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Italiens kleine Kolonie

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Wer soll Triest noch retten? Die Uneinsichtigkeit Roms und das Desinteresse Österreichs lähmen die wirtschaftliche Entwicklung des einstmals blühenden Adriahafens.

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Wer soll Triest noch retten? Die Uneinsichtigkeit Roms und das Desinteresse Österreichs lähmen die wirtschaftliche Entwicklung des einstmals blühenden Adriahafens.

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Würde man in Triest ein Plebiszit veranstalten, stimmten wahrscheinlich über 90 Prozent für den „Anschluß an Österreich“. Das behauptet kein schwarz-gelber Nostalgiker, der alljährlich mit Gulasch und Knödel unter südlicher Sonne denGeburtstag des alten Kaisers begeht, sondern der langjährige Chef der Triestiner Kommunisten Vittorio Vidali. Vi-

dali hat sich schon mehrmals für den Ausbau der Verkehrswege mit Österreich eingesetzt.

Heute verbindet eine moderne Autostraße die österreichische Grenze mit der Adriastadt. Kurz nach Palmanova heißt es nun, abzweigen in Richtung Süden. Noch 110 Kilometer bis Triest. Glimmer auf den umhegenden Karsthügeln, nichts stört die Monotonie der Autostraße, kilometerlang.

Doch dann taucht plötzlich das Schloß Miramare auf, ein mächtiger Ziegelbau unter verstaubten Zypressen, dicht vor den Toren der Stadt. Seit einigen Tagen gibt es hier die Ausstellung „Kaiser Maximilian von Triest bis Mexiko“. Die Habsburger-Ausstellung wirkt wie ein Magnet auf die au-strophile triestinische Seele, die verstopften Parkplätze in der Umgebung'sind dafür Beweis genug.

Doch was die triestinische Seele wirklich ist, oder wo sie noch zu finden ist, das weiß niemand. Vielleicht in den Vorstadtcafes, wo Pensionisten, deren ausdruckslose Gesichter an die Gestalten aus Enzo Bettizzas Roman „La fantasma die Trieste“ (Das Gespenst von Triest) erinnern, stundenlang vor ihrem Chiantiglas sitzen? Oder einige hundert Meter weiter, auf der majestätischen Piazza dell' Unita; wo Paare, stets nach der letzten Mode gekleidet, ihren obligaten Abendspaziergang absolvieren?

Seit Jahren kreisen hier alle Gespräche um ein Thema: Triest ist eine tote Stadt. Die bestehenden Handelsgesetze und Zollbarrieren lähmen die wirtschaftliche Entwicklung der Hafenstadt. Die Triestiner möchten, daß Triest wieder ein Freihandelshafen wird. Man schimpft auf die Regierung in Rom und fürchtet gleichzeitig die erdrückende Nähe des jugoslawischen Nachbarn. „Wir sind die kleine Kolonie Italiens“ — meint man sarkastisch in Triest.

Ist diese ewige Mißvergnügtheit vielleicht die alte „anima triesti-na“? Wohl kaum, denn hinter den ich-starken levantinischen Naturen, die allabendlich auf der Piazza dell' Unita stolzieren, verbirgt sich oft die aggressive Unwissenheit des Provinzlers. Das alte Triest war eine morbide Welt, bestehend aus einem jüdisch-italienischen Großbürgertum, eine Welt, die es heute nicht mehr gibt. Die Streiter, die heute für den

Sonderstatus des Triester Hafens streiten, sind alle irgendwann einmal aus dem Carso (Triests Umgebung) in die Stadt eingewandert.

Der heutige Geisteszustand der Stadt ist weniger ein Ausdruck der alten „anima triestina“, sondern vielmehr die zornige Antwort der homines novi auf das Nichtangenommenwordensein. Doch wenn die Triestiner heute in Scharen in die Maximilian-Ausstellung pilgern, so hat das wichtige Gründe.

Im Jahre 1719 hatte Österreich Triest zum Freihandelshafen erklärt und somit seinen späteren Wirtschaftsaufschwung ermöglicht. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war Triest der drittgrößte Hafen im Mittelmeerraum und Österreichs Tor zur Welt: allein zwischen 1901 und 1913 stieg die Gesamttonnage des Triester Hafens auf das Dreifache, die österreichisch-ungarische Han-

delsflotte rangierte an siebenter Stelle in Europa. In Italien liegt heute der Triester Hafen an achter Stelle, der Staat fördert vor allem Genua und Neapel.

Dagegen ein Beispiel aus der k. u. k. Zeit: Eine Beförderungsgebühr für zehn Tonnen Baumwolle von Triest nach Wien betrug vor dem Ersten Weltkrieg allgemein 973 Kronen. Doch Österreich subventionierte damals seinen wichtigsten Handelshafen mit 60 Prozent, sodaß die Beförderung derselben Baumwollmenge in Wirklichkeit nur knapp über 200 Kronen kostete.

Gianni Marchio, seines Zeichens Vizepräsident der Triester Landesregierung richtet in seinem Buch „Trieste addio?“ einen flammenden Appell an Österreich: „Ihr müßt unsere Anliegen unterstützen“. Doch wie sieht es diesbezüglich bei uns aus? Das Interesse der Zweiten Republik an natürlichen Verbündeten in der

Nachbarschaft reichte selten über Lippenbekenntnisse hinaus.

So sind zum Beispiel die 1956 abgeschlossenen italienischösterreichischen Verträge, die von einer österreichischen Zone im Hafen von Triest bis zu Vorzugstarifen für österreichische Warentransporte bei den italienischen Eisenbahnen reichen, nicht erfüllt worden.

Doch wovon man in Triest offenbar noch keine Notiz genommen hat, weiß man hierzulande schon lange: Die Mitteleuropa-Idee, wie sie einem Thomas Masa-ryk oder sogar dem österreichischen Sozialisten Fritz Klenner vorschwebte, bleibt auf einige Intellektuellenköpfe beschränkt. Die „Insel der Seligen“-Ideologie scheint für breitere Bevölkerungskreise attraktiver, die sprachliche Selbstgenügsamkeit tötet das Interesse an Problemen des Nachbarn.

Selbst dem ORF bereitet das

Aussprechen von slawischen oder italienischen Namen schier unlösbare Schwierigkeiten, Parteifunktionäre beklagen sich, wie schwer es überhaupt ist, im Parteivolk das Interesse für Außenpolitik zu wecken. Kann man unter diesen Umständen noch für Österreichs Interessen im Hafen von Triest werben, oder gar noch für den Aufbau einer rot-weißroten Handelsflotte?

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