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Schlußwort: „Rente und Ruhe“

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An dem von der „Furche“ veröffentlichten Schreiben des Präsidenten Hi lieg ei st (siehe „Die Furche“ Nr. 5/1962) möchte ich zunächst den maßvollen Ton und die darin erklärte Bereitschaft anerkennen, über die hier aufgeworfenen Probleme der Rentenruhensbestimmungen diskutieren zu wollen. Nun zur Sache selbst:

1. Niemand, der objektiv urteilt, wird die Bedeutung der Ren-

tenrefoxm und die Verdienste, die sich Hillegeist um ihr Zustandekommen erworben hat, herabsetzen wollen, aber es ist doch wohl nicht ganz am Platz, wenn er in den von ihm im „Privatangestellten“ verfaßten, sicherlich sehr instruktiven Beiträgen immer nur auf eine Reihe ganz besonders günstig gelagerter Fälle der Rentenneubemessung, sogenannte Paradefälle, hinweist; so auf jene Witwe, die bisher monatlich nur 179.40 S und nach der Reform 1360.70 S an Rente erhielt, also das Siebenfache (Oktoberheft 1961). Wenig Aufsehen aber wird dabei davon gemacht, daß bei etwa einem Fünftel aller umgerechneten Renten nicht nur keine Erhöhung, sondern sogar eine Herabsetzung stattgefunden hat, deren praktische Auswirkung zum Schaden der Betroffenen nur durch die im Gesetz enthaltene Sicherheitsklausel, niemand dürfe weniger erhalten als bisher, verhindert werden konnte. Das hat viel böses Blut gemacht, sich aber bei einem so

großen Werk, wie es die Rentenreform darstellt, deren Auswirkung ja doch im Wesen auf die Zukunft abgestellt ist, wohl kaum verhindern lassen. Das lag eben am Prinzip der individuellen Durchrechnung jeder einzelnen Rente, mit dem man der sogenannten Rentengerechtigkeit am nächsten zu kommen glaubte. Also etwas weniger Reklame und mehr sachliche Aufklärung. Trostworte, die darin gipfeln, die betreffende Rentnergruppe habe eben früher zuviel bekommen, werden stets den beabsichtigten Eindruck verfehlen.

2. Der' von Präsident Hillegeist beanstandeten kurzfristigen Scheän-unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses zwecks Erlangung der Altersrente, wie sie heute allgemein praktiziert wird, hätte man doch so einfach durch eine geeignete Textierung des 253 Abs. 1 ASVG begegnen können. Etwa so: „Anspruch auf die Altersrente hat der Versicherte nach Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn und i n s o-lange derselbe in der Pensionsversicherung nicht pflichtversichert ist.“ Aber das ht heute wohl kaum noch aktuell. Für die Zukunft gibt es doch nur eines: die Aufgliederung der Altersrente in eine „unbedingte“ und in eine „bedingte“ Altersrente. Die unbedingte fällt mit dem vollendeten 65. (60.) Lebensjahr an, ohne Rücksicht darauf, ob der Rentenwerber einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgeht oder nicht, die bedingte Altersrente aber mit dem vollendeten 60. (55.) Lebensjahr nur dann, wenn der Rentenwerber keinerlei wie immer geartete versicherungspflichtige Beschäftigung ausübt. Mit dieser Konstruktion hat man in einer ganzen Reihe von Rentenversicherungen des Auslandes die besten Erfahrungen gemacht und die Versicherten völlig zufriedengestellt.

Reste aus Notzeiten

i. Und nun z“ den Renten-r u “h e n s b e s t i m in ü n g e n, die noch der Notzeit Österreichs entstammen, in der heutigen Zeit der Wirtschaftskonjunktur aber nicht einmal mehr einen Schein von Berechtigung an sicÄ haben, und die Präsident Hillegeist so gerne unter „Denkmalschutz“ gestellt haben möchte. Darüber ist eigentlich auch im Rahmen der „Furche“ alles Wesentliche bereits gesagt worden. So sei nur kurz nochmals darauf verwiesen, daß sie dem Versicherungsprinzip, auf dem unsere Rentenversicherung auch heute noch zum Großteil basiert, widersprechen, weil sie eine Bedürftigkeitsprüfung verlangen und dem Berechtigten einen Teil seines Rentenanspruches vorenthalten, daß sie — auch in der dem 94 ASVG durch die 9. Novelle ab 1. Jänner 1962 neu gegebenen Fassung — dem Gleichheitssatz unserer Verfassung (Art. 7 BVG) widersprechen und, wie immer man es auch anstellt, widersprechen werden, insolange man nicht auch das Ruhen auf jene Fälle ausdehnt, wo Rentner aus ihren Ersparnissen ein Zinseneinkommen genießen. Aber wer würde sich solches unterfangen? Heute ist die Situation doch tatsächlich so, daß der, der arbeitet, durch die Kürzung seiner Rente bestraft wird, und nur der sie ungekürzt beziehen kann, der der Arbeit entsagt hat. Schließlich widersprechen die Ruhensbestimmun-gen auch noch dem im Artikel 5 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 enthaltenen Grundrecht über die Unverletzlichkeit des Eigentums. Da die letztere Rechttauffassung bei uns noch nicht Gemeingut geworden ist, möchten wir Präsident Hillegeist auf die Spruchpraxis des Bundessozialgerichtes in Kassel und die sozialpolitischen Thesen des 60. Deutschen Juristentages in München vom Herbst 1960 verweisen.

