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Was die eine Hand gibt..

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Mittwoch, der 22. Februar 1956, wird wohl lange Zeit ein denkwürdiger Tag für die österreichische Beamtenschaft sein. An diesem Tag hat der Nationalrat das neue „Bundesgesetz über die Bezüge der Bundesbeamten“ in jener Form, in der es ihm von der Regierung vorgelegt wurde, beschlossen.

Zum erstenmal seit fast zehn Jahren haben wir nun wieder einheitliche, übersichtliche Bestimmungen über die Besoldung der Beamten, zum erstenmal muß man nicht Grundgehälter und Teuerungszulagen mühsam zusammenrechnen, um festzustellen, wieviel sie verdienen.

Wenn man sich mit einer Anzahl von Beamten über das neue Gesetz unterhält, ergibt sich nun eine interessante Tatsache: Hauptsächlich die jungen unter ihnen begrüßen die neuen Bestimmungen. Ihnen kommen seine Lichtseiten zugute, denn das neue Besoldungsgesetz nimmt (endlich, endlich!) auf die Bedürfnisse der Familie Rücksicht. Die neuen Kinderzulagen darf man wirklich als sozialen Forschritt buchen. Aber auch der „Familiensprung“ wird sich sicherlich familienfördernd auswirken.

Er kommt den jungen Beamten etwa im zehnten Dienst- und um das dreißigste Lebensjahr zugute. Der Beamte überspringt in dieser Zeit drei bis vier Biennien, er rückt plötzlich um sechs bis acht Dienstjahre vor und bekommt um etwa zwei- bis vierhundert Schilling mehr auf die Hand. Eine Zulage von zwei- bis vierhundert Schilling kann jedoch, besonders, wenn das Einkommen an und für sich nicht besonders groß ist, den Ausschlag geben und die Gründung einer Familie ermöglichen.

Freilich: Die Kinderzulagen bekommt nur,wer Kinder hat. Die Vorteile des Familiensprunges kommen jedem zugute, der ins heiratsfähige Alter kommt. Er kann das Geld, das ihm die Gründung einer Familie ermöglichen soll, in Babywäsche und Kinderroller anlegen, er kann aber auch auf einen Motorroller sparen.

Dem Menschen im allgemeinen und besonders dem Staatsbeamten wird bekanntlich nichts geschenkt. Die schnellere Vorrückung am Anfang seiner Karriere muß er mit einer langsameren Vorrückung in den späteren Semestern bezahlen. Er wird sich darüber nicht beklagen, denn er hat eben in jüngeren Jahren die Vorrückung vorweggenommen, dafür geht es später langsamer.

Mit Recht werden sich aber alle jene Beamte beklagen, die in einer Zeit jung waren, in der es den „Familiensprung“ noch nicht gegeben hat und die nun trotzdem in den „Genuß“ der langsameren Vorrückung kommen. Deren Tempo wird nämlich nicht individuell bestimmt, nach dem Motto: Wer in der Jugend schneller aufsteigt, avanciert später langsamer, sondern generell: Die Jungen springen, die Aelteren steigen langsam. Wenn die heutige Generation älterer Beamten einmal ausgestorben sein wird, dann wird man das System des Familiensprunges als gerecht preisen dürfen. Solange man aber den älteren wegnimmt, was man den jüngeren gibt, wird auf dem neuen Besoldungsgesetz das Odium einer gewissen Ungerechtigkeit liegen.

Nehmen wir den Fall eines Beamten, der in den zwanziger Jahren in den Staatsdienst eingetreten ist. In der Gruppe A mußte er 9 Jahre, in der Gruppe B 16 Jahre dienen, um ein Gehalt von 300 S zu erreichen. Er hat nur wenig gute Zeiten erlebt. Er hat nicht mehr viel Zeit, aber seine Vorrückung verlangsamt sich zugunsten der Jungen, die in den Genuß des „Familiensprungs“ kommen.

Seine Lage wird noch durch einen weiteren Umstand verschärft. Seine Kinder werden in den meisten Fällen schon auf eigenen Füßen stehen, die Kinderzulagen entfallen — und unser Beamter verliert nicht nur die Kinderzulagen, sondern er klommt nun auch in eine Steuer-gruppe, in der sein Einkommen viel empfindlicher beschnitten wird. Er wird dies um so stärker spüren, als er in seinen vielen Dienstjahren ja zu einem Gehalt aufgestiegen ist, das auf dem Papier recht eindrucksvoll aussehen mag.

Wir sind nun beim wesentlichsten Punkt unserer Betrachtung angelangt. Das neue Gehaltsgesetz mag recht schöne Zahlen enthalten. Was hat der Beamte aber von seinem herrlichen Bruttoverdienst, wenn ihm die Steuer einen so erheblichen Teil davon wegnimmt? Die positiven Auswirkungen der neuen Regelung werden durch die Steuerschraube teilweise zunichte gemacht.

