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Triste Trieste

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Triest, April 1952

Mit Wasserstrahl, Tränengas und Knüttel hatte in den letzten Märztagen die Zivilpolizei in Triest erfolglos zu verhindern gesucht, daß patriotische Kundgebungen in Exzesse ausarteten. Auf beiden Seiten gab es blutige Köpfe und Opfer einer absurden Situation, die sieben Jahre alt ist und von deren Ende man so weit wie nur je entfernt zu sein scheint. Ja, „triste Trieste“ — trauriges Triest!

Das Auge schweift bis zur Hügelkette, welche die Stadt einrahmt, und umfaßt damit zugleich die Grenzen der Zone A dieses „Freistaates“, der nirgends über das Blickfeld hinausreicht. Jenseits liegt die Zone B, eine andere Welt, aus der seit dem März 1948 4652 Flüchtlinge hereingeströmt sind, wo unter Religionsfreiheit die Unterbindung des Sonntagsgottesdienstes verstanden wird und politische Verfolgung, Entnationalisierung und wirtschaftliche Assimilierung in verschärftem Rhythmus fortschreiten. Der „Status“ Triests ist so schwierig zu definieren, daß es einer gelehrten Abhandlung bedarf, an der sich der Rektor der Universität, A- E. Cammarata, versucht hat. Die Stadt selbst, mit ihren vielen beschlagnahmten Hotels und öffentlichen Gebäuden, ihren Offiziers- und Mannschaftsklubs, trägt überall die Zeichen der militärischen Besetzung. Und während sich der Kommandant der Alliierten Militärregierung, Sir John W. Winterton, bemüht, im Geiste und nach dem Buchstaben des Friedensvertrages zu verwalten, als ob der Freistaat bereits Wirklichkeit geworden wäre, übt Italien noch eine eingeschränkte Souveränität aus, die erst mit der Ernennung des Gouverneurs enden würde.

Die Schaffung des Freistaates, die auf Drängen der Sowjetunion erfolgte, trägt die typischen Merkmale der rein politischen Lösung. Das heißt in diesem Falle: sie steht im Widerspruch zu Recht, Moral und Menschlichkeit. Man amputierte ein Gebiet mit einer Bevölkerung von etwa 350.000 Menschen, von denen 50.000 Slawen sind, riß es aus naturgeschaffener Zusammengehörigkeit. Diesem „Freistaat“ fehlt die Zustimmung seiner eigenen Bewohner und überdies ist er wirtschaftlich unter den jetzigen Umständen nicht lebensfähig. Merkwürdig ist die ökonomische Rechtslage. In der Zone A kann kein Stein bewegt werden, ohne daß der Regierung Italiens die Rechnung dafür vorgelegt würde. Man hatte vergessen, daß das in Frage stehende Gebiet bereits in den Zeiten der österreichischen Monarchie Zuschußgebiet, damals aber die blühende Empore eines wohlhabenden, kaufkräftigen Hinterlandes war. Dieses Freistaat-Triest war nicht mehr das österreichische Triest, es war losgelöst aus seinen natürlichen Existenzbedingungen. Heute legt die Militärverwaltung dem italienischen Staat halbjährlich die Bilanzen zur Bezahlung der Abgänge vor. Seit dem September 1947 hat Italien ein Defizit von 56 Milliarden Lire auf seine Schultern nehmen müssen. Die landwirtschaftliche Produktion des Gebietes ist kaum der Rede wert, die Industrie trotz der Schaffung der Industriezone von Zaule ungenügend und durch die italienischen Institute IMI und IRI zum größeren Teil subventioniert. Im letzten „echten“ Friedensjahr, 1913, betrug der Gesamtumschlag des Hafens 61 Millionen Zentner. Nach der Zerschlagung der politischen und wirtschaftlichen Einheit des Donauraumes machte Italien alle Anstrengungen, den Ausfall wettzumachen, und in den letzten Jahren vor dem zweiten Weltkrieg lagen die Umschlagziffern wenigstens an der 50-Millionen-Grenze. Sein wirtschaftliches Hinterland verlor Triest vollends nach 1945, als die Staaten Osteuropas die alten Handelsbeziehungen lösten und sich östlich orientierten. Zwar betrug die Warenbewegung im Jahre 1951 66 Millionen Zentner und übertraf damit den Friedensrekord, aber sie ist zum guten Teil auf die ERP-Lieferungen für Österreich zurückzuführen, zum guten Teil Erzeugnisse der Schwerindustrie umschließend. Das Volumen ist mit dem Friedensvolumen der österreichischen Zeit nicht im entferntesten zu vergleichen.

Wer immer in Triest wirtschaftlich interessiert ist, inbegriffen die noch sehr aktiven altösterreichischen und griechischen Gruppen, legt sich die bange Frage vor, was die Zukunft einem Freistaate bieten könnte, dem die finanzielle Unterstützung Italiens verlorengeht, ohne von anderer Seite ersetzt zu werden. Die Anhänger des „Territorio Libero“ weichen dieser Frage gewöhnlich aus, aber wenn man auf eine Antwort besteht, bekommt man die merkwürdigsten Auskünfte: Augenzwinkernd spricht man von einem neuen Tanger, von den ungeheuren Möglichkeiten, die der Zwischenhandel, befördert durch Korruption und Konterbande, haben würde, von Einnahmen aus dem Betrieb eines Reklamesenders, von der Schaffung eines Scheidungsparadieses … ‘

Zur gleichen Stunde, als die Zivilpolizei die Straßen Triests von den Menschen „säuberte“, die für die Einhaltung eines feierlichen Versprechens demonstrierten und die Beendigung eines qualvoll gewordenen Zustandes verlangten, hörte der Mitarbeiter der „Furche bei der in der Triester Handelskammer tagenden Konferenz des Seehafenzweckverbandes angenehm überrascht, den Vorschlag des Delegierten der immer noch unter n i scher Verwaltung stehenden Triestiner Bahnen, man möge doch im Güterverkehr zwischen Österreich einerseits und den Nordseehäfen und Triest andererseits allein das österreichische Tarif- bareme anwenden. Nach diesem Vorschlag würde Triests Freihafen unabhängig von der staatlichen Souveränität zu einem wirklich und wahrhaft österreichischen Hafen werden. Ohne laute Publizität war in der Abgeschlossenheit einer von der Öffentlichkeit fast unbemerkten Fachkonferenz ein echter und tatsächlicher Beitrag zur Europäisierung der Wirtschaft geleistet worden. Das war das einzig tröstliche Ereignis jenes Triester Tages.

Gelänge auf diesem kleinen Fleck Erde eine friedliche Verständigung, die Dauer verspräche, so wäre dies ein sehr wichtiger Beitrag für das große Friedenswerk, das für ganz Europa zu leisten ist.

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