Daß die Vollauszahlung der Renten an wiederbeschäftigte Rentner für die Rentenversicherungsanstalten finanziell untragbar wäre, gehört in das Reich der Sage. Für den neuerlich in eine Beschäftigung eingetretenen Rentner werden doch allmonatlich in der Arbeiterversicherung 14 Prozent, in der Angestelltenversicherung 13 Prozent seines Entgelts als Beitrag an den Rentenversicherungsträger abgeführt,

m Mb 0u>noitjtnv“i #ion ariiow I , i .trinr>>l ci “dop al£ vbni,H-ie<l “ ohne daß dieser auch nur

zur allergeringsten Gegenleistung dafür verpflichtet w ä r e 1 Rechnet man die bei einer Vollauszahlung der Rente entfallenden Kosten für die Kontrolle und die ständigen Rentenneufestsetzungen hinzu, so stellt sich heraus, daß diese Vollauszahlung auch an beschäftigte Rentner die Versicherungsträger in

keiner Weise belastet. Im übrigen würden wir Präsident Hillegeist, der ja dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger vorsitzt, ersuchen, denselben zu beauftragen, ihm diesbezüglich ungesäumt statistisches Material vorzulegen.

Appell an Einsicht

Schließlich noch etwas: Niemand will, es sei hier nochmals betont, den Genannten verunglimpfen oder seine großen Verdienste um die Besserstellung der Arbeitnehmerschaft mißachten, aber mit seinem bisher unnachgiebigen Eintreten für die Aufrechterhaltung der längst überholten, rechtswidrigen und asozialen Rentenruhensbestimmungen hat er sich in eine Sackgasse verirrt, aus der ihn wieder herauszuholen die Pflicht jedes „außerhalb des Betriebes“ stehenden Fachmannes sein muß. Er weiß ja selbst am besten, daß die erdrückende Überzahl der Mitglieder des Nationalrates für die sofortige Aufhebung der Ruhensbestimmungen eintreten möchte, und daß jeder darauf angesprochene Abgeordnete immer wieder antwortet: „Natürlich gehören sie aufgehoben, aber Sie wissen doch, der Hillegeist.

Da muß man eben noch bis zum Ende der Wahlperiode zuwarten.“

Das hat Präsident Hillegeist nicht nötig; er, der so viel Gutes durchgesetzt hat, hat es nicht notwendig, sich mit dem Odium zu belasten, sich in dieser für die Rentner, aber auch für unseren nach Kräften hungernden Arbeitsmarkt geradezu lebenswichtigen Frage der natürlichen Entwicklung in den Weg gestellt zu haben. Nein, niemand wird von ihm Selbstkritik verlangen, aber jeder an seine Überlegung und Einsicht appellieren, er möge aus diesem Problem keine Prestigeangelegenheit machen.

Es war übrigens keine gute Idee, in der 9. Novelle zum ASVG die sei b-ständig tätigen Rentner in den 94 ASVG einzubeziehen, jetzt, da gerade Minister Proksch eine 10. Novelle zur Bereinigung des ganzen Ruhensproblems angekündigt hat. Sollte es wahr sein, was man sich in Wiener informierten Kreisen zuflüstert, daß das ganze nur deshalb geschehen sei, um den 94 vor der drohenden Aufhebung durch den Verfassungs-gerichtShof zu retten, und man gar nicht daran denke, die selbständig tätigen Rentner irgendwie zu verkürzen? — Präsident Hillegeist scheint, wie er schreibt, eine völlige Beseitigung der Ruhensbestimmungen äußerst gefährlich zu sein. Aber warum denn eigentlich? Ich sehe hier nicht die geringste Gefahr.

