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Rente - Ruhe - Unruhe

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Volksbewußtsein vieler Kärntner Slowenen alleinverantwortlich erklärte. Gewiß hätte ein fortschrittlicher demokratischer Staat alle Bestrebungen zu unterbinden, die letzten Endes auf die allmähliche Entnationalisierung einer Volksgruppe hinauslaufen, aber er ist nicht berechtigt, den überall auf der Welt vorkommenden freiwilligen Wechsel der Volkszugehörigkeit eines einzelnen Staatsbürgers zu unterbinden. Dies selbst dann nicht, wenn ein solcher, wie im Fall Österreichs, keineswegs im Interesse der Staatsidee liegt. Meiner Meinung nach ist nämlich derjenige Kärntner Slowene (Windische) auch ein guter österreichischer Staatsbürger, der seine Kinder zum zweisprachigen Unterricht anmeldet und sie auch daheim zu volkstreuen Slowenen, heimatverbundenen Kärntnern und loyalen Bürgern der Republik Österreich erzieht!

Wie läßt sich nun eine vierzigjährige, für die slowenische Volksgruppe, aber auch für die österreichischen Südkärntner nicht immer erfreuliche Vergangenheit auf beiden Seiten bewältigen?

österreichischerseits wären wohl als erster Schritt die noch offenen Rechtsverpflichtungen gemäß Artikel 7 des Staatsvertrages 195 5 ohne weitere Verzögerungen zu realisieren.

Fortschrittliche europäische Staatsrechtler haben längst erkannt, daß eine bloß verfassungsmäßige Gleichstellung von Minderheitsangehörigen mit dem Mehrheitsvolk keineswegs ausreicht, kleinere Volksgruppen in ihrem Bestand wirksam zu schützen. Auch mit ,,Bekenntnisprinzip“ und „Elternrecht“ allein ist in einer Zeit, in der fast jeder Staatsbürger einem mehr oder

minder massiven politischen und wirtschaftlichen Druck ausgesetzt ist, also einer echten Unabhängigkeit und da-'mit Entscheidungsfreiheit in der Regel leider entbehrt, nicht mehr viel anzufangen.

Wenn man mit dem Südtiroler Doktor Erich Mair („Die Psychologie der nationalen Minderheit“, 3. Auflage, Innsbruck 1947) drei grundsätzliche Möglichkeiten des Verhältnisses zwischen Staat und Minderheit annimmt (1. Vernichtung: Irredenta, 2. Liberalität: Loyalität und 3. Förderung: Anhänglichkeit), so sind wir in Kärnten vom erstrebenswerten Ziel, durch eine echte Förderung der slowenischen Volksgruppe deren aufrichtige Anhänglichkeit an die Republik Österreich zu erreichen, wohl noch ein ziemliches Wegstück entfernt!

Ohne die geringste Benachteiligung für die Mehrheit der Kärntner (Burgenländer) könnten einige Maßnahmen helfen, dieses Ziel zu erreichen: offizielle Erklärungen der Bundesregierung und der betroffenen Landesregierungen, daß ein Bekenntnis zur slowenischen (kroatischen und so weiter) Volksgruppe, die Anmeldung zum zweisprachigen Schulunterricht und so weiter keineswegs in Widerspruch zu den Staatsinteressen stehen und jede gegenteilige (deutschnationale) Propaganda keinerlei offizielle Zustimmung besitzt; Erziehung der österreichischen Jugend zur nationalen Toleranz und Aufgeschlossenheit für die gleichwertige Kultur und die Rechte der Volksminderheiten insbesondere durch Einführung der slowenischen (kroatischen usw.) Sprache als zweite obligate Fremdsprache an

sämtlichen Mittelschulen Kärntens (des Burgenlandes).

Von unseren slowenischen Mitbürgern aber darf erwartet werden, daß sie durch eine ehrliche Anerkennung des bisher Erreichten (zum Beispiel Errichtung einer eigenen Bundesmittelschule für Slowenen in Klagenfurt, regelmäßige Kontaktkonferenzen mit dem Außenminister, volle Freiheit in der politischen, publizistischen, kulturellen und wirtschaftlichen Betätigung, freie Auslandsverbindungen) ebenfalls zu einem allmählichen Abbau der da und dort vorhandenen Ressentiments beitragen helfen.

Das gemeinsame karantanische Erbe verpflichtet uns Österreicher, die letzten Reste eines unsinnigen deutschnationalen „Überlegenheitsdünkels“ zu überwinden und die Kärntner Slowenen, als die gegebene Brücke zwischen beiden Nationen, einen da und dort noch anzutreffenden, aber ebenso unberechtigten „Unterlegenheitskom-plex“ abzustreifen und sowohl mit ihren Sprachverwandten und Jugoslawien, Italien und Ungarn enge Verbindung zu halten (so wie dies ganz natürlich auch die Südtiroler gegenüber Österreich tun!) als auch der Kärntner Heimat und unserem gemeinsamen Vaterland, der Republik Österreich, gegenüber stets eine loyale Verbundenheit zu bekennen!

Die Zukunft und die Rettung unserer demokratischen Welt liegt heute nicht mehr bei den völlig antiquierten Nationalismen, sondern in der freundschaftlichen Annäherung aller Völker, gleichgültig, welcher Rasse sie angehören oder welche Sprache sie sprechen !

Am 14. März trat in Wien unter dem Vorsitz des Vizekanzlers Doktor Pittermann der Koalitionsunterausschuß für die Reform der im ASVG enthaltenen Rentenruhensbestimmun-gen zu seiner ersten Sitzung zusammen. Drei verschiedene Mei-junfling.-en kamen dabei zum Ausdruck^ -itaides war erfreulich, eftdlieh-einmöl b feststellen zu können, daß-nicht die eine Partei, wie sonst üblich, schwarz und die andere weiß oder vielmehr rot sagte, sondern daß hier wie dort die eine oder andere Anschauung ihre Anhänger fand.

NR. U h 1 i r, der Sozialexperte der SPÖ und Direktor der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, schilderte die Situation, soweit sie seine Anstalt betrifft. Von ihren 500.000 Pensionisten werden derzeit lediglich 11.000 durch die Ruhensbestimmung des 94 ASVG betroffen; es sind durchweg Personen, die neben dem Rentenbezug eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausüben. Läßt man die Rentenkürzung bei ihnen fallen, so erfordert dies einen jährlichen Mehraufwand von 39 Millionen Schilling, das sind nur 0,7 Prozent der jährlich von der Anstalt ausgezahlten Gesamtpensionssumme. Uhlir warnte eindringlich vor dem enormen Mehr an Verwaltungskosten, das sich bei der Aufrechterhaltung des 94 ASVG in seiner ihm durch die 9. Novelle gegebenen Fassung — also bei der Ausdehnung auf die selbständig erwerbstätigen Personen — unweigerlich ergeben müßte; eine Personalvermehrung wäre die unmittelbare Folge. Auch würden die Sozialversicherungsträger ständig erwarten müssen, daß der Verfassungsgerichtshof den 94 trotz seiner neuen Fassung, als dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 7 des BVG widerstrebend, aufheben werde. Damit wäre aber eine dauernde Unruhe in die Anstalten getragen.

Im geraden Gegensatz zu der von seinem Parteigenossen geäußerten Meinung sprach sich Präsident Hillegeist, wie erwartet, auch hier gegen die Aufhebung der Ruhensbestimmun-gen aus und wiederholte neuerlich jene Gedankengänge, die er schon in der Folge 5 der „Furche“ den Lesern derselben vorgetragen hatte. Er sei lediglich bereit, einer Erhöhung der bisherigen Freigrenzen (680 S beziehungsweise Rente und Nebenverdienst nicht mehr als 1800 S) in der Form zuzustimmen, daß Kürzungen der Rente erst bei einer Überschreitung der letzten Bemessungsgrundlage eintreten würden. Damit hätte der noch tätige Pensionist die Möglichkeit, bis an sein früheres Aktiveinkommen beziehungsweise an die Höchstbemes-

sungsgrundlage (ab 1966: 5200 S) heranzukommen.

