6823311-1973_49_06.jpg
Digital In Arbeit

Plädoyer für ein deutsch-slowenisches Dokument

19451960198020002020

Es gibt, wohl kaum jemanden in Österreich, der nicht wüßte, daß sich Kärnten gegenwärtig mitten in einem Volkstumskampf befindet. Im Herbst vergangenen Jahres kam es in Südkärnten zum Niederreißen zweisprachiger Tafeln, die in mehreren Orten des zweisprachigen Gebietes auf Grund eines vom österreichischen Parlament am 6. Juli 1972 beschlossenen Gesetzes aufgestellt wurden. Auch die Errichtung eines Partisanendenkmals rief Reaktionen hervor, die zur Sprengung dieses Denkmals führten. Es ist dies jedoch nicht der einzige Fall, bei dem mit Sprengstoff hantiert wurde. Auch vor dem Sitz des sozialistisch orientierten Zentralyerbandes slowenischer Organisationen und der Redaktion des politischen Wochenblattes „Vestnik“ explodierte kürzlich ein Sprengkörper.

19451960198020002020

Es gibt, wohl kaum jemanden in Österreich, der nicht wüßte, daß sich Kärnten gegenwärtig mitten in einem Volkstumskampf befindet. Im Herbst vergangenen Jahres kam es in Südkärnten zum Niederreißen zweisprachiger Tafeln, die in mehreren Orten des zweisprachigen Gebietes auf Grund eines vom österreichischen Parlament am 6. Juli 1972 beschlossenen Gesetzes aufgestellt wurden. Auch die Errichtung eines Partisanendenkmals rief Reaktionen hervor, die zur Sprengung dieses Denkmals führten. Es ist dies jedoch nicht der einzige Fall, bei dem mit Sprengstoff hantiert wurde. Auch vor dem Sitz des sozialistisch orientierten Zentralyerbandes slowenischer Organisationen und der Redaktion des politischen Wochenblattes „Vestnik“ explodierte kürzlich ein Sprengkörper.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Reaktionen auf slowenischer Seite charakterisieren Vorsprachen slowenischer Vertreter in Laibach und Belgrad. Jugoslawien wird als Mitunterzeichner des österreichischen Staatsvertrages ersucht, in Wien — und falls notwendig, auch bei internationalen Institutionen — für die Rechte der Kärntner Slowenen einzutreten. Die im Jahre 1970 begonnenen Aktionen slowenischer Studenten, die deutschsprachigen Ortstafeln mit der slowenischen Aufschrift zu ergänzen, werden fortgesetzt, wobei man in letzter Zeit begann, diese Aktionen auch auf öffentliche Gebäude (Schulen, Gemeinde-, Postämter usw.) auszudehnen.

Während auf der einen Seite für die im Zweiten Weltkrieg im Kampf gegen den Nazismus gefallenen Opfer Partisanendenkmäler aufgestellt werden, hält es die andere Seite für angebracht, Gedenktafeln für verschleppte Südkärntner zu enthüllen und Denkmäler für Gefallene beider Weltkriege und des Kärntner Abwehrkampfes zu errichten. In Flugblattaktionen wird für eine Minderheitenfeststellung geworben, in Massenkundgebungen wird von der österreichischen Bundesregierung eine solche Feststellung der Minderheit als Voraussetzung für die Lösung der Minderheitenschutzbestimmungen gefordert, während die Kärntner Slowenen einhellig eine Minderheitenfeststel-lung als Voraussetzung für die Verwirklichung staatsvertraglich eingegangener Verpflichtungen — in welcher Form auch immer — ablehnen. Diese Ablehnung war die Hauptforderung eines mittlerweile ins Leben gerufenen Solidaritätskomitees im Rahmen einer am Vorabend zum österreichischen Nationalfeiertag durchgeführten Demonstration in Klagenfurt, die Angehörige beider Volksteile vorbereitet und durchgeführt haben. Initiatoren dieses Solidaritätskomitees sind zwar linksorienitierte Kreise, es wirken im Komitee jedoch auch andere Organisationen mit.

Die Argumente gegen eine Min-derheitenfeststellung wollte das Solidaritätskomitee auch mit einer Dokumentation, die der Klub Slowenischer Studenten in Wien für eine Wanderausstellung vorbereitet hat, untermauern. Die Ausstellung, für die bisher in Klagenfurt niemand Räume zur Verfügung gestellt hat, verfolgt den Zweck, auf die in Kärnten erfolgte Germanisierung hinzuweisen.

