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Bald alles kaputt?

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Der Anschein stimmt traurig: Die vom Kärtner Landeshauptmann Wagner gutgemeinte „Tischrunde“ kommt vorerst nicht zustande; die Vertreter der Kärntner Slowenen wollen daran nicht teilnehmen, weil auch der „deutsch-nationale Heimatdienst“ eingeladen wurde. Daraufhin begann nicht nur der Landeshauptmann die Vertretungsbefugnis der beiden Slowenen- Verbände zu bezweifeln. Doch sollte sich die Mehrheit solchem Zweifel nur mit aller gebotenen Vorsicht hingeben, denn gewöhnlich führt das zu nichts anderem als nur zu einem neuen Streit — ganz abgesehen davon, daß eine „befugtere“ Vertretung gar nicht zu sehen ist.

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Der Anschein stimmt traurig: Die vom Kärtner Landeshauptmann Wagner gutgemeinte „Tischrunde“ kommt vorerst nicht zustande; die Vertreter der Kärntner Slowenen wollen daran nicht teilnehmen, weil auch der „deutsch-nationale Heimatdienst“ eingeladen wurde. Daraufhin begann nicht nur der Landeshauptmann die Vertretungsbefugnis der beiden Slowenen- Verbände zu bezweifeln. Doch sollte sich die Mehrheit solchem Zweifel nur mit aller gebotenen Vorsicht hingeben, denn gewöhnlich führt das zu nichts anderem als nur zu einem neuen Streit — ganz abgesehen davon, daß eine „befugtere“ Vertretung gar nicht zu sehen ist.

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Die Slowenen-Veibände wiederum erklären sich nur bereit, mit Landesregierung und Landtagsparteien über Ihre Forderungen zur Erfüllung des Artikels VU des Staatsvfertrages zu verhandeln. Davon wiederum will die Landesregierung nichts wissen. Denn, so Wagner, die Durchführung des Staatsvertrages sei Bundes- und nicht Landeissache. Womit er recht hat, auch weiß er als Nachfolger, woran sein Vorgänger Sima nicht zuletzt gescheitert ist.

Aus einem Zwischenbericht der im Bimdeskanzleramt zusammentreten- den „Ortstafelkommission“ läßt sich erkennen, daß diese die Hürde der umstrittenen „Zählrmg der Minderheit auf besondere Art“ nicht genommen hat. Bundeskanzler Kreisky reichte ihr den Zwischenbericht wiederum zurück. Das ebenfalls beim Bundeskanzler installierte „Kontaktkomitee“ mit den Kärntner Slowenen — dem die ÖVP trotzig ferne bleibt — trat sich schon bisher an der gleichen Stelle fest. Indessen verrinnt die Zeit.

Quasi, als späte Antwort auf eine vor etwa vier Jahren im nationalen

Kärntner Wochenblatt „Hui der Heimat“ aoifgestellte, fürchterliche These, erst dann werde wieder Frieden im Lande sein, wenn eines der Völker versohwinde, hat nun ein junger slowenischer Funktionär sich mit „Verbindungen zur IRA“ gebrüstet und ein anderer schrieb in einem slowenischen Blatte von einem möglichen „kämtnerischen Zypern“. Derlei Entgleisungen, von besonnenen Funktionären beider Seiten rasch abgewertet, gedeihen aber nur ln einem bösen Klima und machen es immer schlechter.

Die ÖVP, im unheiligen Ortstafelkrieg 1972 leider sehr Intransigent, fordert mm ln Bund und Land Kreisky (und Wagner) zu „raschen Lösungen“ auf, sagt aber nicht, welche das sein sollen. Die FPÖ stimmt ln dasselbe Horn, doch bei ihr weiß man wenigstens, daß sie nicht nach einer maximalen, sondern naclveiner minimalen Lösung strebt.

