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Modell für Südtirol?

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In letzter Zeit häuften sich in geradezu aufeinander abgestimmtem Tonfall die Hinweise in der italienischen Tagespresse, daß es den in Italien (Triest, Görz und in der Nähe Udines im Friaul) lebenden Minderheiten slowenischer und kroatischer Zunge wesentlich besser gehe, de facto und de jure, als den Slowenen in Kärnten. Derartige Parallelismen erweisen sich bei näherer Prüfung meist als gerade das beweisend, was man nicht bewiesen haben wollte. Denn ganz im Gegenteil: Fast dem Wortlaute nach, bei Aenderung der bloßen Namen, ergibt sich vielmehr eine sonderbare taktische Parallele zwischen den in Italien lebenden Slowenen und den deutschsprachigen Südtirolern. Ganz zu schweigen von der Lage der Slowenen Kärntens.

Der auf Grund des Londoner Memorandums vom 31. Oktober 1954 — also vor genau fünf Jahren — zwischen Italien und Jugoslawien aufgeteilte sogenannte „Triester Freistaat“ hinterließ in einem Sonderstatut dieses Memorandums genaue Bestimmungen für alle Belange der auf italienischem Territorium verbleibenden slowenisch-kroatischen Minderheiten, wovon die amtliche Zweisprachigkeit eine Mindestforderung war und bis heute nicht erfüllt worden ist, es sei denn in ganz bestimmten Sonderfällen. Daß dem so ist, beweist die Tatsache, daß aus Anlaß der Fünfjahrfeier dieses Londoner Memorandums eine slowenische Delegation beim Triester Regierungskommissär vorgesprochen hat, um in einer Resolution und Gedenkschrift an die Adresse Ministerpräsidenten Segnis die „Grundforderungen der Slowenen und die mangelhafte Durchführung des Sonderstatuts“ an höchster Regierungsstelle zur Kenntnis zu bringen, mit der Bitte um Abhilfe. Vor allem fordern die Slowenen, daß in den Ausschreibungen für öffentliche Dienstposten in Triest und Umgebung die Kenntnis des Italienischen und des Slowenischen als unumgänglich verlangt werde. Ferner wird gefordert, daß den kulturellen, sportlichen und der sozialen Wohlfahrt dienenden slowenischen Organisationen die gleichen Rechte anerkannt würden, wie sie die italienischen Körperschaften genießen, und zwar auf gesetzlicher Grundlage. Daß gerade die letztgenannte Forderung von ausschlaggebender Bedeutung ist und sein muß, erhellt aus der Tatsache, daß die slowenische Bevölkerung Triests und der Randbezirke in ihrer überwiegenden Mehrheit aus konservativ-katholischen Elementen besteht, während nur ein je nach den lokalen politischen Verhältnissen sich wandelnder Teil der Slowenen Sympathien für Tito-Jugoslawien einerseits oder aber für die kommunistische Partei Vidalis anderseits bekundet. Und es ist kein Geheimnis, daß der größte Teil der Slowenen seinerzeit für die „Unabhängigkeitspartei" Triests gestimmt hatte — also für die Aufrechterhaltung des nunmehr aufgeteilten Triester Freistaates und seiner Sonderrechte.

Die größte Sorge aber bereitet den italienischen Kreisen Triests die Frage einer „Region Triest-Görz-Udine“, wenn es nicht gelingt, den Sonderbestrebungen der Slowenen einen Riegel vorzuschieben. Auf keinen Fall würde jemals eine „Sonderregion Triest" (lies: Bozen!) gebilligt und verwirklicht werden. Denn damit würden die Befürchtungen, die Slowenen könnten es zu einer allzu prononcierten Autonomie im eigenen Hause bringen, eine zum Teil begründete Nahrung finden. Aus diesem Grunde soll ja Triest sich mit Görz und Udine (Friaul) verbinden, im Rahmen der „Region Venezia-Giulia“, um das Kräfteverhältnis zugunsten der italienischen Volksgruppe zu verschieben. Daß Triest auf diese Weise in seiner Eigenschaft als Hafenstadt vom landwirtschaftlich interessierten Udine offenkundig majorisiert würde, müßte eben als selbstverständliches nationales Opfer hingenommen werden.

Selbst ein sonst eher gemäßigtes italienisches Organ wie die Turiner „Stampe" kann sich nicht genug tun, darzv.tun. welch grausamer Unter drückung die Kärntner Slowenen ausgesetzt seien, was schon der Umstand beweise, daß sie vor siebzig Jahren 85.000 Köpfe gezählt hätten, während sie heute nur noch armselige 22.000 ausmachen. Das nähere Wie und Warum wird dabei nicht in Betracht gezogen, ganz zu schweigen davon, daß es in Kärnten vor allem die „Windischen“ sind, die das Problem schwierig gestalten, weil sie als typische Grenzlandfälle Slowenen und doch auch wieder nicht Slowenen sind, der Sprache, Sitte und Kultur nach, was in Triest und Görz durchaus nicht der Fall ist: hier ist die ethnische Frage höchst eindeutig und daher auch leichter lösbar.