Warum wehren sich die Slowenen so stark gegen eine Minderheitenfeststellung? Eine Volkszählung zum Zwecke einer Minderheitenermittlung auf Grund einer Sprachbefragung würde in Kärnten nur ein verzerrtes Bild der tatsächlichen sprachlichen Verhältnisse wiedergeben. Dies deshalb, weil sich ein beachtlicher Teil der Bevölkerung Südkärrutens im Alltag zwar wohl der slowenischen (windischen) Sprache bedient, jedoch aus vielerlei Gründen das Bekenntnis zum slowenischen Volkstum scheut. Die Hauptursache ist in den Schulver-hältnissen der Vergangenheit zu suchen. Durch mehrere Jahrzehnte hindurch mußte sich die slowenische Sprache in den Volksschulen Süd-kärntens mit der Stellung einer Hilfssprache begnügen.

An den „utraquistischen Schulen“ wurde vor dem Jahre' 1918 und zur Zeit der Ersten Republik im 1. und 2. Schuljahr die slowenische Unterrichtssprache nur solange verwendet, bis das slowenische Kind imstande war, dem Unterricht in deutscher Unterrichtssprache zu folgen. Ab der 3. Schulstufe war Deutsch ausschließlich die Unterrichtssprache. Die slowenische Sprache war im Ausmaß von drei Unterrichtsstunden lehrplanmäßig zwar noch vorgesehen, jedoch ermöglichte ein Erlaß des Landesschulrates für Kärnten die Befreiung vom Slowenischunterricht. Das slowenische Kind blieb im großen und ganzen beim Wortschatz, den ihm das Elternhaus vermittelt hatte. Kaum jemand hatte die Möglichkeit, die slowenische Schriftsprache wirklich zu erlernen. Mit dem kulturellen und geistigen Leben des eigenen Volkes wurden die slowenischen Kinder in der Schule nie vertraut gemacht. So wurden Generationen von Kindern systematisch dem slowenischen Volkstum entfremdet.

Zwischen 1938 und 1945 gab es zur Zeit des Nationalsozialismus in Südkärnten keinen Slowenischunterricht. Eine ganze Schulgeneration künftiger Mütter und Väter hörte in der Schule kein slowenisches Wort. Außerdem erzwang der Staat nach 1941 das Verbot der slowenischen Sprache auch in der Kirche, später sogar im öffentlichen Leben Süd-kärntens. Hinzu kommt die politische Verfolgung slowenischer Familien zur Zeit des Nazismus.

Daß bei einer Minderheit solche Ereignisse tief in die Gegenwart hereinwirken, ist klar. Man darf sich auch nicht wundern, wenn auf diese Weise der Mut zum Bekenntnis zur Volksgruppe immer schwächer wurde. So gesehen würde eine Minderheitenermittlung kein objektives Bild der tatsächlichen Sprachverhältnisse ergeben. Sie würde auf Grund der politischen und psychologischen Gegebenheiten in Kärnten für die Minderheit noch schlechter ausfallen als die Volkszählung 1971. Es ist fraglich, ob man bei einer Minderheitenermittlung einen Kreis von 15.000 Minderheitsangehörigen noch erfassen würde.

Dazu im Widerspruch stünden allerdings die tatsächlichen sprachlichen Verhältnisse. Käme man nämlich in die Dörfer Südkärntens, würde man — obwohl man auf Grund der Minderheitenermittlung z. B. mancherorts nur einen geringen Prozentsatz von Slowenen festgestellt hat — auch in diesen Ortschaften stark das slowenische Wort zu hören bekommen. Der österreichische Völkerrechtsexperte Doktor Veiter spricht in seinem Werk „Das Recht der Volksgruppen und Sprachminderheiten in Österreich“ von mehr als 50.000 Sprachslowenen. Wenn man diese Zahl akzeptiert — die Zahl der Sprachslowenen ist sicherlich noch höher anzusetzen —, dann kann man allein schon daraus ersehen, in welche Verlegenheit man 'mit einer Minderheitenermittlung geraten würde und welche Folgen eine solche Minderheitenenmittlung bzw. Minderheitenfeststellung für die slowenische Volksgruppe mit sich bringen würde. Das Resultat wäre eine starke Einengung der der Minderheit auf Grund des Artikels 7 des Staatsvertrages zustehenden Rechte, vor allem im Hinblick auf den Geltungsbereich des Slowenischen als Amtssprache, aber auch hinsichtlich zweisprachiger topographischer Aufschriften.