Kardinal König für die „Alten“

Der von ihm nunmehr gebrachte Vorschlag, bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des 94 ASVG die bisherige Freigrenze von 1800 S nur als Untergrenze zu betrachten und durch einen gleitenden Freibetrag in der Höhe der früheren Bemessungsgrundlage zu ergänzen, so daß der Rentner sein früheres versicherungspflichtiges Einkommen erreichen würde, erscheint mir sehr interessant, aber namentlich im Hinblick auf die soeben durch die 9. Novelle in den 94 neu einbezogenen selbständig erwerbstätigen Rentner schwer durchführbar. Eine fast vollkommen analoge, früher bestandene Regelung im Pensionsrecht der Bundesbeamten (58 Gehaltsüberleitungsgesetz) wurde mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. Juni 1958, G 20/58, als verfassungswidrig aufgehoben. — Die Ruhensbestimmungen sind eben viel weniger ein technisches, als vielmehr ein eminent juristisches Problem, das keinerlei halbe Lösungen zuläßt.

Und möge Präsident Hillegeist endlich auch noch die Worte der Neu-

jahrsbotschaft unseres in allen Sozialfragen so wohlbewanderten Wiener Kardinal-Erzbischofs Dr. König zur Kenntnis nehmen, die des Mangels an Arbeitskräften in unserer Wirtschaft Erwähnung H i und dann darauf hinweisen, daß es in unserem eigenen Land Tausende von älteren Menschen gibt, die noch gerne arbeiten möchten, und daß es gilt, die Voraussetzungen zu schaffen, um der Wirtschaft diese Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen.

So weit die Worte des Kardinals; aber nur dann, wenn die Rentenruhensbestimmungen zur Gänze aufgehoben worden sind — und es gibt keine andere Lösung —, werden sich Tausende von Rentnern dem Arbeits-rnarkt freudig eingliedern.

Ich möchte noch einmal meine Ausführungen in einem Satz zusammenfassen: Was jetzt nottut, ist die Einführung einer unbedingten Altersrente mit dem vollendeten 65. und einer bedingten Altersrente mit dem vollendeten 60. Lebensjahr, und die völlige, kompromißlose Aufhebung aller Ruhensbe-

stimmungen; das ist nicht nur der Herzenswunsch aller Rentner und Versicherten, das ist ein Postulat des gesamten österreichischen Volkes.

Zum Schluß will ich noch auf jene Ausführungen kurz reagieren, die Präsident Hillegeist seinem ursprünglichen Artikel erst später hinzugefügt hat: Er spricht von Luxus, wenn von dem nach dem 65. Lebensjahr noch weiter tätigen Altersrentser, pardon, Alterspensionisten, die Alterspension ungekürzt, also ohne Ruhensbestim-mung bezogen wird, aber er vergißt immer wieder: die Sozialpension ist doch keine Leistung der öffentlichen Fürsorge und ihre Höhe demnach auch keine Ermessenssache des Pensionsver-sicherungsträgers, sondern eine Leistung, auf die durch die Zahlung von Beiträgen ein Recht erworben wird. Der Rechtsanspruch ist es, der die Pensionsversicherung charakterisiert.

Und was sollte denn entstehen, wenn nach Einführung der „Pensionsautomatik“ oder „Dynamik“ auch die ungekürzte Alterspension des noch Tätigen dem steigenden Gehajtsniveau angepaßt wird. Hier müssen wir Hillegeist wiederum an die 13 bzw. 14 Prozent des Entgeltes erinnern, die der Alterspensionist, solange er noch tätig ist, ohnejedeGegenleistung an den Pensionsversicherungsträger abführt. Wäre er etwa bereit, bei Aufrechterhaltung der Ruhensbestimmungen auf diese Beiträge, deren E'nforde-rung einen Mißbrauch des Solidaritätsprinzips darstellt, zu verzichten? Daß auch hier eine ganz arge Verfassungswidrigkeit vorliegt und es dem Gleichheitssatz in höchstem Maße widerspricht, wenn die einen Versicherten für ihre Beiträge Leistungsansprüche erwerben, die anderen aber nicht, das liegt doch auf der Hand? Mit djeser Frage, die ohne weiteres vor den Verfassungsgerichtshof gebracht werden kann, hat sich bisher noch niemand beschäftigt.

Schließlich macht sich Präsident Hillegeist Sorgen um unseren Arbeitsmarkt für den Fall einer eintretenden Wirtschaftsdepression, wie man nämlich dann die Sozialpensionisten von dort wieder fortschafft. Nun, man soll zunächst den Teufel nicht' an die Wand malen, aber verwunderlich ist nur; daß er sich so gar keine Sorgen um die gegenwärtigen Nöte des Arbeitsmarktes macht, wie man den Sozialpensionisten den Weg dorthin freimachen könnte. Was einmal später sein wird? Bis dahin werden unsere Alten und die nach ihnen kommen noch sehr viel älter geworden sein und ihren Arbeitsplatz gerne selbst räumen.

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