In der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten dürfte die Zahl der unselbständig beschäftigten Rentner auf etwa 40.000 zu schätzen sein; die ungekürzte Rentenzahlung für diese Gtuppe ,wwde,„*in:, Meht^&on etwa. -140 Millionen Schilling erfordern. -: • Bemerkenswert itmn übrigens, daft: es Hillegeist vor diesem Forum unterlassen hat, darauf hinzuweisen, daß die Aufhebung der Ruhensbestimmun-gen die Einführung der dynamischen Rente unmöglich machen würde. Im „Privatangestellten“, dem Blatt des Gewerkschaftsbundes, kommt er immer

wieder auf diese Alternative zurück und weiß doch selbst, daß das eine mit dem anderen nichts zu tun hat.

Eine Mittelstellung nimmt Vizekanzler Dr. Pittermann ein; er ist für eine Aufhebung der Ruhensbestimmungen in drei Etappen, wobei in jedem der drei Jahre die Freigrenzen bis zu ihrer völligen Aufhebung im dritten Jahr erhöht werden sollen. Bei Witwenrentnerinnen, die noch tätig sind, sollen die Ruhensbestimmungen sofort fallen.

Zwei Regierungsmitglieder äußern sich

Damit war die erste Sitzung des Ausschusses beendet, die nächste ist für den 4. April anberaumt. Die dreiwöchige Zwischenzeit soll einem besonderen Expertenkomitee dazu dienen, die finanziellen Auswirkungen der vorgebrachten Vorschläge zu errechnen. Völlige Objektivität wäre dabei wünschenswert.

Seither haben sich auch zwei Regierungsmitglieder in dieser Sache zu

Wort gemeldet. Zunächst Bundeskanzler Dr. G o r b a c h, der in einer Rundfunkansprache in Beantwortung eines ihm zugekommenen Schreibens erklärte, seiner Meinung nach seien die Ruhensbestimmungen nicht verfassungswidrig. Eine Regelung, bei der der arbeitende Rentner eine Pensionskürzung erleidet, der nicht arbeitende •'flbe¥ di9:'vell<:'>f,wisieh “erhält, muß aber doch dem Gleichheitssatz unserer Verfassungsurkunde widersprechen, ganz abgesehen davon, daß sie auch den „guten Sitten“ zuwiderläuft!

Finanzminister Klaus soll nach Pressemeldungen in einer Versammlung der Volkspartei in Salzburg gesagt haben, daß eine völlige Aufhebung der Ruhensbestimmungen im ASVG nach Ansicht von Fachleuten rund eine Milliarde Schilling (!) kosten würde. Wir wissen nicht, welche Zahlen dieser Schätzung zugrunde liegen; sie sind aber bestimmt zu hoch angesetzt; in Wahrheit dürfte die Aufhebung der Ruhensbestimmungen bei allen drei Rentenversicherungsträgern höchstens 200 Millionen Schilling jährlich betragen.

Nur ein Kompromiß?

Vorsichtig ist der diesbezügliche Standpunkt der Volkspartei in ihren Vorschlägen für die politische Arbeit bis zu den nächsten Wahlen: Überprüfung der Ruhensbestimmungen des 94 ASVG hinsichtlich der Möglichkeit der Ausschaltung von besonderen Härtefällen.

Eine für die Fragestunde des Nationalrates am 21. März vorbereitete, an den Sozialminister gerichtete, sehr ausführliche Interpellation des Abgeordneten Kandutsch (FPÖ) über die Ruhensbestimmungen mußte entfallen, da sich Minister Proksch mit Krankheit entschuldigen ließ.

Wir fürchten sehr, daß, entgegen der Ansicht weitester Kreise der Bevölkerung, bei den Koalitionsbesprechungen über die Ruhensbestimmungen nichts anderes herauskommen wird, als das, was Präsident Hillegeist schon lange zugestanden hat: die Hinaufsetzung der Freibeträge, mehr nicht. Dann aber geht der Kampf eben weiter, die völlige Undurchführ-barkeit des neugefaßten 94 ASVG wird immer offenbarer werden, die Beamtenkörper der Versicherungsträger werden vermehrt und ihre Verwaltungskosten immer höher werden; dem Rentner aber, den man gnädigst zum Pensionisten ernannt hat, wifd weiter das konfisziert werden, was ihm von Rechts wegen gebührt.

Die „Unruhe um die Ruhensbestimmungen“ wird aber weiter andauern.

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