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Immer neue Probleme in und um Triest

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Ošimo ist ein idyllischer Ort nahe von Ancona. Im Jahre 1975 wurde dort der jugoslawisch-italienische Vertrag über die engültige Grenzziehung zwischen diesen beiden Staaten unterzeichnet. Italien anerkannte damals die jugoslawische Souveränität über die Zone B (das Gebiet um Koper/Ca- podistria). Diese ZoneB des bis 1954 Freien Territoriums Triest hatte vor Ošimo lediglich als italienisches Gebiet unter jugoslawischer Verwaltung gegolten.

Die formale Abtretung der Zone B löste, wie erwartet, gewaltige Proteste der italienischen Flüchtlinge aus Istrien und Dalmatien aus, die im Vertrag von Ošimo nichts anderes als die Abtretung des letzten Stückchens ihrer Heimat an Jugoslawien sahen. In der italienischen Öffentlichkeit herrschte allerdings die Meinung vor, daß nach dreißig Jahren der Illusionen über die verlorenen Gebiete in Istrien (und Dalmatien) nunmehr die Realität anerkannt werden müsse.

Mit größter Sorge wurde jedoch die Unterzeichnung des Vertrages von Ošimo in Triest zur Kenntnis genommen. Die slowenischen Kreise der Stadt waren und sind deshalb in Unruhe, weil der Vertrag die im Londoner Abkommen von 1954 verankerten Rechte der Minderheiten nicht mehr aufgezählt und nur erwähnt, daß diese „nicht abgeschafft“ seien. Von einer Ausdehnung dieser Rechte auf die slowenische Minderheit in den Provinzen von Görz und Udine ist keineswegs die Rede, es gibt diesbezüglich nur formale und unbestimmte Zusicherungen. Abgesehen davon, daß zahlreiche im Londoner Abkommen vorgesehene Minderheitenrechte, weil vom römischen Parlament nicht ratifiziert, in Triest nicht praktiziert worden sind (so das Recht auf Verhandlung in slowenischer Sprache vor Gericht und bei Verwaltungsbehörden, das Recht auf zweisprachige Ortstafeln in den Triester Vorstädten), wurde die gesetzliche Regelung der Minderheitenrechte für die Slowenen in Italien und die Italiener in Jugosla wien nunmehr dem Ermessen beider Staaten überlassen, während zuvor die Überwachung der Durchführung des Abkommens von 1954 auch Großbritannien und den Vereinigten Staaten zustand, die in den Nachkriegsjahren die Besatzung des Triester Gebietes stellten. Der Vertrag von Ošimo sieht weiters die Errichtung einer gigantischen zollfreien Industriezone an der jugoslawisch-italienischen Grenze im Karstgebiet oberhalb Triests vor. Rund 90.000 Arbeiter und Angestellte sollen sich mit ihren Angehörigen dort oben ansiedeln. Umfangreiche Grundflächen sollen enteignet werden. Zahlreiche slowenische Grundbesitzer werden ihr Land verlieren. Die Ansiedlung der nichteinheimischen Arbeitskräfte wirft überdies neue ethische und soziale Probleme auf und wird in letzter Folge auch zum Erlö- chen der autochthonen slowenischen Gemeinschaft rund um Triest führen.

Daß der Standort einer gigantischen zollfreien Industriezone im Karstgebiet aus ökologischen, ethnopoliti- schen und sogar aus wirtschaftlichen Gründen verfehlt sein kann, stellte ein slowenischer Fachmann, derzeit Universitätsprofessor in New Orleans, auf einem Symposium des Slowenischen Forschungsinstituts in Triest fest. Das Karstgebiet ist zerklüftet und von zahlreichen Höhlen durchschnitten. Erweiterungsmöglichkeiten für die Industrie gibt es nicht. Der Transport von Rohstoffen vom Triester Hafen hinauf ins Karstgebiet ist kostspielig. Die Verschmutzung des Grundwassers wird kaum zu vermeiden sein.' Man könnte jedoch zollfreie Industriezonen in den Häfen von Triest und Köper einrichten, wo Industrien schon längst vorhanden sind.

In Triest selbst ist die politische, wirtschaftliche und ethnische Lage nach wie vor unsicher. Der hundertjährige Nationalitätenstreit hat Folgen .hinterlassen, die noch lange nicht überwunden sind.

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