6550175-1947_38_02.jpg
Digital In Arbeit

Der neue Freistaat

Werbung
Werbung
Werbung

Ein neuer Staat ist entstanden. Waren es nach dem ersten Weltkrieg die dunklen Kanonenrohre der alliierten Skagerrakflotte, unter deren Schutz der Freistaat Danzig proklamiert wurde, so waren es diesmal die hellgrauen der amerikanisch-englischen Mittelmeereskader, die als Wächter und Paten dem neuen Triest zur Seite standen. Die Entstehung entsprach in beiden Fällen weder dem Wunsche der Bevölkerung noch den wirtschaftlichen Gegebenheiten. Der Freistaat Danzig war eine gefährliche Lösung und eine noch gefährlichere ist der Freistaat Triest, dem der gesicherte Anschluß an das Hinterland fehlt. Die Einigung über die Grenzen und über das Statut entstand durch eine solche Reihe von Kompromissen aller vier Großen, daß man glauben konnte, zuerst solle die Sache unter Dach gebracht und dann erst ihre Begründung geprüft werden. Nach dem ersten Weltkrieg war die Hafenstadt, die ein österreichischer Herrscher einmal mit dem Beinamen „fidelissima“ belegt hatte, das Emporium einer Großmacht, zu einem italienischen Hafen unter vielen herabgesunken. Heute aber sind die Hafenmolen leer und die Werften von San Marco beherbergen keine Schiffe. Auf italienischer Seite Bari und Venedig, auf jugoslawischer Fmrne haben das Erbe dieser einstigen „Königin der Adria“ übernommen. So ist die Lebensfähigkeit dieses vom grünen Tisch aus geschaffenen Staates sehr in Frage gestellt. Es illustriert die Lage, daß Triest in diesem Jahre bei 85.000 Beschäftigten 40.000 Arbeitslose hatte. Genau so wie das „Nie, nie, niemals“ der ungarischen Revisionisten nach dem ersten Weltkrieg, schreit bereits überall auf den Piazzas und den Autostraden Italiens die Aufschrift: „Vogliamo Triestc! Wir verlangen Triest!“ Unter solchen Auspizien wurde also die Freistaaterklärung verlesen: keine Glocken läuteten, keine Freudenkundgebungen waren zu hören. Die italienischen Fahnen waren in schwarzes Tuch gehüllt und in den Vorstädten flogen die Handgranaten und krachten die Gewehrschüsse. Aber alte Triestiner, die in diesen ungemütlichen Stunden ihren Cafe“ nero schlürfend im Cafe Corso saßen, erinnerten sich wohl des ironischen Wahrspruches eines Arbeiters, als 1918 die österreichische Fahne niederging und die italienische aufgezogen wurde: „Nieder mit

österreidi, denn es hat uns fünfmal am Tage zu essen gegeben!“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung