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Triumph der alten Dame

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Die Triestiner Tageszeitung „II Piccolo“ brachte einen Tag nachdem das Ergebnis der Lokal- und Kommunalwahlen in Friaul - Julisch-Ve-netien bekannt geworden war, das Bild des strahlenden Gesichtes einer alten Dame: Frau Gruber Benco, über 70, Doktor der Volkswirtschaft. Bekannt war diese alte Dame in Triest allerdings schon lange: Unter ihrer Führung waren vor zwei Jahren im Rahmen einer Bürgerinitiative über 67.000 Unterschriften in Triest gegen das Osimo-Abkommen zwischen Italien und Jugoslawien gesammelt worden.

Nun haben sich diese Unterschriften bei den Regional- und Gemeindewahlen in Friaul - Julisch-Vene-tien in Stimmen für die neue Lo kalh-ste „Per Trieste“, an deren Spitze Frau Gruber Benco eben kandidierte, umgewandelt. Sie wird ab nun im Regionalparlament neben drei Kollegen sitzen, und die neue Liste „Per Trieste“ besitzt die relative Mehrheit im Gemeinderat der Hafenstadt. 52.651 Triestiner (27,5 Prozent) wählten die alte Dame, sie wählten „Per Trieste“. Das vor Freude strahlende Gesicht der alten Dame versinnbildlicht Triest, das zum ersten Mal die Stimme über sein eigenes Schicksal hören ließ, eine Stadt, die nur von Erinnerungen zu leben schien, und doch in sich die Kraft fand, ihre Eigenart zu behaupten. .

Fast die Hälfte der Triestiner (auch die Radikalen und Neofaschisten) lehnen die Festlegungen des Triest-Vertrages ab, den Rom und Belgrad, ohne sie zu befragen, plötzlich in einem Städtchen in den Marche heimlich getroffen haben, um das seit Kriegsende bis dahin ungelöste Grenzproblem ein für alle Mal zu bereinigen. Dabei ist Rom auch bereit gewesen, seinen jugoslawischen Nachbarn ein Geschenk zu machen: eine gemeinsame freie Industriezone an der Grenze auf dem Karst mit der

Begründung, daß dadurch auch die Voraussetzungen dafür geschaffen worden wären, die lahmgelegte Wirtschaft der Hafenstadt zu beleben.

Intellektuelle, Nostalgiker, Um-weltschützler und Slawenfeinde fühlten sich verraten. Obwohl das Programm der Bürgerliste „Per Trieste“ (neben dem Schutz des Karstes, die gesamte Provinz Triest als integrale Freizone) unrealistisch erscheinen mag, obwohl die Stadt in einen unregierbaren Zustand geraten ist, und obwohl der Erfolg von „Per Trieste“ das seit 15 Jahren für Italien vorbildlich stabile Land Friaul - Ju-lisch-Venetien mit großen Problemen belastet und für den Aufbau des zerstörten Friaul eine äußerst unsichere politische Zukunft bedeutet, da die bisherige Regierungskoalition die knappe Mehrheit verloren hat, dürfte dies trotzdem eine angenehme Überraschung für überzeugte Demokraten sein. Es wird damit bewiesen, daß Regierungen mit Schuldgefühlen in demokratischer! Ländern bei Wahlen um ihren Fortbestand bangen sollten, und daß die öffentliche Meinung nicht zu unterschätzen ist.

Die meisten italienischen Parteien haben diesen Wahlausgang als lokalen Protest und lokale Ablehnung des Parteisystems abgetan, ohne sich dabei zu fragen, ob es nicht doch an ihnen lag, daß sie soviel Vertrauen verloren haben. Um die Ausmaße des Triestiner Protestes richtig zu schätzen, müßte man die Kommunalwahlergebnisse nicht nur mit den letzten Kommunalwahlen von 1972, sondern auch mit den Nationalwahlen 1976 vergleichen: Die DC hat 11,7, die KPI 8, die PSI 2,9, die PSOI 1,1, die PRI 2,5, die MSI 5,4 Prozent verloren. Niederlagen an allen Fronten. „Per Trieste“ hat dabei 18 Sitze und die Radikalen zusammen mit der „Bewegung Freistaat Triest“ 4 Sitze von den 60 des Triestiner Gemeinderates gewonnen.

Der Gesamtausgang der Regionalwahl in der Region Friaul - Julisch-Venetien zeigt nochmals die kulturelle Verschiedenheit zwischen Friaul, dessen Wähler trotz Wideraufbauskandale und trotz des gemeinsamen Engagements der Auto-nomisten der Bewegung Friaul und von „Civilta' Mitteleuropea“ (4,6 Prozent und 2 Sitze im Regionalrat) die Zusammensetzung des bisherigen Regionalrates praktisch bestätigt haben, und Julisch-Venetien, diesem seit 30 Jahren künstlich am Leben gehaltenen Überbleibsel des historischen Julisch-Venetien, dessen Bewohner mehr Einstimmigkeit über ihren Anspruch auf eigenes Entscheidungsrecht geäußert haben.

Antonio Comelli, DC, dem ehema^ ligen Landeshauptmann und seinen bisherigen Regierungspartnern, den Sozialdemokraten und Republikanern, bleibt jetzt nur eine Chance, um wieder die knappe Mehrheit mit 1 bis 2 Sitzen bilden zu können, ohne die Kommunisten - wie in Rom - um Unterstützung bitten zu müssen: Entweder die Sozialisten (5 Sitze) oder die Freidemokraten (1 Sitz) oder aber auch die Autonomisten der Bewegung Friaul (2 Sitze) zur Koalition zu überreden. Die teuerste „friaulische“ Gegenleistung würde aber sicherlich die Autonomisten fordern. Sie fordern seit Jahren die Trennung von Julisch-Venetien, weil sie sich von der Regionalregierung und von Rom vernachlässigt fühlen. 95 Prozent der Friulaner sind ihnen aber nicht gefolgt.

Die Triestiner zeigten hingegen kein Zaudern, als es darum ging, die Machthaber zu bestrafen. Ob zu Unrecht oder nicht? Wie dem auch sei, einer alten Dame - wie Triest - gebührt Respekt.

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