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Triester Silhouette

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Unter den vielen Städten und Ländern, die von einem wirtschaftlichen Zusammenschluß der westeuropäischen Staaten den Stillstand sehr bedrohlich erscheinender Abwärtsentwicklung, vielleicht eben sogar eine neue Blüte zu erwarten haben, steht weit voran Triest. Sein Hinwelken kommt jedem deutlich zum Bewußtsein, der heute in dieser 60 schönen und günstig gelegenen Stadt weilt und aus seiner Kenntnis der Zeit vor dem ersten und auch vor dem zweiten Weltkrieg einen Vergleich zwischen dem Gestern und Heute zu ziehen vermag. Passagiere, die den beiden aus Wien und aus München kommenden V/agen des einzigen diese Städte mit Triest verbindenden Schnellzuges entsteigen, mögen verwundert feststellen, daß zugleich kaum eine Handvoll Menschen ankam. Beim Verlassen der großstädtischen Bahnhofshalle auf dem verödeten Bahnhofsplatz, den Bauten als Zeugen alter Wohlhaben-

heit umschließen, wird er lebhaft an den Verkehr in Bernhardstal, Litschau oder anderen Endstationen vor dem „Eisernen Vorhang“ erinnert.

Nicht viel andere Eindrücke erwarten den alten Freund der Stadt am Hafen: viele, schöne, mit großem Aufwand in bewundernswerter Arbeit gebaute Molen, ausgedehnte Lagerhäuser, ganze Reihen mächtiger Krane, zahllose Geleise, wieder Hangars, und gegen das

offene Meer zu die mächtigen Wellenbrecher, die das Wasser im Hafen auch bei schwerem Seegang beruhigen. Alles das so, wie es einst war. Nur die Schiffe fehlen, die vordem hier dicht nebeneinander lagen, umgeben von einem Gewimmel aus- und einladender Menschen, Schiffe von verschiedener Nationalität, Herkunft und Zielbestimmung, unter ihnen die großen Orientfahrer, die bis nach Japan und China, zumindest aber nach Ägypten oder in die Levante gingen. Heute schaukeln hier an so manchen Tagen nur einige kleine, verlassene Segelschiffe, an einem Ende träumt ein amerikanischer Kreuzer, und im neuen Hafen löscht ein aus Übersee eingetroffener Dampfer Getreide für Österreich. Das eine oder andere Schiff nimmt österreichisches Holz oder Papier ein, vielleicht auch noch einige Kisten mit österreichischen Feuerzeugen oder Fässer mit Chemikalien. Im Freihafen liegen Stapel von Holz, Zeugen des fortschreitenden Ausverkaufs des österreichischen „grünen Goldes“, das im Vorjahr aHein 45 Prozent der gesamten Exporte dieses Staates ausmachte. Der einige Zeit vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges fertiggestellte „Staatsbahnhof“ ist stillgelegt, auf den Geleisen warten leere Wagen vergeblich auf Beladung. Nur die Werke in Muggia sind in Betrieb. Die großen und größeren Schifffahrtsunternehmungen, die noch in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen einen gewissen Verkehr aufrechterhielten, sind zum guten Teil abgewandert und heute nur mehr durch Zweigstellen vertreten.

Für Freunde eines einigen Europa ist die Stellungnahme der älteren Generation, von der Zeitung „Trieste Sera“ verdolmetscht, von Interesse: sie will eine möglichste Anlehnung des geeinten Freistaatgebietes an das Hinderland erreichen, vor allem eine bessere Verbindung mit Österreich und womöglich auch noch mit Süddeutschland und der Schweiz, und noch immer ist der Gedanke der Schaffung eines Österreich mit dem Freistaat verbindenden Korridors aus den politischen Erörterungen nicht verschwunden. Seltsam charakteristisch ist, daß ernsthaft in größeren Zirkeln heuer einmal der Einfall erörtert wurde, man möge den Kärntner Landeshauptmann Dr: Wedenig zum Gouverneur des Freistaates machen, der nicht nur den Italienern, sondern auch, als Sozialist, den Jugoslawen, aber auch den Amerikanern und Engländern „genehm“ wäre. Die Jugend freilich, die die Zeit nicht erlebte, in der täglich sieben Schnell- und fünf Personenzüge

zwischen Wien und Triest verkehrten und der Triester Hafen zu den bedeutendsten des Kontinents gehörte, sieht ihr Heil im völligen Anschluß an Italien, das aber niemals das geben kann, was Triest so dringend benötigt: Arbeit und Leben.

Die einzige Lösung kann wohl nur ein einiges Europa bringen, das imstande wäre, die großen Gedanken Kaiser Karls VI., des Entdeckers und ersten

nachhaltigsten Förderers Triest, zur Vollendung zu führen. Freilich: die Zeit drängt I Denn der Rückgang des Imports um 365.000 Tonnen von 1948 auf 1950, das allmähliche Aufhören der amerikanischen Hilfslieferungen für Österreich und der sich immer mehr fühlbar machende Wettbewerb der Nordseehäfen und auch Genuas verschlechtern den Ausblick auf die Zukunft.

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