Ein Vergleich mit Südtirol hinkt aber schon eines einzigen Umstandes wegen, den man geflissentlich in derartigen Komparativkritiken übersieht: Die Kärntner Slowenen haben sich eindeutig in der Volksabstimmung von 1920 für Oesterreich und das Verbleiben in dessen Staatsverband ausgesprochen, während man von den Südtirolern in keiner Weise behaupten kann, sie hätten sich für Italien ausgesprochen. Und die Zweisprachigkeit? Erst in allerletzter Zeit sind Ansätze dazu in Südtirol geschaffen worden. Welcher Schrei der Entrüstung wäre aber durch den italienischen Blätterwald gegangen, wenn man in Südtirol dekretiert hätte, in den gemischtsprachigen Gebieten müßten die Schulkinder in den Volksschulen außer dem Italienischen auch das Deutsch als Pflichtfach erlernen, was bis vor kurzem in Kärnten der Fall war, nur setze man statt „Deutsch“ „Slowenisch". Wie leicht läßt sich da eines gegen das andere ausspielen und verdrehen!

Noch heute warten die Triester und Görzer Slowenen auf eine rechtlich fundierte Ordnung der slowenischen Schulen, die mehr oder weniger ein Dasein von heute auf mengen haben. Hier gilt immer noch die Anschauung, daß das Slowenische in der Stadt nicht so ganz „standesgemäß" sei. Denn die Slowenen sind ihrem Ursprung nach meist Landbewohner, Bauern, deren wirtschaftliche Diskriminierung im Triester Gebiet in Oesterreich wohl nicht ihresgleichen hat. Ganz im Gegenteil soll es in Kärnten zu systematischen Ankäufen von Bauerngütern zugunsten des slawischen Elements gekommen sein, ln den Triester Landgemeinden werden italienische Industriebetriebe mit Fremdelementen errichtet, wie in Südtirol. Daß ein wirklicher Slowene in Triest und Görz in ein öffentliches Amt gesetzt wird, zählt zu den großen Seltenheiten. Schließlich ist es eine Binsenweisheit, wenn man von Regierungsvertretern und Sachkennern in Kärn ten hört, daß das ganze Minderheitenproblem in Kärnten mit einem Federstrich gelöst werden könnte, wenn die am meisten interessierten ethnischen Partner sachlich schön bei der Stange blieben; vor allem auf Seite der Slowenen, statt Unmögliches zu fordern.

Und wenn heute auf einer Bozener Studientagung über den Unterricht der deutschen Sprache in der italienischen katholischen Lehrervereinigung von einem Schulamtsleiter der Vorschlag gemacht wurde, eine Verbesserung des Deutschunterrichts an den italienischsprachigen Schulen Südtirols in die Wege zu leiten, so spricht diese Tatsache an sich schon eine deutliche Sprache. Wie muß es damit bestellt sein, wenn italienische Lehrer darüber ihre Besorgnis äußern, daß die Italiener in Südtirol zuwenig Deutsch verstehen. Und sei es auch nur, um erfolgreicher gegen die „Südtirolpropaganda von jenseits der Grenzen“ auftreten zu können; dies ist wohl als politischer Hintergedanke mitgedacht. Immerhin: Es spricht für sich selbst, wenn darüber Klage geführt wird, daß es bisher nicht gelungen sei, den Deutschunterricht auf alle Klassen der Mittel- und höheren Schulen auszudehnen, so daß sich die Italiener den doppelsprachigen Südtirolern unterlegen fühlen! Demgegenüber kann festgestellt werden: In

Kärnten bricht sich die Doppelsprachigkeit im praktischen Leben von selbst Bahn, und sei es auch nur in der Tradition des einstigen Vielvölkerstaates Oesterreich. In Triest kommt eine derartige tolerante Einstellung von Haus aus wohl kaum zum Durchbruch, wenn man statt des Deutschen das Slowenische postulierte. Erst kürzlich erhob Guareschis „Candido" den Kassandraruf: „Das Kroatische in Triest“: ganz einfach nicht auszudenken! Und dies, weil der gegenwärtig in Rom tagenden fünften Zusammenkunft der „gemischten italienisch-jugoslawischen Kommission zum Schutze der ethnischen Minderheiten" die endliche Einführung der slowenisch-italienischen Zweisprachigkeit in Triest und Umgebung folgen sollte.

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