Sie war bestimmt, der Nivellierung entgegenzuwirken. Die gegenwärtige zwar schon gebesserte, aber immer noch empfindlich treffende Steuerpolitik jedoch wirkt nach wie vor nivellierend. Unsere Steueransätze stammen aus einer Zeit, in der 1000 S (bzw. Reichsmark) eine ganze Menge Geld waren. Mit 200 bis 300 S konnte man leben. Damals war es gerecht, Einkommen von 2000 oder 3000 Reichsmark progressiv zu besteuern, denn wer damals so viel verdiente,zählte zu den Reichen. Heute sind 2000 bis 3000 S kein Vermögen mehr, sondern ein Betrag, von dem eine mehrköpfige Familie gerade leben kann. Die Prozentsätze, die abgezogen werden, sind jedoch noch immer hoch.

Ein Beamter, der 3300 S verdient, muß zum Beispiel monatlich 482 S Lohnsteuer zahlen, von 3800 S werden 635, und von 4800 S sogar 965 S abgezogen. Von den höchsten Beamtengehältern, die etwa 12.000 S betragen, werden bis zu 5000 S abgezogen.

Alles dies hätte in unserer Untersuchung nichts zu suchen, wenn es um die Gehälter irgendeiner privaten Stelle ginge. In unserem Fall jedoch ist die Stelle, die zahlt, und jene, welche die Steuer abschöpft, letzten Endes dieselbe: der Staat. Der Staat ist es, der das Gehalt eines Beamten treuherzig mit, sagen wir, 3000 S festsetzt und dann mehr als 400 S Steuern abzieht. Die eine Hand weiß nicht, was die andere tut.

Sicherlich wird ein Gehalt von brutto 3200 S “vielen Leuten sehr hoch erscheinen. Sie mögen bedenken, daß ein Staatsbeamter, der so viel verdient, jahrzehntelang im Staatsdienst gearbeitet und meist erhebliche Verantwortung zu tragen hat, und daß Posten ähnlicher Wichtigkeit in der privaten Wirtschaft viel besser dotiert sind. Wir beklagen uns oft mit Recht über unsere Beamten — aber bieten wir strebsamen jungen Menschen einen Anreiz, die Beamtenlaufbahn zu ergreifen? Eine Laufbahn, an deren Ende ein Gehalt von, sagen wir, 3299 S steht, von dem an Lohnsteuern, Pensions- und anderen Beiträgen 1029 S abgezogen werden und 2270 S übrigbleiben?

Seit Jahren verlangen die österreichischen Beamten die Valorisierung ihrer Gehälter auf das Sechsfache der Bezüge von 1945. Nun haben sie die Valorisierung ihrer Bruttogehälter. Von der Valorisierung der Nettogehälter jedoch ist noch immer keine Rede.

Aber auch das, was sie, dem neuen Gesetz zufolge, bekommen sollen, kriegen sie vorläufig noch nicht. Bekanntlich werden bis auf weiteres nur 85 Prozent der neuen Bezüge ausgezahlt; der Staat hofft, daß er seine Beamten im nächsten Jahr voll entlohnen kann. Die 8 5 Prozent der neuen Bezüge machen in den unteren Gehaltsgruppen oft weniger aus als die vollen, alten Gehälter und mußten durch einen Zusatzbetrag ergänzt werden. Ein etwas kompliziertes Verfahren! Vielleicht wäre es klüger gewesen, mit dem neuen Gesetz zu warten, bis der Staat die neuen Gehälter auch wirklich zahlen kann, und die Zwischenzeit zur Verbesserung des Gesetzes zu nutzen. Vieles daran wäre verbesserungswürdig, zum Beispiel die neuen Beförderungsrichtlinien, die man vielleicht gründlicher hätte überlegen sollen.

Die Beförderungsrichtlinien wurden zwar neu ausgearbeitet, doch ist es nach wie vor dabei geblieben, daß die Avancementmöglichkeiten von Amt zu Amt, von Ministerium“ zu Ministerium verschieden sind. Es gibt Aemter mit, sagen wir, einem oder zwei Hofräten und andere Stellen mit dem gleichen Personalstand, die jedoch zwei- oder dreimal so viele Hofräte hahen. Das Avancement hängt also zum Teil davon ab, ob man es beim Eintritt in den Staatsdienst mit der Behörde, die einen aufgenommen hat, glücklich getroffen hat oder nicht.

Viel größer noch sind die Unterschiede im Avancement eines städtischen Beamten oder eines Beamten einer Landesregierung einerseits und des Bundesbeamten anderseits. Es ist die Regel, daß ein Beamter der Gemeinde oder einer Landesregierung seinen Kollegen, der beim Bund beschäftigt ist und die gleiche Dienstzeit sowie einen gleichwertigen Bildungsgang absolviert hat, um etliche Gehaltsstufen voraus ist. Wenn man an der richtigen Stelle sitzt, kann man sogar als B-Beamter seinen A-Kollegen bei einer untergeordneten Stelle eines Ministeriums überflügeln.

Vieles am neuen Gehaltsgesetz ist nicht ideal, manches hätte man besser machen können.Trotzdem, das sei nochmals betont, ist es als Fortschritt zu betrachten. Hoffentlich ergibt sich eines Tages passende Gelegenheit, das, was noch nicht den Bedürfnissen entspricht, zu reformieren.

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