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Die Reaktion der Frustration

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Seit kurzer Zeit macht die junge slowenische Intelligenz Kärntens von sich reden. Sie wird spürbar auf den Universitäten und hohen Schulen in Wien und Graz, wo sie sich, ihrer besonderen Interessenlage entsprechend, zusammenschließt und sie wird spürbar im Lande selbst. Nicht nur dadurch, daß sie dem politischen Antlitz der slowenischen Volksgruppe neue, oft natürlich radikalere Züge verleiht, auch durch eine manchen une,hagliche intelligente Argumentation im angeheizten „Voiks-tumskampf“. Was manchen so unbehaglich daran dünkt, ist die unverkennbare Tatsache, daß der aktivste Teil dieser neuen Intelligenzia deutlich sich auf Laibach orientiert hat. Und andere wieder stimmt unbehaglich, daß diese Intellegenzia insgesamt ein gesellschaftlich eher frustriertes, von der deutschsprachigen Mehrheitsgruppe sehr abgetrenntes Dasein führt. Unsichtbare Gräben durchziehen das Land.

Daß das so ist — und es ist so, auch wenn man es „offiziell nicht wahrhaben“ will — hat seine eigentümliche Geschichte. Wie so oft sind die Hauptmerkmale dieser Geschichte weit zurückgehende Versäumnisse, Unterlassungen und Überheblichkeiten. Natürlich . nicht nur auf einer Seite, sondern, wenn auch abgestuft, auf beiden Seiten.

Daß man von dieser jungen slowenischen Intelligenzia so lange nichts spürte, hat zunächst den Grund, daß sie von vergleichsweise geringer Anzahl ist, einer geringeren wohl, als es der zahlenmäßigen Stärke der Volksgruppe entspräche. Hinzu kommt, daß viele Jahrzehnte jener Teil der slowenischen Volksgruppe, der eine Karriere in einem „Intelligenzberuf“ anstrebte, sich die Ausbildung dazu entweder in Laibach holte (und dann sehr oft überhaupt dort verblieben ist) oder sich einer solchen in Österreich unterzog und alsbald in den Zentren der Mehrheitsgruppe „aufging“. Blieb so ein junger Kärntner Slowene in Österreich, mußte er sich schon in der Mittelschule in eine Anstalt begeben, in der für eine ihm entgegenkommende, seine volkstümlichen Eigenarten herausbildende oder auch nur bewahrende Ausbildung nicht gesorgt wurde. Auch die spätere Postenwahl ließ nur sehr wenig Chancen für eine dem besonderen Volkstum eigene Laufbahn offen. Die wenigen Posten im Schul-, Wirt-schaftsorganisations-, Verwaltungsund Kulturwesen, die paar meist ärmlichen ärztlichen Praxen oder Rechtsanwaltschaftskanzleien und kirchlichen Positionen, die eine „slowenische Karriere“ bedeutet hätten, ließen eine Ausbreitung dieser Intelligenz-Gruppe nicht zu. Ja, sehr oft mangelte es darin derart an „bodenständigem“ Nachwuchs, daß jene, welche diese Posten zu vergeben hatten, sich diesen aus dem benachbarten Slowenien holen mußten — was dann prompt mit dem Vorwurf der „Unterwanderung“ beantwortet wurde.

Seit Jahrhunderten stand die Volksgruppe der Kärntner Slowenen im Ansehen einer kleinbäuerlichen oder bestenfalls kleinbürgerlichen „Dienstleistungsgesellschaft“. Die überwältigende Mehrheit dieser Volksgruppe verhielt sich dabei „strukturkonform“ und gab sich damit zufrieden. Das blieb lange so, da ja die „zweite Industrielle “Revolution“ Kärnten insgesamt nur am Rande streifte. Nach dem raschen Zugrundegehen der stark gewerblich orientierten Eisenindustrie um die Jahrhundertwende, die /umeist herrschaftlichen Hammerwerk-Charakter hatte, blieb die Industrialisierung des Landes weit hinter anderen Gebieten zurück. Einzelne industriell hochbedeutsame Ausnahmen konnten das Gesamtbild nur wenig ändern.

Man hört oft die Meinung, Indu-strieansiedlung sei auch deswegen unterblieben, weil die Nachbarschaft zur „bedrohten Grenze“ sich als investitionsfeindlich erweise. Doch das trifft nur für einige relativ kurze Zeitabschnitte zu. Anderswo in Europa gab es auch „bedrohte Grenzen“ ohne derlei Folgeerscheinungen. Ein viel stärker wirksamer Grund dürfte hier die lange Zeit hindurch sehr ungünstige Verkehrslage gewesen sein. Eben diese wirkte sich später auch nachteilig auf einen neuen Wirtschaftszweig, die Touristik, aus. Es dauerte unverhältnismäßig lange,ehe Kärnten sich in die Lage versetzt sah, den großen Nachholbedarf auf diesem Gebiete allmählich zu stillen. Auch die kleinbäuerliche Siedlungskultur bot zunächst ein gewisses Hindernis für ergiebigeren Fremdenverkehr. Da die slowenische Volksgruppe Kärntens zudem eine gewisse Abgeschlossenheit liebte, ergaben sich auch „Mentalitätssperren“.

Das alles war ein für das Aufblühen einer „Intelligenzschichte“ maximal ungünstiger Zustand und natürlich nicht nur Ergebnis eines „Schicksals“, sondern ebenso die Konsequenz einer teils bewußten, teils unbewußten „Politik“. Nicht nur „Klassen-“ oder „Volks-tumspolitik“ ist da gemeint, sondern der Zusammenfluß auch vieler anderer, für die gesellschaftliche Situation relevanter Umstände und Voraussetzungen. Doch darf man auch nicht vergessen, daß der „Aufbruch“ der Slowenen insgesamt zu einer „höheren gesellschaftlichen Kategorie“ des Daseins — mitsamt dem Aufkeimen des dafür zunächst scheinbar unerläßlichen Nationalismus — verhältnismäßig spät stattgefunden hat. Die „nationale Revitalisierung“ der Slowenen ist von viel jüngerer Generation als dies in deren Umwelt bei den anderen Volksgruppen der Fall gewesen ist. Dementsprechend — da gibt es Zusammenhänge! — erfolgte sie auch mit radikaleren Äußerungen, die anderswo bereits abgelegt worden waren.

Als die Zweite Republik sich dazu entschloß, noch vor der restlosen Erfüllung des Artikels 7 des Staatsvertrages eine Vorleistung in Gestalt eines eigenen slowenischen Gymnasiums in Klagenfurt zu gewähren, schuf sie zugleich die Voraussetzung für eine rasche Veränderung der Situation. Zwar zog sich der damalige Unterrichtsminister Doktor Drimmel, der diese höhere Schule durchsetzte, damit den Unwillen jenes Teiles der Mehrheitsgruppe zu, der darin eine „gefährliche Unterwanderung“ zu erkennen glaubte, aber er überhörte das angestimmte Lamento weise.

Natürlich erfolgten keinerlei „politische Pressionen“ gegen diese Anstalt oder deren Absolventen. Aber eine „gesellschaftliche Repression“ blieb bestehen, bis heute. Das Institut und seine Insassen führen normalerweise eine Art „Inseldasein“ — sie sind eine „slowenische Diaspora“ im deutschsprachigen Klagenfurt.. Denn nicht, was und wieviel die „öffentliche Hand“ für eine Integration unternimmt, ist in einem solchen Prozeß entscheidend. Viel entscheidender ist das ja persönlich zu betreibende gesellschaftsbildende Werk. Da dies — sieht man einmal von der Kirche ab, die sich nach Kräfteft um die Volksgruppe bemühte und bemüht, was auch in dem synodalen Dokument „Das Zusammenleben der Deutschen und Slowenen in der Kirche Kärntens“ vortrefflich zum Ausdruck kommt — ein ungetanes Werk geblieben ist, erleben wir nun die Folgen: die junge Intelligenz der slowenischen Volksgruppe in Kärnten zeigt mehr und mehr die Züge einer „Reaktion auf Frustration“, “ und diese Züge haben mitunter unverkennbar irre-dentischen Charakter. Darüber zu klagen und zu schimpfen, führt zu nichts. Man sollte sich, vielleicht um endlich einmal aus der Geschichte zu lernen, die Geschichte der Volksgruppe und ihrer Intelligenz vor Augen führen!

Man hört oft, nun sehe man ja, wohin die Bevorzugung der Slowenen führe, die darin liegen soll, daß man ihr eine eigene höhere Schulstätte zugebilligt hat, „wo doch andere von der Minderheit nicht besiedelte Gebiete Kärntens mit vergleichsweise größerer Schülerzahl noch immer kein Gymnasium besitzen“. Nun habe man eine „nationale und sozialistische Brutstätte“ mitsamt den Folgen.