Gegen eine Minderheitenfeststellung sprechen demnach folgende Gründe:

1. Österreich hat sich im Artikel 7 des Staatsvertrages auch zur Aufstellung zweisprachiger Aufschriften verpflichtet. Es wurde weder bei den Staatsvertragsverhandlungen noch anläßlich der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages der Siedlungsraum der Slowenen in Frage gestellt.

2. Die Erfüllung staatsvertraglich eingegangener Verpflichtungen wurde weder vor der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages noch zur Zeit der Staatsvertragsunterzeichnung von einer Minderheitenfeststellung bzw. von einer Min-derheitenermittlung abhängig gemacht.

3. Der Siedlungsraum, der von Deutschen und Slowenen gemeinsam bewohnt wird, ist bekannt. Er deckt sich mit dem Geltungsbereich des Minderheitenschulgesetzes aus dem Jahre 1959 sowie dem Erlaß des Kärntner Landeshauptmannes zwecks Zulassung des Slowenischen als Amtssprache aus dem Jahre 1968. Die Gemeinden sind in diesem Erlaß, der bezüglich der slowenischen Amtssprache eine Übergangslösung darstellt, einzeln angeführt. Obwohl alle bisherigen Gesetze zwecks Durchführung des Artikels 7 ohne Mitarbeit der Minderheit zustande gekommen sind und auch der Erlaß des Kärntner Landeshauptmannes bezüglich des Slowenischen als Amtssprache ohne Absprache mit der Minderheit erlassen wurde, anerkennt die Volksgruppe den Geltungsbereich des Erlasses und des Minderheitenschulgesetzes als jenen Bereich an, in dem der Artikel 7 zu verwirklichen wäre.

4. Eine Volkszählung zwecks Minderneitenermittlung würde — wie bereits zum Ausdruck gebracht — nur ein verzerrtes Bild der tatsächlichen sprachlichen Verhältnisse in Südkärnten wiedergeben,. Die Gründe sind vielschichtig. Auf sie wurde eingangs bereits eingegangen.

5. Gewisse Kreise würden mit ihrer Propaganda aus einer neuerlichen Volkszählung eine Volksabstimmung für oder gegen Österreich konstruieren.

6. Die jüngsten Sprengstoffanschläge in Kärnten beweisen außerdem, daß der Druck auf die Minderheit nicht nur psychischer Natur ist.

7. Der Wortlaut des Staatsvertrages ist eindeutig. Im Artikel 7 Abs. 3 des Staatsvertrages heißt es, daß in den Verwaltungs- und Gerichtsbezirken Kärntens mit slowenischer oder gemischter Bevölkerung die slowenische Sprache zusätzlich zum Deutschen als Amtssprache zugelassen wird und daß in solchen Bezirken die Bezeichnunigen und Aufschriften topographischer Natur sowohl in slowenischer Sprache wie in Deutsch verfaßt werden. Gemeinden mit slowenischer oder gemischter Bevölkerung sind im Amtssprachenerlaß der Kärntner Landesregierung namentlich angeführt. In diesen Gemeinden sollte —

so der Standpunkt der slowenischen Organisationen — der Artikel 7 verwirklicht werden.

Zur Regelung der Frage zweisprachiger Aufschriften wurde im Bundeskanzleramt eine Studienkommission für Probleme der slowenischen Volksgruppe eingesetzt. Diese Studienkommission beschloß am 16. November 1973 einen Zwischenbericht an Bundeskanzler Doktor Kreisky, der diesen Bericht den im Parlament vertretenen Parteien zur Diskussion und Stellungnahme vorlegen wird. Von diesem Zwischenbericht werden außerdem die Vertreter slowenischer Organisationen, die eine Mitarbeit in der Studienkommission ablehnen, in Kenntnis gesetzt werden.

Der Zwischenbericht wird vor allem vier Vorschläge beinhalten, die in der Studienkommission bezüglich der Regelung zweisprachiger Aufschriften und des Slowenischen als Amtssprache vertreten werden.

Der Vorschlag des Präsidenten Guttenbrunner sieht eine pragmatisch-politische Lösung vor, bei der sich SPÖ, ÖVP und FPÖ auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen sollten. Sollte eine Einigung auf Grund einer gemeinsam erarbeiteten Lösung mit den Slowenen nicht möglich sein, dann würde auch Präsident Guttenbrunner, der Vertreter der SPÖ ist, als letzten Ausweg eine Minderheitenermittlung im Wege einer Volkszählung sehen.

Ein Vorschlag, den Präsident Doktor Mayrhofer (ÖVP) und LAbg. Sil-la (FPÖ) befürworten, sieht eine Regelung auf Grund einer geheimen Sprachzählung vor.

