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UNO-Staat Triest

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Der lange Kampf um Triest hat das Ende gefunden, das noch kein wirkliches Ende ist, das keinen der beiden Rivalen befriedigt und nach dem anfänglichen Verzicht auf eine großzügige Lösung noch als die beste betrachtet werden kann. Unter den schützenden Fittichen des Weltsicherheitsrates wird ein autonomer Kleinstaat entstehen, der eigene Gesetzgebung und Verwaltung besitzen und unter internationaler Kontrolle Stehen wird, gelenkt von einem Gouverneur, den der Weltsicherheitsrat nach Anhörung der Vorschläge Italiens und Jugoslawiens, aber nicht an diese gebunden, bestellen wird. Das Gebiet dieses kleinen Staates reicht von Triest rund 30 Kilometer westwärts bis Castell Duino, von dort schwenkt die Grenze landein, ostwärts den Karsthängen entlang bis zum Tschitschenboden, um an der Quietomündung bei Cittanuova, also rund 60 Kilometer südlich Triest, wieder das Meer zu erreichen. Die Städtchen Capo d'Istria, Pirano-Portorose. Umago und Buje werden von dem autonomen Staat Triest eingeschlossen sein.

Auf der Höhe von Pirano, dessen Cam-panile wie eine silberne Wegwarte in den Sonnenglanz der Adria hinausschimmert, wird der Bück fast das ganze, um den Golf gelagerte Staatsgebiet umfassen bis hinüber zu den weißen Klippen und dem sagenumsponnenen Schloß am Meer — Duino. Es ist ein Landstrich, den ein italienisches Bürgertum und slowenische und kroatisch'' Arbeiter und Bauern bewohnen, Zugehör zu dem Völkersack Istrien, in dem sich in den Zeiten der Völkerwanderung Partikel vieler Völker für immer verfangen haben. Hier wird kein leichtes Regieren sein, ein noch schwierigeres, als es schon die Stadt Triest und das nahe Industrieland der Bucht von Muggia geboten hätte. Das Statut, die Verfassung des Staates, ist von der Friedenskonferenz auszuarbeiten und erlangt jedoch nur Rechtskraft, wenn es die Genehmigung der UNO erhält. Bei der Ausarbeitung des Entwurfes werden Italien und Jugoslawien beratende, nicht beschließend* Stimme haben. Der Vertreter Sowjetrußlands im Rate der Vier hat auch die Heranziehung der Tschechoslowakei als stark interessierten Hinterlandstaates angeregt, ein Argument, das doppelte Geltung für Österreich erhalten muß, das vor dem Kriege unter sämtlichen Auslandstaaten mit der größten Quote, fast der Hälfte des gesamten Triesti-ner Auslandverkehrs, vertreten war. Mit Statut und Internationalisierung des autonomen UNO-Staates Triest wird jedoch nur die erste Etappe auf dem Wege zum Ziel erreicht sein. Besser wäre es gewesen, sie hätte die letzte sein können. Denn von internationalem Rang ist nicht sosehr die Frage, auf welchen Grundlagen das verfassungsmäßige Leben auf diesem kleinen Fleck Erde sich vollziehen wird, als vielmehr die andere, wie die zentraleuropäische Funktion des Handelsemporiums Triest beschaffen sein wird. Triest wäre wenig, wenn es nur ein internationaler Hafen und sonst nichts ■väre, wenn ihm nicht der feingegliederte über die territorialen Grenzen dieses Hafenstaates hinauspulsende Organismus zur Verfügung stände, dessen Triest bedarf, wenn es wieder die Lunge mitteleuropäischen Wirtschaftslebens werden soll. Noch vor wenigen Tagen gab der Turiner Universitätsprofessor für Statistik Diego de Castro in einer Londoner Zeitschrift („Economist“, Nr. 5364, 15. Juni 1946) der Überzeugung Ausdruck, die ideale Lösung für Venezia Giulia sei, hier einen dreisprachigen Staat mit zwei Millionen Einwohnern zu schaffen und diesen mit einer zentraleuropäischen Föderation zu verknüpfen, ein Werk, das den Interessen aller Völker dieser Zone dienen würde. Daß auch der Versuch dazu nicht möglich war, gehört zu den Kennzeichen der Weltlage, die schwere Enttäuschungen für alle enthält, die nach den überstandenen harten Prüfungen der Menschheit große konstruktive und reale Lösungen für eine dauernde friedliche Ordnung erwartet hatten.

Es wird jetzt also, soll der internationalisierte Hafenstaat Triest seine Sinnerfüllung erreichen, der verkehrspolitische Apparat dieser Handelspforte hergestellt werden müssen: die internationale Organisation und Garantie der freien Handelswee. Derzeit verbinden drei große Eisenbahnstränge Triest mit dem mitteleuropäischen Raum:' die ehemalige österreichische Südbahnlinie über T.aibach. die österreichische AlpenKihn, die über Görz ins Rödental und über Klagenfurt oder Villach führt beide

Linien durchschreiten jugoslawisches Staatsgebiet —, und die schon einen erheblichen Umweg darstellende italienische Ronte, die über Udine, das Tal der Fella, Tarvis nach Villach in das österreichische Verkehrsnetz mündet. Ein verzweigtes Eisenbahnwesen verknüpft Jugoslawien und Ungarn mit den beiden ersteren Linien. Diese Summe von Zubringern und Abnehmern des Triester Hafenverkehrs wird einer einheitlichen Verkehrsordnung, Güterbestimmung und Tarifpolitik bedürfen, eines Vertragssystems, das, den Widerspiegelungen der Tagespolitik entrückt, internationale Sanktion besitzt. Im letzten Winter ist die Donau-Save-Adria-Eisenbahngesellschaft mit der Anregung hervorgetreten, eine Arbeitsgemeinschaft aller den Seehafenverkehr mit Triest bedienenden Bahnen zu schaffen, ein Vorschlag, der zielsicher sein wird, wenn, solche Abmachungen auch eine völkerrechtliche Besiegelung im Wege der UNO erhalten.

Diese zweite Etappe des Triester Freihafenproblems — die Erschließung des Zugangs zum Meere für Mitteleuropa — zu durchmessen, wird mehr Zeit brauchen und nicht weniger Hindernisse zu überwinden haben wie die erste. Man wird sich überall darüber klar sein müssen: die Gravitation seiner Lebensbedürfnisse weist Zentral-eüropa nicht an die Nordsee, sondern an das Mittelmeer. Der freie Zugang zur Adria ist demzufolge im mitteleuropäischen Räume auch eine Sicherung politischen und staatlichen Eigenlebens.

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