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Das Schicksal Triests und osterreich

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Es ist nur natürlich, daß die Entwicklung der Triester Frage in Österreich mit lebhaftem Interesse verfolgt wird. Denn was immer die Bedeutung Triests für irgendein anderes Land sein mag, für Österreich ist und bleibt es der einzige für seine Verbindung mit Übersee in Betracht kommende Seehafen, das einzige Fenster in die weite Welt, — und dies um so mehr, als die Bestrebungen der Siegerstaaten darauf gerichtet sein werden, die ohnedies immer etwas künstliche Ausdehnung der Wirtschaftssphäre Hamburgs auf den Donauraum in Hinkunft nicht wieder aufleben zu lassen. Umgekehrt ist Österreich auch das Land, dessen Außenhandel dem Triester Hafen den umfangreichsten und sichersten Verkehr zuwenden kann, denn für den italienischen Außenhandel ist Triest, — nach der voraussiditlichen Grenzziehung mit Jugoslawien, — überhaupt ganz exzentrisdi gelegen und könnte nur durch kunstvoll dorthin verschobene Brocken kärglich gespeist werden, — in Jugoslawien ist es jedenfalls nur ein Zipfel des Staatsgebiets, der in Triest sein natürliches Debouche hat, und die Tschechoslowakei wird stets nur einen Teil des Überseehandels über Triest leiten und mit dem andern auf dem bequemeren Elbeweg verharren. , Bei dieser naturgegebenen Wechselbeziehung zwischen Österreich und Triest wäre es vielleicht angezeigt gewesen, bei der Schlußfassung über das künftige Schicksal der Stadt auch die Stimme Österreichs, — ebenso wie der in nächster Linie interessierten Tschechoslowakei, — anzuhören, aber es ersdieint andererseits wieder verständlich, daß die großen Vier davor zurückscheuten, die ohnedies komplizierte Frage durch Hineinziehen neuer Elemente noch mehr zu verwirren. Das letztere wäre allerdings durch Vorbringung der österreichischen Gesichtspunkte sicherlich nicht eingetreten, denn diese liegen durchaus auf der Linie, auf der die Großen Vier schließlich den Ausweg aus dem Dilemma von Triest gesucht haben.

Was für Wünsche hätte Österreich, — wenn es befragt worden wäre, — bezüglich Triests äußern können? Sie hätten sich, da eigene territoriale Ansprüche ebenso wie ein Färteiergreifen für einen der beiden Streitteile nicht in Frage kamen, offenbar nur in drei Richtungen bewegen können; Österreichs Interesse erfordert eine Lösung, die 1. die weitestgehende Ausnutzung der natürlichen Stellung Triests als internationaler Hafen insbesondere für die mitteleuropäischen Staaten sichert, 2 Reibungen zwischen den südlichen Nachbarstaaten hintanhält, 3. so elastisdi ist, daß die Anpassung des Zustan-des an die mit der Zeit gewonnenen Erfahrungen nicht übermäßig erschwert wird.

Von allen diesen drei Gesichtspunkten aus kann der von den Großen Vier gefaßte Be-sdiluß über Triest als zumindest nicht unbefriedigend für Österreich angesehen werden. Was die Ausnutzung des Hafens für den internationalen Handel betrifft, so kann fuglich erwartet werden, daß sich die von der UNO geleitete Administration des Freistaats m e ganzer Kraft in dieser Richtung einsetzen werde, die nicht nur den allgemeinen Zielen der Vereinten Nationen entspricht, sondern auch allein geeignet ist, den Bewohnern des Freistaats dasjenige Ausmaß wirtschaftlicher Prosperität zu sichern, das sie auch politisch an den neuen Zustand fesseln würde. Hemmungen nationaler, militärischer und politischer Natur, die sowohl bei italienischer als bei jugoslawischer Administration von Triest der Internationalisierung des Hafenverkehrs entgegenstehen könnten, sind bei der UNO nicht zu befürchten.

Vom zweiten Gesichtspunkt ausgehend, kann gehofft werden, daß die Gegensätze und Spannungen zwischen Italien und Jugoslawien, die sich in wechselnder Schärfe durch die ganze Periode zwischen beiden Weltkriegen hingeschleppt haben, durch die Intet-nationalisierung Triests wesentlich gemildert werden, zumindest jedoch, daß die Gefahrenzone beträchtlich eingeengt werde. Es mag Skeptiker geben, die dies bezweifeln und auf das abschreckende Beispiel Danzigs verweisen, wo es dem Völkerbund nicht gelungen ist, die deutsch-polnischen Gegensätze auszuschalten oder auch nur zu mildern, und wo sich schließlich die Völkerbundsadministration in immer erneuten Konflikten zerrieben hat. Im Falle Triests braucht sich dieses unerfreuliche Schauspiel keineswegs zu wiederholen, denn der Fall Danzig litt an zwei kongenialen Grundübeln: erstens war eine rein deutsche Stadt einem System unterworfen worden, in dem die privilegierte Sonderstellung Polen zukam, zweitens war die Entwicklung der wirtschaftlichen Funktion, die Danzig für Polen zugedacht war, dem letzteren selbst unwillkommen und wurde von ihm durch die Errichtung des Konkurrenzhafens Gdynia behindert. Beides ist bezüglich Triests nicht zu befürchten. Der nationale Charakter des neuen Gebildes ist — bei einem gewissen Überwiegen des italienischen Elements — doch entschieden der eines gemischtsprachigen Gebiets, und es kann daher weder die Mehrheit, noch die Minderheit darüber Klage führen, wenn sie in paritätischer Weise bei einer unparteilichen Verwaltung beteiligt und vertreten ist. Und vollends Experimente z-ir Konkurrenzierung von Triest sind von keiner Seite zu erwarten oder auch nur ernstlich denkbar.