Die SPÖ, tn Land und Bund vor Wahlkämpfen, scheut sich, in ein aufgeklapptes Messer zu laufen, ..was ihr nach allen Erfahrungen, die sie mit anderen (und sich selbst) gemacht hat, nicht sonderlich verübelt werden ksain.

Sogar die Arbeiterkammerwahlen geben Zündstoff her. Die Frage, ob Gastarbeiter au Jugoslawien das volle Wahlrecht besitzen sollen, nimmt unsinnige volkstumspolitische Dimensionen an — anders als etwa in Vorarlberg, wo man, ob Jugosla’iye oder Türke, jede Stimme umwirbt.

Daneben und dazwischen: Einmal so, einmal anders beschmierte Wände, Flugzettel, insgeheime Drohungen, Raufereien, Sprengkörper, auch wieder umgerissene oder übermalte Ortstafeln, Denkmalweihen mit martialischen Texten und Reden. Krise also?

Ganz gewiß — Krise! Aber Krise als ein Prozeß der Entscheidung, wobei freilich deren Richtung offenbleibt.

Doch es gibt auch gute Zeichen. Das vom „Deutschsloweniscben Koordinationsausschuß des Diözesan- rates“ herausgegebene Dokument „Das gemeinsame Kärnten — Skupna Korbäka“ zum Beispiel. Nicht bloß eine sdiöne Fibel mit wohlmeinenden Empfehlungen, sondern ein Leitfaden zu nachbarlicher Zusammenarbeit und freundschaftlidiem Zusammenleben nidit nur ln der Kirche, sondern auch rund um diese. Ein Schriftstück mit kirchengesetzlicher Wirkung, also ohne Unverbindlichkeit. In diesem Sinne eine Großtat und um keine Stunde zu früh. Daß dieses Dokument von zwei Exponenten öffentlich verantwortet wird, von Dr. Waldstein für das deutsche, von Dr. Inzko für das slo- wenisdie Kirchenvolk und daher auch zweisprachig abgefaßt wurde und daß ihm der Landesbischof anweisende Gewalt verlieh, ist ein Signal, das sicherlich nicht ohne Wirkung bleiben wird.

Auch die Äußerung des Hofrats Dr. Tischler, Exponent des -christlichen „Rates der Kärntner Slowenen“, er könne sich die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln nach einem „differenzierten System“ vorstellen, gibt Hoffnung auf vernünftigen Verhandlungsspielraum. Ebenso die Erklärung Dr. Zwitters, des Vorsitzenden des „Zentralverbandes slowenischer Organisationen ln Kärnten“ und Exponenten der sozia- listisch-orientlerten Minderheiten- gruppe, man habe des Landeshauptmannes „Tischrunde“ nicht einfach eine Absage erteilt — wie die Zeitungen und der Rundfunk berichteten —, sondern nach „Erläuterungen über Sinn und Zweck" gefragt. Denn durch solche Abschwächungen, die man nicht kritisieren sollte, eröffnen sich neue Möglichkeiten der Anknüpfung.

Also: Keine Krise, sondern Katharsis?

Ich fürchte, soweit ist man noch nicht. Man wartet ab. Doch dieses Abwarten hat allzuviel von Lauem an sich, als daß man sich darüber freuen dürfte. Und abgesehen davon: Gewartet wurde nun schon lange genug. Seit 1955 versuchten zwar

Figl, Raab und Klaus, zu einer Lösung zu gelangen, scheiterten aber an Einsprüchen aus Kärnten und es blieb beim Warten. Auch die scxzia- listischen Landespolitiker LH Wede- nig, LH Sima und der seinerzeitige Landesamtsdirektor Dr. Newole machten sich an Lösungen, setzten viele Punkte durch, andere wurden wieder rückgängig gemacht (von ihnen oder anderen), aber am Ende