Der Vorschlag, den als Vertreter der Kirche in der Studienkommission Dr. Waldstein vertritt, sieht vor, daß sich die politischen Parteien in Kärnten mit den Vertretern der slowenischen Volksgruppe zuerst über jene Gemeinden einigen sollten, in denen es — unbestritten von allen — zweisprachige Aufschriften geben müßte. In Gemeinden, über die es bezüglich zweisprachiger topographischer Aufschriften keine Einigung geben würde, aber sollte eine Abstimmung durchgeführt werden. Sollten sich in solchen Gemeinden 20 Prozent der Bevölkerung für zweisprachige Aufschriften entscheiden, müßten in diesen Gemeinden zweisprachige Ortstafeln aufgestellt werden.

Der Autor dieses Beitrages, der der Studienkommission ebenfalls als Vertreter der Diözese Gurk-Kla-genfurt angehört, vertritt die Ansicht, daß sich Österreich gegenüber der Minderheit großzügig erweisen sollte und man dieser die objektivsten Volkszählungsergebnisse, die die Zweite Republik anzubieten hat, zwecks Realisierung des Artikels 7 des Staatsvertrages anbieten sollte. Man möge deshalb die Frage zweisprachiger Aufschriften auf der Grundlage der Volkszählung 1951 lösen, die unmittelbar vor der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages durchgeführt wurde. Zweisprachige Aufschriften sollte es in Gemeinden geben, in denen es auf Grund der Volkszählung-1951 einen 20prozentigen Anteil von Minderheitsangehörigen gegeben hat.

Soweit die vier Vorschläge der Studienkommission. Die in Zürich erscheinende „Orientierung“ schrieb in ihrer Ausgabe vom 15. November 1973 zu diesem Problem, daß die jüngste Entwicklung im Zusammen-leben der deutschsprachigen Mehrheit und der slowenischen Minderheit sowie die Gefahr einer unheilvollen Eskalation die Österreich-Synode veranlaßt hätten, ihre Debatte in einer sofort veröffentlichten Resolution zusammenzufassen. In dieser Resolution wird auf die Kärntner Diözesansynode verwiesen, die in einer virulent gesellschaftspolitischen Frage beispielhaft vorgegangen war und Grundsätze des Zusammenlebens der „Deutschen und Slowenen in der Kirche Kärntens“ ausgearbeitet hat. Im Rahmen der Österreich-Synode galt es nun, einen Schritt weiterzugehen. So wurde auf überdiözesa-ner Ebene die Forderung erhoben, „die Verpflichtungen aus dem Staatsvertrag endlich und großzügig zu erfüllen“.

In Kärnten hört man auf deutschsprachiger Seite nicht selten, daß man nichts gegen zweisprachige Aufschriften einzuwenden hätte, wenn man wüßte, daß damit nicht ein bestimmtes Territorium abgegrenzt werden würde, auf das Jugoslawien einmal Anspruch erheben könnte.

Es muß demnach verhindert werden, daß der Artikel 7 des Staatsvertrages die beiden Volksteile in Kärnten entzweit. In einer so eminent wichtigen Frage, die die Gefühle aller Kärntner bewegt, bedarf es meiner Meinung nach einer ebensolchen geistigen Basis, wie man sie in der Kirche Kärntens gesucht und gefunden hat. Es würde sich lohnen, wenn alle im Kärntner Landtag vertretenen Parteien, gemeinsam mit den Vertretern der Minderheit und den zuständigen Regierungsstellen, ebenso ein Dokument über die Zusammenarbeit der Deutschen und Slowenen in Kärnten ausarbeiten würden. Bei einem solchen Dokument ginge es zuerst um einen grundsätzlichen Teil, dann um die gemeinsamen Aufgaben. Persönlichkeiten, die an der Gestaltung, Ausrichtung und Bereicherung des geistigen Kärnten Anteil haben, wären bei der Ausarbeitung eines solchen Dokumentes beizuziehen. Man würde so das Kampffeld des nationalen Haders verlassen, um schließlich auf der Ebene der menschlichen und geistigen Begegnung alle Kräfte für das Wohl unseres Landes, der Menschen in diesem Raum und Österreichs einzusetzen.

Ein solches von Deutschen und Slowenen ausgearbeitetes Dokument müßte dann in Anwesenheit von Vertretern der slowenischen Volksgruppe vom Kärtner Landtag als Leitlinie der Kärntner Landespolitik beschlossen werden. Einer großzügigen Lösung staatsvertraglich übernommener Verpflichtungen stünde nichts mehr im Wege. Es gäbe eine gemeinsame Zukunft und Aufgabe: Österreich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung