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Triest zwischen rot-weiß-roter Nostalgie und neuem Aufbruch

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Paolo Parvel, Triestiner der alten Schule, der mit Steirerhut und Lodenmantel seine Gesinnung demonstriert, bietet in seiner Buchhandlung auch alternde Bildbände versunkener Schiffe der k. u. k. Marine sowie schwarz-gelbe Portraits von „Francesco Giuseppe“ feil. Das alte Stadtwappen mit Doppeladler und rot-weiß-rotem Bindeschild kommt als Auto-Pickerl neben dem Nationalkennzeichen „I“ zu neuen Ehren. Austriaca in vielen Buchläden. Schallplatten mit Volksliedern zu den Melodien altösterreichischer Militärmärsche. „Serbi Dio l'Au-striaco Regno, guardi il nostro Imperator“, wie die alte Kaiserhymne auf Italienisch beginnt, ist zum beliebten Protestlied geworden, um der Unzufriedenheit mit der Politik der römischen Zentralregierung entsprechend Luft zu verleihen: Triest zwischen rot-weiß-roter Nostalgie und neuem Aufbruch.

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Paolo Parvel, Triestiner der alten Schule, der mit Steirerhut und Lodenmantel seine Gesinnung demonstriert, bietet in seiner Buchhandlung auch alternde Bildbände versunkener Schiffe der k. u. k. Marine sowie schwarz-gelbe Portraits von „Francesco Giuseppe“ feil. Das alte Stadtwappen mit Doppeladler und rot-weiß-rotem Bindeschild kommt als Auto-Pickerl neben dem Nationalkennzeichen „I“ zu neuen Ehren. Austriaca in vielen Buchläden. Schallplatten mit Volksliedern zu den Melodien altösterreichischer Militärmärsche. „Serbi Dio l'Au-striaco Regno, guardi il nostro Imperator“, wie die alte Kaiserhymne auf Italienisch beginnt, ist zum beliebten Protestlied geworden, um der Unzufriedenheit mit der Politik der römischen Zentralregierung entsprechend Luft zu verleihen: Triest zwischen rot-weiß-roter Nostalgie und neuem Aufbruch.

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Alexander Sixtus von Reden, Autor des Buches „Vertraute Fremde - österreichisches aus sechs Ländern“ (Schlager Verlag, Wien) fühlt sich als Wiener auch in Triest zu Hause, wo fast sämtliche größeren Bauwerke der Repräsentativbauten der Wiener Ringstraße nachempfunden sind, wo man noch heute als „Austriak“ in den Kaffeehäusern, wie im „Cafe Tommaseo“, entsprechend herzlich empfangen wird: „Dieses Kaffeehaus ist wohl eines der .Wienerischsten', die ich kenne. Die Smokings der Ober haben gestopfte Mottenlöcher, die Einrichtung ist ein wenig desolat, es gibt eine alte Registrierkassa, Marmortischchen mit reich verzierten Sockeln, Thonetkleiderständer und selbstverständlich ein Glas Wasser zum Kaffe.“ Der für Außenstehende überraschende Erfolg der Trie-ster Bürgerliste „Per Trieste“, die bei den letzten Wahlen vor zehn Tagen mit 27,5 Prozent der Stimmen die relative Mehrheit im Gemeinderat schaffte, fordert geradezu zu einer kritischen Bestandsaufnahme heraus: Ist Triest, ehemals österreichisches Tor zu den Weltmeeren, wirklich so österreichisch wie die Österreicher glauben (wollen)?

Seit Triest nach dem Ersten Weltkrieg zu Italien kam, kämpft die Region Friaul-Julisch-Venetien um ihre Identität, wobei ethnische, kulturelle und soziale Probleme zu den Unruhefaktoren in diesem Land an der Grenze zählen. In der Hafenstadt Triest selbst, wo einst nach 1867 die gegen Österreich gerichtete „Irredenta“ blühte, stellen hauptsächlich wirtschaftliche Fragestellungen das Konfliktpotential mit Rom dar. Triest fühlt sich als „Abfallkübel“ Italiens. Als Stadt ohne Hinterland. Als zweites Berlin.

Die Protestliste „der alten Dame“ (siehe nebenstehender Kasten), hinter der, wie in Österreich gerne anger nommen, nicht nur Nostalgiker der alten österreichischen Zeit, sondern auch Wirtschaftsleute, Umweltschützer und Anti-Slowenen aus fast allen Parteilagern stehen, wendet sich insbesondere gegen das 1975 zustandegekommene Triest-Abkommen, den sogenannten Vertrag von Osimo, benannt nach jenem verschlafenen Städtchen bei Ancona, in dem die Außenminister von Jugoslawien und Italien zusammentrafen, um die seit 1954 de facto existierende Grenzziehung im Raum Triest auch de jure anzuerkennen. 1

Wie erinnerlich, sollte. Triest nach 1945 in einen neutralen, entmilitarisierten Freistaat unter Aufsicht des Sicherheitsrates umgewandelt werden. Uneinigkeiten zwischen den Besatzungsmächten (USA und Großbritannien in der Zone A und Jugoslawien in der Zone B) führten 1954 zu einer Aufteilung des bis dahin nur provisorisch verwalteten Freistaates: Die Zone A kam zu Italien, die Zone B zu Jugoslawien.

Der Vertrag von Osimo sah aber neben der De-jure-Anerkennung dieser

Grenzziehung von 1954, wodurch fast jede heute in Triest lebende Familie in irgendeiner Form betroffen wurde, auch die Errichtung einer Industrie-und Freihandelszone im Grenzgebiet auf dem Karst (bei Opicina und Seza-na) vor. Tausende Triestiner befürchten noch heute das, was die Frankfurter Wirtschaftswoche in die schlagkräftige Formel preßte: „Das halbkapitalistische Jugoslawien und das halbsozialistische Italien vereinbarten Pikantes: ein Schlupfloch für Ostgüter ins Europa der Neun.“

Die Industrie- und Freihandelszone soll im Endausbau etwa 15.000 Menschen beschäftigen, was bedeutet, daß unweit Triests eine weitere Stadt mit rund 50.000 Menschen entstehen würde. Neben emotionalen Gründen gibt es aus jäer Sicht der Triestiner freilich eine Reihe realer Argumente gegen die Zone:' Der Umweltschutz und die Frage der Arbeitskräfte.

Das Projekt dieser Zone stieß in der Stadt Triest auf teils vehementen Widerstand, der sich im November 1976 in Form gewalttätiger Demonstrationen Luft machte.

Was die Wirtschaftsprobleme der Stadt betrifft, stehen die Zeichen aber fast schon seit 1918 auf Sturm. Triest, einstmals unter den fünf größten Häfen Europas, hat den Verlust seines Hinterlandes nie so recht verkraftet. Einmal war es die Unterstützung, die Rom dem Hafen von Genua angedei-hen ließ, was Triest erzürnte, dann war es die Auflassung einer großen Werft in Triest infolge der japanischen Konkurrenz, dann wieder war es die Sperre des Suez-Kanals, die zu einem unaufhol-baren Standort-Vorteil der ohnehin aufstrebenden Häfen von Rotterdam oder Bremen führte.

Sicherlich nicht nur wegen der in Paolo Parvels Buchladen anzutreffenden Österreich-Nostalgie, ist Österreich für Triest weiterhin Hoffnungsschimmer Nummer 1: Bei den Hafenbehörden von Triest hat Österreich nicht zuletzt wegen der im Vergleich zu Italien stabilen Wirtschaft einen guten Namen.

Die österreichischen Ein- und Ausfuhren über den Hafen Triest sind 1977 im kommerziellen Verkehr um 17 Prozent gestiegen. Insgesamt wurden 1977 im Hafen Triest einschließlich der Öl-Pipeline 7,6 Millionen Tonnen für Österreich umgeschlagen. Seit der Wiedereröffnung des Suez-Kanals hat sich der Hafen Triest wieder stärker in Erinnerung gerufen, doch bleibt die harte Konkurrenz der relativ nähen jugoslawischen Häfen von Köper und Ri-jeka bestehen: Die Arbeiter in diesen Häfen haben den teilweise mafios organisierten Hafenarbeiter-Gewerkschaften von Triest eine Tugend voraus, die in Italien allenfalls erst nach einem Sieg der KPI Einzug halten dürfte: Titos Hafenarbeiter dürfen nicht streiken.

Österreicher wie Italiener, die lange Jahre in Triest gelebt haben, warnen davor, den in Triest hochgehaltenen Doppeladler überzubewerten. Zu einem gewissen Teil ist in Triest sicherlich eine Nostalgie festzustellen, gemaß der die Vergangenheit retrospektiv betrachtet problemloser erscheint, als sie tatsächlich war (Man denke nur daran, daß unsere Geschichtsbücher wohl berichten, daß sich die Bevölkerung von Triest unter der Regentschaft Maria Theresias verdoppelt oder verdreifacht hat, nicht aber, daß Österreich dem Wunsch nach Errichtung einer Universität in Triest nicht nachgekommen ist).

Die meisten Probleme von Triest sind aber rein wirtschaftlicher Natur und richten sich an die Adresse Roms. Die Vitalität der Irredenta, so scheint's, ist die alte geblieben. Sie richtet sich allerdings nicht gegen Wien sondern gegen Rom.

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