Was endlich den dritten Gesichtspunkt, die Elastizität des neuen Zustandes. betrifft, so ist meines Erachtens der Umstand, daß die Regelung ausdrücklich als eine provisorische, vorerst auf 10 Jahre befristete, bezeichnet wird, zu begrüßen. Auch hier wird es abweichende Ansichten geben, die darauf verweisen, daß Wirtschaft und Kapital eine Scheu vor ungeklärten Verhältnissen und ungewisser Zukunft haben. Das ist zwar richtig, wird aber durch mannigfache Vorteile einer provisorischen Lösung aufgewogen. Jedenfalls wird durch diese allen interessierten Teilen die Annahme des neuen Zustands erleichtert und die Hoffnung ist berechtigt, daß sich die Diskussipn, die heute durch Prestige und Gefühlsmomente überhitzt und überspitzt ist, im Laufe der 10 Jahre zu ruhiger und sachlicher Behandlung der praktischen Interessenfragen abkühlen wird. Es ist durchaus denkbar, daß während dieser 10 Jahre sich sowohl in Jugoslawien wie in Italien die Überzeugung durchsetzt, daß die T -ernationalisierung keinem der beiden Länder etwas genommen und keiner der beiden Nationen geschadet hat, und daß die Fortdauer des provisorischen Zustandes, beziehungsweise dessen Verwandlung in ein Definitivum — allenfalls mit einigen sich indessen als empfehlenswert erweisenden Abänderungen — im Interesse aller liegt. Eine dieser Retuschen könnte zum Beispiel in der Einräumung eines gewissen Mitspracherechts in Wirtschafts- und Verkehrsfragen an diejenigen Staaten, die den Triester Hafen hauptsächlich alimentieren werden, bestehen, nämlich an Österreich, die Tschechoslowakei und eventuell Ungarn. Denkbar wäre es sogar, daß sich die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit der Internationalisierung und die günstige Wirkung der Ausschaltung des Triester Gebiets aus den italo-jugoslawischen Fragen im Laufe der Zeit so deutlich herausstellen, daß die Erweiterung des internationalisierten Gebiets längs der nach Norden führenden Bahnlinie bis an die österreichische Grenze sich als im allgemeinen Interesse gelegen erweisen würde, weil dadurch politisch jede Reibungsfläche zwischen Italien und Jugoslawien beseitigt, und wirtschaftlich Mitteleuropa noch stärker an den Triester Hafen herangezogen würde. Aber das ist Zukunftsmusik! Vorläufig kann Österreich nur hoffen, daß die Organisation des Triester Freistaatgebietes durch die UNO zu einem vollen Erfolg führen wird, was in gleicher Weise zugute käme: der Prosperität von Stadt und Hafen Triest, dem Wiederaufbau des Überseehandels von Mitteleuropa im allgemeinen und Österreichs im besonderen und endlich dem Vertrauen der Welt in die Kraft und Eignung der UNO zur Bewältigung praktischer Aufgaben.

Ich halte es für möglich, und ich glaube irgendwelche Anhaltspunkte für diese Möglichkeit zu haben, daß wir im nächsten Augenblick eine neue Art deutscher Journalisten hervortreten sehen, deren Geste bedeutend genug sein wird, daß man ihnen darüber die Leistung wird vergessen dürfen, die nebenbei auch in der momentanen Beherrschung eines so ziemlich grenzenlosen Materials liegt. Ich meine kulturelle Journalis'en, wenn man mir dieses Wort erlauben will; und sie werden, wenn ich nicht irre, für einen Zeitraum den politischen Journalisten, dessen Typus wir kennen und dessen Haltung durch eine etwas verblassende Konvention gegeben ist, in den Schatten stellen. Daß sie sich zeigen werden, daß sie ihr Talent werden fühlen lassen und ihren Platz verlangen werden, das erscheint mir als ausgemacht.

Hugo von Hofmannsthal: Die Berührung der Sphären* (Umrisse eines neu#n Journalismus)

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