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Zweifelhafte Germanisierung

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Der Bundeskanzler betonte, wie froh er sei, daß er in seiner Mittel-schulzeiit in Klagenfurt ein wenig Slowenisch gelernt habe; er sei der Meinung, daß ein Staatsmann den Volksgruppen im Staat zuliebe deren Sprache lernen solle, und er führte aus, wie begeistert er in Jugoslawien gerade auch seiner Kenntnisse in der serbokroatischen Sprache wegen aufgenommen worden sei. An die Adresse jener aber, die Kärntens Bereicherung immer noch in seiner Germanisierung sehen und die Kärntner in erstrangige Heimattreue und zweitrangige Staatsverräter katalogisieren, sagte der Kanzler:

„Ich möchte nur sagen, daß diese slowenische Sprache und diese slowenische Kultur zu Kärnten gehört, und wenn man Kärnten liebt, so muß man es so lieben, wie es ist, und man muß es als ein Ganzes lieben. Aus so differenziertem Wesen heraus wächst Kärntens Beson-

derheit und Schönheit als ein Grenzland in geographischer und kultureller Hinsicht.“

Als eines der ersten Glaubensbekenntnisse zu Österreich bezeichnete Dr. Klaus die Volksabstimmung aus dem Jahre 1920 und dankte dafür. Er bekannte sich zur Durchführung der im Staatsvertrag verankerten Minderheitenbestimmungen (eine Reihe davon, so wurde vom Vorredner des Bundeskanzlers betont, warte noch auf ihre Durchführung; auch die Regelung des Schulwesens sei nicht zufriedenstellend); er betonte, daß es eine wahrhaft österreichische Verpflichtung sei, die Minderheiten erhalten zu helfen. „Wir wollen daher noch offene Fragen unter Mitwirkung der Minderheit lösen und versichern Sie auch einer ständigen Förderung Ihrer kulturellen und wirtschaftlichen Belange.“ Zwei Dinge seien dabei besonders wichtig: das gegenseitige Vertrauen und die Tatsache, daß es der einen Seite klar

ist, daß es um die Existenz der Minderheit geht.

Ureuropäischer Boden

Am Schluß führte der Kanzler aus: „Aus diesem Grund begrüßen wir es, wenn möglichst viele Österreicher in diesen Zusammenhängen sich um die Fragen der Minderheiten und des Bestandes dieser Gruppen kümmern. Österreich fungiert ja seit Jahrhunderten als eine Art politische Drehscheibe, Kärnten ist der Schnittpunkt dreier Kulturkreise; ich möchte sagen, es ist der innerste Punkt dieser Drehscheibe, von dem sektorenhaft diese drei großen historischen Kulturkreise, der germanische, der romanische und der slawische, auseinandergehen. Kärnten ist ein ureuropäischer Boden und ein innerösterreichisches Abbild dessen, was wir uns als europäische Funktion unserer Heimat Österreich vorstellen. In der vorbildlichen Selbstgestaltung unseres Landes, in dem Volksgruppen verschiedener Sprachen einen Platz zur Erhaltung ihrer angestammten Eigenart finden, leisten wir einen vorbildlichen Beitrag zum Aufbau einer europäischen Ordnung, in der die Völker, die dem gemeinsamen Mutterboden europäischer Zivilisation entstammen, einander näherrücken und näherkommen. Dieses gemeinsame Band, das uns alle umschlingt, läßt uns mit Stolz bekennen: Wir sind Kärntner; wir sind Österreicher; wir sind europäische Bürger.“ Zum Abschluß sprach Dr. Klaus noch einige Sätze in slowenischer Sprache.

Österreichs Sendung ist in dieser großzügigen Politik, zu der sich Bundeskanzler Klaus bekannt hat, klar umrissen. Von Straßburg führte dieser Weg über die Hauptstadt eines Staates — Belgrad — in die Landeshauptstadt Klagenfurt, in den innersten Punkt der Drehscheibe.

Die Wellenbewegung zwischen Nationalrats- und Landtagswahl ist jedoch geringfügig im Vergleich zum Erdrutsch, den die Gemeindewahl am 4. April 1965 auslöste. Nun boten die Wähler der vier Vorarlberger Städte ein ganz neues Bild: ÖVP 27.639 oder 61,3 Prozent, SPÖ 11.198 oder 24,7 Prozent, FPÖ 5706 oder 12,6 Prozent, KLS 650 oder 1,4 Prozent. Aus dem Stimmenrückgang der FPÖ dürfen keine voreiligen Schlüsse gezogen werden, da diese allein in der Marktgemeinde Lustenau, wo sie seit 1960 den Bürgermeister stellt, 1538 Stimmen gewonnen und damit ihren Verlust in den vier Städten überkompensiert hat. Dagegen ist der Rückgang der SPÖ auf das ganze Land verteilt.

Es ist klar, daß die primäre Ursache der sozialistischen Niederlage in Fußach zu suchen ist. Wohl hat die Landes-SPÖ sich zur einhelligen

Meinung der Bevölkerung bekannt und gegen ihre eigene Führung gestellt. Ein Teil der Wählerschaft scheint aus dieser Haltung den Schluß gezogen zu haben, die Parteimänner seien im eigenen Lager machtlos, weshalb es sich nicht lohne, ihnen die Stimmen zu geben. Dennoch kann der Aufstieg der Volkspartei um mehr als 14 absolute Prozent nach einer Periode eines langsamen, jedoch stetigen Rückgangs nicht mit Fußach allein erklärt werden. Es wurden eben am 4. April nicht nur Fußach-, sondern auch Kessler-Wahlen geschlagen, wenn auch der jugendliche Landeshauptmann diesmal lediglich auf einem rückwärtigen Platz der Rank-weüer Gemeindevertreterliste kandidierte. Der neue Kurs spricht klarerweise Wählerschichten an, die bisher für die ÖVP nicht erreichbar gewesen sind.

Was in den vier Städten für die ÖVP galt, ist in Lustenau auf die FPÖ anwendbar. Im Zentrum der Stickereiindustrie rettete die SPÖ von den 33 Mandaten ein einziges!

Maximum und Minimum

Die Wellenbewegung von der Nationalrats- über die Landtags- zur Gemeindewahl beweist, daß der Vorarlberger Wähler nicht auf eine Partei festgelegt ist, sondern überlegt, wem er den Stimmzettel gibt. Das Schwanken zwischen Maximum und Minimum beträgt bei der ÖVP 14,2 und bei der SPÖ 10,8 absolute Prozent.

Niemand kann voraussagen, ob die ÖVP bei künftigen Wahlen die Fußach-Konjunktur behalten kann. Bei der Bundespräsidentenwahl am 23. Mai wird es in Vorarlberg wohl der Fall sein. Für spätere Nationalrats- und Landtagswahlen kommt alles darauf an. daß die Schichten, die jetzt zur Volkspartei gefunden haben, bei dieser Partei auch ihre politische Heimat finden.

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