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Der Hafen der Sorgen

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In Triest erfüllt sich ein Schicksal, das dem Südtirols in mancher Hinsicht gleicht. Auch hier verschließt sich die römische Regierungsbürokratie der besseren Einsicht, zur rechten Zeit das zu gewähren, was man höheren Ortes einmal versprochen hat. Zur Zeit, da Triest als „Freistaat“ unter der alliierten Treuhänderschaft in der Nachkriegszeit zu „schmachten“ hatte, trat Pella in Wort und Tat dafür ein, daß Triest wieder an sein Mutterland Italien angeschlossen werde — weil es angeblich so nicht weiterleben könne. Es kam zum Londoner Memorandum unter seinem Nachfolger Scelba, demzufolge der ominöse „Freistaat“ aufgeteilt und die A-Zone Triest wieder unter italienische Verwaltung kam.

Gleichzeitig erließ die italienische Regierung ein auch im Londoner Memorandum vom Oktober 1954 verankertes feierliches Versprechen, Triest als einen Sonderfall im Rahmen des italienischen Staatsgefüges zu betrachten und in wirtschaftspolitischer, administrativer und finanzieller Hinsicht zu bevorzugen. Ja, es wurde ein eigener „Fonds Triest“ ins Leben gerufen, dessen beträchtliche Höhe die Verwirklichung mancher wirtschaftlicher Pläne und Unternehmen durchaus möglich gemacht hätte. Es handelte sich da um Milliardenbeträge, die zur Modernisierung der Hafenanlagen, der Lagerhäuser, des In- äustn’ehafens, des Verkehrsnetzes und der Frem- denverkehrseinrichtungen hätten dienen sollen. Nur ein Bruchteil davon ist Wirklichkeit geworden. Heute liegen die wirtschaftlichen Verhältnisse Triests so, daß es mit seiner Arbeitslosenzahl unter den italienischen Städten eine Rekordzahl aufweist, daß Aussperrungen und Betriebsschließungen oder zumindest spürbare Einschränkungen, vor allem in den kleineren Schiffswerften, an der Tagesordnung sind. Selbst die CRDA, die großen Adriaschiffswerften in Monfalcone-Triest, haben es nicht leicht, durch entsprechende Staatsaufträge ihre Einbußen wettzumachen. Allein nicht genug damit. Nachdem Triest seinem Mutterlande Italien wieder angeschlossen worden war, gab es in Triest unter den Gewerbetreibenden und Kaufleuten eine mächtige Bewegung, die an Stelle des preisgegebenen Freistaates aus Triest eine sogenannte „Zona Franca“, ein besonderes Zollausschlußgebiet mit „Freihafen“ innerhalb des italienischen Staatswesens, machen wollte — ihr Anführer war ein ehemaliger süditalienischer Polizeioffizier, der gegenwärtig Großkaufmann ist. Allein dieser Plan stieß auf Regierungsseite und in gewissen Triester Kreisen der Hochfinanz und Schwerindustrie auf schärfsten Widerstand. Man befürchtete, es könne daraus ein Politikum werden, das entsprechende materielle Opfer erfordern würde. Statt dessen wurde das Großprojekt einer umfassenden Region aufs Tapet gebracht: Stadt und Gebiet von Triest sollten mit der Provinz Friaul zu einer in gewissen Belangen autonomen Region, die eine Erweiterung der ehemaligen Provinz „Venezia-Giulia“ bedeuten würde, vereinigt werden, um auf diese Weise Triest gewisse wirtschaftliche und administrative Sonderrechte zu sichern. Allein auch da geht das Hin und Her der Meinungen und Absichten seit Jahren am Kern des Problems vorüber: Was eigentlich zu machen wäre, um nachhaltig helfend einzugreifen und etwas ins Leben zu rufen, das den Erfordernissen der gegenwärtigen Lage Triests und seiner Anrainer halbwegs gerecht werden könnte — ganz zu schweigen von der Erfüllung eingegangener Verpflichtungen —, wird so sehr auf die lange Bank geschoben, daß man heute schon allenthalben fremde Helfer auf den Plan ruft. Erst kürzlich weilte zur Wiener Herbstmesse eine Triester Delegation in Wien, um hier entsprechende Kontakte zur Förderung des Triester Uebersee- verkehrs aufzunehmen. Angeblich soll an Vizekanzler Dr. Pittermann die Einladung ergangen sein, im kommenden Monat November Triest einen Besuch abzustatten, um sozusagen einen persönlichen Eindruck davon zu gewinnen, was sich in Triest tut — und nicht tut.

Der Plan einer neuen Region mit Einschluß Friauls wirft nun die Frage auf, ob Triest durch diese Verbindung mit einer rein kontinental eingestellten Provinz wie dem Friaul nicht erst recht um seine Sonderrechte betrogen würde. Denn es gehört nicht viel dazu, um einzusehen, daß das Friaul genau so gut in Venedig seinen Partner zur See finden könnte, abgesehen davon, daß das Friaul an jenen Sonderaufgaben, wie sie einer Hafenstadt von der einstigen Bedeutung Triests eigentümlich sein müssen, keinen rechten Geschmack finden kann und zu Opfern und Zugeständnissen, nur damit es Triest besser gehe, wenig Bereitschaft zeigen dürfte.

Just in den letzten Tagen ist wieder einmal eine „Triester Mission", bestehend aus dem Präsidenten der Provinzialregierung, dem Bürgermeister, dem Präsidenten der Triester Handelskammer und anderen Exponenten des Wirtschaftslebens der Stadt zu einer — man darf wohl ruhig sagen — Fahrt nach Canossa angetreten, um in Rom an höchster Stelle vorzusprechen und die „Sonderwünsche Triests“ in der Form eines Minimal- und Sofortprogramms der wesentlichen Hilfe vorzubringen. Doch ist es kein Geheimnis, daß man sich auch von dieser Bittfahrt nicht allzuviel erwartet — es sei denn, daß man Triest jene Hilfe zukommen läßt, wie sie eben auch anderen notleidenden Städten Italiens gewährt wird —, aber keine Extrawürste, auf die es aber leider ankäme, wenn Triest wirklich „geholfen“ werden soll.

Daß die vorgebrachten Erwägungen durchaus nicht eine Einzelmeinung abwegiger Natur darstellen — etwa als eine böswillige Parallele zur Südtirolfrage —, könnte nichts besser beweisen als die Tatsache, daß eine italienische führende Persönlichkeit auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik und Verwaltung, die Triest und seine Verhältnisse aus eigenem Erleben bestens kennt. Diego de Castro, im italienischen Blätterwald seit Jahren eine vergebliche Kampagne führt, um seinen Landsleuten und Patrioten die Augen dafür zu öffnen, was Triest wirklich nottäte — und dies recht bald. Ein erst kürzlich veröffentlichter ausführlicher Artikel darüber trägt den Schlagzeilentitel: „Triest harrt seit vielen Jahren, daß die Versprechungen endlich Wirklichkeit werden!“ Man muß wahrlich staunen, daß er den Mut aufbringt, nachzuweisen, daß an die 50 Prozent der Produktionskapazität Triests brachliegen, weil man dafür keine Verwendung habe. Private wie öffentliche Investitionen nähmen erschreckend ab. Trotzdem — vielleicht gerade deshalb — treibt Triest Scheinblüten eines materiellen Wohlstandes auf dem Konsumentensektor, so daß zahlenmäßig der Triester Durchschnittsverbraucher gleich nach Mailand rangiere. Aber es sind — so heißt es in dem Artikel weiter — verdächtige Symptome einer vorübergehenden seltsamen Euphorie, die zum Teil mit der Tradition Triests Zusammenhängen. Das beweist schon der Umstand, daß Triest mit seinen zwölf Prozent Arbeitslosen fast das Doppelte des Arbeitslosendurchschnitts in Italien für sich buchen kann.

Diego de Castro beklagt sich zu Recht, daß in der heutigen Lage der Dinge in Triest vor allem das wirtschaftliche Vertrauen, wenn nicht das Vertrauen überhaupt abhanden gekommen sei. Wie sollte ein Vertrauen auch aufkommen, wenn der Autor des Artikels eingestehen muß, daß von Rom aus alle Maßnahmen zugunsten Triests entweder verspätet oder aber nur in zersprengten wertlosen Einzelaktionen erfolgen, die mehr Unordnung als Ordnung stiften? So nehme das Verderben seinen Lauf.

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