Solche Argumente werden nicht gescheiter dadurch, daß sie in einigem augenscheinlich stimmen. Sie „stimmen“ ja nur, weil man das leidige „Minderheitenproblem“ bis zuletzt bestenfalls als ein „Erfüllungsproblem“ gesehen hat, wobei Ausmaß und Art der „Erfüllungen“ von „Merheitsentscheidungen“ abhängig sind, was man für Demokratie hält, obgleich es nur ein Ausspielen von Quantität gegen Qualität ist.

Viele Fragen stellen sich in diesem Zusammenhang. Nicht zuletzt auch die Frage nach einer geeigneten, unpathetischen staatsbürgerlichen Erziehung aller Österreicher, die nicht um alle kritisch-neuralgischen Punkte der jüngeren und jüngsten Geschichte einen vorsichtigen Bogen macht. Die Frage geht auch nach einer wahren „Schule der BTemok: tie“, die etwas anderes und Besseres ist als bloß eine „demokratisierte Schule“! Eine solche vorteilhafte staatsbürgerliche Pädagogik sollte man natürlich nicht bloß den slowenischen Mittelschülern verschreiben, auch die deutschsprachigen Schüler bedürfen ihrer und, wie ich meine: nicht nur in Kärnten! Aber in Kärnten eben ganz besonders.

Daß die älteren Jahrgänge unserer Gesellschaft zu dem leidigen und, wie ich leidenschaftlich glaube, auch anachronistischen „Volkstumsprc-blem“ nicht mehr eine wesentlich andere bis ins Innerste jedes einzelnen gehende Haltung einnehmen werden, scheint mir eine ausgemachte Sache. Da ist — bestenfalls — laues Mitgehen unter dem ungeliebten (und unverstandenen) „Zwang der Verhältnisse“ zu erhoffen. Eine Haltung ohne Herz. Um so wichtiger erscheint es dahe daß die nachwachsenden Generationen in Kategorien zu denken lernen, in denen durch Harmonisierung und eng verflochtene Kooperation für jenen hohen, gleißnerischeti und hektisch übertriebenen „National-Stolz“ (worauf eigentlich, worauf nicht auch der andere stolz sein könnte?) kein Raum mehr bleibt. Denn einmal muß ja eine Generation heraufsteigen, welche „die Nation“ nicht als Erfüllung und Endzweck aller menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung begreift, sondern allenfalls als Zwischen- und Durchgangsstadium. Die aber anderseits die Eigenartigkeit von historisch, kulturell, ökonomisch und sohin auch politisch zusammengewachsenen Räumen begreift und diesen einen ordnenden, eben staatsbürgerlichen Gedanken unterlegt.

Das gilt auch für die junge Intelligenz der Kärntner Slowenen. Würden sie sich weiter „radikalisie-ren“, so müßten sie, das vorauszusehen ist nicht so schwer, alsbald sowohl an den damit hervorgerufenen inneren wie äußeren Widersprüchen scheitern. Nicht nur zum eigenen, sondern auch zum allgemeinen Nachteil, wie ich glaube.

Der Ist-Zustand muß überwunden werden. Das geschieht nicht nur durch allerlei Kommissions- und Gesetzesarbeit, nicht nur durch „offiziellen Kultur- und Nachbarschaftsbetrieb“, nicht nur durch gemeinsame Liedertafeln und Folklore-Gruppen (diese womöglich nach ihrem „touristischen Werbeeffekt“ schielend). Das gehört alles dazu, gewiß, und es ist gut, daß es das gibt. Die i Hauptsache bleibt aber solange ungetan, solange Kärnten nicht wiederum zu sich findet: es ist seiner Geschichte und Gestalt nach eine Heimat zweier Völker. Dies von allen Komplexen politischer Spätromantik zu befreien, mag die wichtigste Aufgabe der slowenischen und der deutschsprachigen Intelligenz des Landes sein. Eine Aufgabe, die langwierig und schwierig zugleich ist. Doch wenn sie nicht gelöst wird, werden alle an den Folgen zu leiden haben. Mehr noch vielleicht, als sie in der Vergangenheit zeitweise zu leiden hatten!

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