranstaltung oder ins Theater gehen. Und mit der ökonomischen „Ümwegren-tabilität" hätte es auch schnell ein Ende ...

Im übrigen zahlen auch die Nicht-.Autobesitzer beim Straßenbau mit, und die Motorisierten beim Defizit der öffentlichen Verkehrsmittel. Davon wissen die meisten gar nicht viel, sie tun es in einer stillschweigenden (nie offen nachgefragten) Solidarität. Und das ist eigentlich das Zauberwort, mit dem „sozial" und „gerecht" verknüpft werden kann. Jeder gibt einmal dort und nimmt einmal da, und darüber gibt es ein Minimum an Einverständnis und Verständnis. Keine Politik und keine Ideologie kann de lege bewirken, was schon unter einzelnen Menschen nur im Miteinander, Zueinander und Füreinander gelöst werden kann.

Immerhin spricht schon die griechische Philosophie von einer „ausgleichenden Gerechtigkeit" zwischen den einzelnen und einer „austeilenden Gerechtigkeit" des Staates. Und im Mittelhochdeutschen bedeutet „gerecht" einfach „richtig, passend, tauglich". Eine taugliche Definition.

Die Autorin ist

Universitätsprqfessorin in Linz und Furche-Kolumnistin.

Weniger Weihnachtseinkäufe — (k)eine Überraschung

Hans P. Halouska

Zitat aus der „Presse": Der Handel ist „schwer angeschlagen". Nach einem 3,5prozentigen Umsatzrückgang in den ersten drei Quartalen kam der Tiefschlag für die Kaufleute" zu Weihnachten mit einem Minus von 5,2 Prozent.

Irgendwie erinnert's an die meistens peinlichen Interviews im Zielraum von Schirennen: Wo haben Sie die zwei Hundertstel verloren, was haben Sie falsch gemacht?

Wie fit kann eine Branche noch gewesen sein, die nach einem Umsatzrückgang um dreieinhalb Prozent bereits schwer angeschlagen in den Seilen hängt und die nach einem nicht so tollen Weihnachtsgeschäft („nur" 18 Milliarden Umsatz diesmal) k.o.-gefährdet ist?

Welchen Illusionen hat sich der Handel da eigentlich hingegeben? Der Illusion, daß die Österreicher ihre beachtlichen Sparguthaben plündern, um die Einkommensverluste wettzumachen? Die knapp 200.000 Schilling pro Kopf hätten zweifellos noch einmal für einen veritablen Kaufrausch gereicht -zur Absicherung der Zukunft ist das verdammt wenig.

Alles, außer dem beklagten Umsatzrückgang wäre nach zwei Sparpaketen der Regierung und der anhaltenden Verunsicherung über die Zukunft der Pensionen die wirkliche Überraschung gewesen. Angesichts des erreichten Wohlstandsniveaus ist die Verschiebung, ja selbst der Verzicht auf geplante Anschaffungen für viele Österreicher keing wirklich spürbare Einschränkung.

Man wartet - vernünftigerweise - eben ab, wie sich die allgemeine (und persönliche) Wirtschaftslage weiter entwickelt.

Die Zurückhaltung spricht jedenfalls für die Österreicher - auch wenn die Motive selten sehr hehre, meistens sehr irdische sind.

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