— und weil es ohne Bund nicht geht

— blieb audi nur Wartezeit. Siebzehn Jahre schon. Und da es Wunden gibt, die die Zeit nicht heilt, sondern schwärend macht. Ist diese Wartezeit so unerfreulich. Doch Bund und Land sind ln dieser Angelegenheit untrennbar verbunden. Der Bund macht die Gesetze, exekutiert müssen sie Im Lande werden; was da herauskommen kann, hat uns der Ortstafelkonfllkt auf schauerliche Weise betgebracht. Das heißt: Die Stimmung, die Bereitschaft muß im Lande moderiert werden, und zwar auf dem Felde der Landespolitik! Es genügt nicht, auf Wien zu warten, denn wie jedermann sehen kann, warten SPÖ, ÖVP und FPÖ mit jeweils anderen Vorsätzen, und hinter diesen warten noch ganz andere mit noch ganz anderen Vorsätzen. Das ist genau jener Zustand, ln dem jenen, die zur Lösung befähigt oder berufen wären — was leider nicht immer dasselbe ist! — die Fäden für immer entgleiten könnten. Übrigens nicht nur in Kärnten und nicht nur in Österreich, denn das gilt auch für Slowenien und Jugoslawien. Und es bedarf geringer Phantasie, sich vorzu- s’tellen, wer dann alle diese entglittenen Fäden auf- und an sich nehmen könnte …

Irgendwo noch im Nebel des Ungewissen liegt ein Kompromiß, der weiterhelfen könnte»

Würden beispielsweise die Anhänger einer „Zählung auf besondere Art“, von der sich niemand vorstellen kann, wie besonders diese sein könnte, auf ihr Vorhaben verzichten und zur Grundlage der „Zählung“ etwa ein Volkszählungsergebnis nehmen, wie es 1955 bei Abschluß des Staatsvertrages Vorgelegen ist (wobei alle Varianten der angegebenen Umgangssprache, die bei „Slowe-v nisch“ „Windisch“ einschließen, der Mindertieit zugerechnet werden sollten), käme man wahrscheinlich über die Klippen. Würde man ferner sich damit befreunden, daß das „gemischtsprachige Territorium“ dort zu finden ist, wo 1945 die „Schulsprachen- verordnung“ wirksam war (das Gebiet ist ln dieser Verordnung ge- meindeweise aufgezählt), dann hätte man auch den Geltungsbereich des Artikels VII. Wo und wie dieser dann in Einzelheiten (Ortstafeln usw.) durchgeführt werden soll, ist nur noch die Frage, einen wie hohen Prozentsatz an Minderheit man dafür heranzieht. Die internationale Diskussion reicht da von 5 bis 20 Prozent und ein vernünftiger Mittek wert ließe sich wohl finden. Freilich, ob man die „Windischen“ den Kärntner Slowenen zuzählen kann oder nicht, ist ebenfalls ein umstrittenes Problem. Doch das könnte man lösen, indem man sich auf eine schon jetzt fixierte, aber erst in späterer Zeit abzu’haltende Volkszählung festlegt, die „Korrekturwerte“ hervorbringt.

Ein Kompromiß, gewiß; mit allen Mängeln, die jeder Kompromiß an sich trägt. Doch ihn einzugehen, hätte für alle Beteiligten viel für sich. Denn weder kann es den Kärntner Slowenen und ihrer natürlichen Schutzmacht Jugoslawien lieb auf Dauer sein, die Minderheitenfrage in Kärnten zu einem Signal werden zu lassen, dessen Wirkung auf den mit Minderheiten übervollen jugoslawischen Staat nie genau abgeschätzt werden kann, noch kann es Kärnten und Österreich willkommen sein, die leidige Frage auf kleiner Flamme weiterschmoren zu lassen. Denn was da geschmort wird, ist in Wahrheit ein Pulverfaß, an welches manche nur deshalb nicht glauben wollen, weil es noch nicht explodier’te. Explodiert es einmal, könnte tatsächlich alles kaputt sein — und beileibe nicht nur in Kärnten!

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