6728166-1965_40_07.jpg
Digital In Arbeit

Das Unglücksmemorandum

Werbung
Werbung
Werbung

Besonders schwierig gestaltete sich der innere Zwiespalt Triests zur Zeit des sogenannten „Triester Freistaates“, der vom Ende des zweiten Weltkrieges bis zum Jahr 1954 währte, als dank dem „Londoner Memorandum“ das' Triester Territorium mit bestimmten Vorbehalten und juristischen Verklausulierungen zwischen Italien und Jugoslawien aufgeteilt wurde nach dem bewährten Nachkriegsrezept der strategischpolitischen Diplomatie — ein Verfahren, das zwar den Stein des Anstoßes aus der Welt schaffte, letztlich aber niemanden ganz befriedigen konnte. Italien und Triest im besonderen leiden unter dem Verlust der eigentlichen julischen Region: Ganz Istrien und Teile des unmittelbaren T 'ester Hinterlandes bis über Görz hinaus.

Erst vor wenigen Wochen hat die Wahl eines slowenischen Gemeinderates in das Triester „Municipio“ — von jeher eine Hochburg italienischer Geisteshaltung — zu einem alarmierenden Sturmlauf, ja zu Straßentumulten Anlaß gegeben. Man befürchtete, seine Wahl könne ein getarntes Weitervordringen der Anhängerschaft Titos bedeuten, ob zu Recht oder nicht, bleibt dahingestellt. Tatsache ist, daß der Schatten Titos schon die Existenz des Triester Freistaates von Anfang an verdüsterte. Wer auch „bona flde“ für den Freistaat eintrat, geriet damit schon in den Geruch, ein „Titoist“ zu sein. Nun ist aber gewiß nur ein Bruchteil der Slowenen in und mehr noch um Triest bedingungslos derlei Gedankengängen zugänglich.

Kulturannäherungen

Nunmehr sind mehr als zehn Jahre verflossen, da Triest und ein geringer Teil seines Territoriums wieder zu Italien geschlagen worden sind — alle Wunden sind damit zwar nicht aus der Welt geschafft worden, aber es ist mittlerweile auch viel Wasser in die blaue Adria um Triest geflossen. Man hat zur Vergangenheit Distanz gewonnen und ist ehrlich bemüht, sie zu bewältigen. In diesem Bestreben hat sich vor nicht langer Zeit in Triest ein „Circolo di cul-tura italo-austriaco“ (Italienischösterreichischer Kulturverein) gebildet unter der Präsidentschaft des Gradeser Barden Biagio Marin. Es ist gewiß bezeichnend, daß die Wahl damit auf eine hervorragende Persönlichkeit aus dem Kreis der Triester Irredentisten der alten Garde fiel: jener ideal gesinnten Elite von Triestinern, die nicht davor zurückschreckten, im Kampf für den Anschluß an die „madrepatria“ Gut und Leben aufs Spiel zu setzen, wie etwa Scipto Slataper, Carlo Stuparich und andere mehr. Dieses Jahr stand denn auch im Zeichen einer Gedenkfeier des großen Triestiner Dichters Slataper, dessen episch-legendäres Werk „Mio Carso“ (Mein Karst) so etwas wie ein Triester Heldenepos in autobiographischer Form darstellt. Diesem Bestreben dient auch der neugeschaffene „Centro Scipio Slataper“ zum Studium der Literatur Triests und der julischen Region unter der Leitung von Prof. Doktor Aurelio Ciacchi.

Dieser „Italienisch-österreichische Verein“ hält im Durchschnitt jeden Monat eine kulturelle Veranstaltung ab. Prof. Ciacchi, der sich durch seine italienischen Übertragung von Brochs „Tod des Vergil“ äußerst verdient gemacht hat, hielt im Verein einen Zyklus von Vorträgen, der dem Thema des Einflusses der Dichter und Schriftsteller deutscher Zunge auf das Geistesleben Triests und der julischen Region gewidmet war.

In letzter Zeit sind nicht wenige Werke Triester Schriftsteller erschienen, die aus dem Daseins- und Geistesbereich der Triester Vergangenheit und Gegenwart oder direkt aus Österreich selbst ihren Atisgang oder Vorwurf nehmen. So der Schlüsselroman Renzo Rossois „La dura spina“ (Der scharfe Dorn) und das in seiner Art einmalige, wenn auch etwas einseitige Werk eines anderen Triestiners, Claudio Magris, mit dem vielsagenden Titel: „Der Habsburger* Mythos in der neuen österreichischen Literatur“, das in Kürze in deutscher Übertragung im Verlag O. Müller erscheinen wird. Dazu gehört auch Enzo Betizzas Roman „II fantasma di Trieste“, der bei Neff in deutscher Sprache erscheint.

Zu diesem Kreislauf gegenseitiger Befruchtung und geistiger Aneignung österreichischer Kultur im Triester Geistesleben gehören aber auch umgekehrt jene Triester Schriftsteller, die man als italienisch-deutschsprachige Schriftsteller bezeichnen könnte; so etwa Professor Guido Devescovi, der Istria-ner Ervino Pocor, der deutsche Star-Ubersetzer des Verlegers Mon-dadori, der wie Devescovi Gedichte in deutscher Sprache schreibt, und die Triester deutschsprachige Dichterin Eha Krückel-Germani. Erst vor wenigen Wochen starb sang- und klanglos in Mailand Roberto Bazlen, in Dichterkreisen kurz als „Bobi“ bekannt, eine Art graue Eminenz des Triester italienisch-deutschen Kulturlebens.

In diesem Zusammenhang verdient Beachtung, daß sich die Florentiner Zeitung „La Nazione“ in großer Aufmachung unter dem Titel: „Österreich ist nach Triest zurückgekehrt, und die Triestiner sind damit einverstanden“, aus der Feder Armando Stefanis, ausführlich mit der Konstituierung dieses „Italienisch-österreichischen Kulturvereins“ befaßt und ganz grundsätzliche Gedanken und Zusammenhänge zu erhellen versucht.

Wir wünschen, daß sich diese guten Absichten bewahrheiten. Giani Stuparich hat dies alles kommen sehen und ein gegenseitiges Zusammenwirken in seinem 1948 erschienen Buch der Erinnerungen „Trieste nei miei ricordi“ ersehnt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung