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Wohin Triest?

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Im Lauf des vergangenen Sommers entdeckten die Triestiner sozusagen wieder ihr Meer, die im Sonnenglast unerträglicher Hitze blau schimmernde Adria — zur Ausübung der mannigfachsten Arten des Wassersports. Dies stellte eine Triester Tageszeitung mit gewisser Bitterkeit fest. Und nicht ohne Grund. Denn trotz allen guten Willens, den langsam chronisch werdenden Nöten des Triester Hafenverkehrs Abhilfe oder Besserung zu bringen, ist es nicht gut um Triest bestellt. Lassen wir zunächst die Zahlen sprechen. Innerhalb des ersten Halbjahres 1962 wurden bei den Triester Lagerhäusern 1,032.000 Tonnen umgeschlagen. Dabei waren Kohle, Erze und Schrott um fast 100.000 Tonnen rückläufig, die Verladungen von Schnittholz sanken von 99.000 Tonnen auf 85.000 Tonnen, während die Verladungen von Kunstdünger 'n Triest fast ganz fortgefallen sind. Dafür ist allerdings das Stückgut von 487.000 Tonnen auf 513.000 Tonnen angestiegen, ebenso auch Getreide. Alles in allem sind die auf dem Seewege importierten Güter entschieden zurückgegangen.

Was sind die Ursachen all dessen? Gewiß unter anderem auch momentane Verschiebungen und Neuorientierungen im Überseeverkehr, heute, da rasche Geschäftsabwicklungen und verläßliche Kundenbedienung Trumpf sind. Und in diesem Belange ist es in Triest nicht mehr zum besten bestellt, ohne daß dabei die örtlichen Verkehrsfaktoren und leitenden Kräfte die unmittelbare Schuld träfe. Da war im Sommer der rieh stark auswirkende Streik bei den Triester Lagerhäusern, weil die Arbeiter- und Angestelltenschaft erhöhte Löhne und Gehälter, zum Teil auch eine „Prämie“ auf Grund des bewegten Gewichtes forderte. Es kam nach langwierigen Verhandlungen zu einem Ausgleich und damit zu einer Erhöhung der Löhne und Gehälter um 35 Prozent. Sehr löblich ist die Absicht der Direktion der Triester Lagerhäuser, diese Kostenerhöhung nicht auf die Hafenbenützer abzuwälzen.

Zu alledem kommt eine gewisse Un-verläßlichkeit der Arbeitsverhältnisse in Triest, bedingt durch naturgegebene Lässigkeiten und einen überzogenen Bürokratismus, der nur durch die gewinnende „humanitas“ lateinischer Observanz etwas gemildert wird — aber nicht hindern kann, daß man dabei Zeit und Geld verliert. Daß ganze Schiffsladungen nicht zeitgerecht gelöscht und damit oft finanziell ergiebige Geschäfte nicht zum Abschluß kommen können, soll mehr als einmal vorgekommen sein. Viele Kunden aus der Deutschen Bundesrepublik sollen aus diesem Grund den Triester Hafen bereits zu meiden gelernt haben. Daß ein Prokurist einer namhaften Triester Speditionsfirma, die als Zweigunternehmen eines österreichischen Speditionshauses viel im Österreichverkehr via Triest zu tun hat, alle zehn Tage etwa seine Erlaubnis, die Triester Freihafenanlagen betreten zu dürfen, ex offo erneuern lassen muß, ist gewiß keine Geschäftserleichterung.

Der Bürokratismus nun schlägt in Triest wahre Purzelbäume. So etwa im Falle der Verladung eines Über-liedlungsgutes eines einstmals in Triest wohnhaften Ausländers. Dank der Gefälligkeit vermögender Persönlichkeiten kam sie überhaupt erst zustande — damit aber war der Leidensund Kostenweg beileibe nicht zu Ende. Da es sich um alte Möbel und einige vor allem moderne Bilder handelte, mußte auch die „Sovrintendenza delle Arti e Monumenti“ — etwa unserem Denkmalamt vergleichbar — ihr Pla-cet erteilen. Dies konnte nicht etwa in Triest vonstatten gehen, wo der Leiter des Amtes seinen Sitz hat, sondern entweder in Udine oder in Venedig, von woher sich kompetente Kommissionen nach Triest auf den Weg zu machen hätten — natürlich zu Lasten des Leidtragenden. Ein einziges Bild — notabene aus Österreich stammend — ließ diese bürokratische Schlanze in Aktion treten und zögerte den Abtransport des Umzugsgutes auf Wochen hinaus I Daß auch geschäftliche Transaktionen und Transporte von den Windungen dieser Verwaltungshydra nicht zu selten erfaßt werden, läßt sich wohl denken. Und dies im Zeichen des vereinten Europa.

Kein Wunder, wenn die Triestiner aller Parteischattierungen nun der unmittelbar bevorstehenden Schaffung der „Region Friaul-Julisch-Venetien“ inir>er^chj.^lehn^4rjfe^e^er^t(ej^|rv Die Gpmie.^r\d vielgestaltig.]:-- offen-skhtööh^aßund ,hiftfe£grür)dige. kanntlich“ gab es in der Nachkriegszeit von 1946 bis 1954 so etwas wie einen „Triester Freistaat“, der infolge dauernder Unzuträglichkeiten lokaler Provenienz und infolge weltpolitischer Machtkontroversen frühzeitig dahinschied — heute von vielen Triestinern im stillen betrauert. Mit dem Londoner Abkommen aus dem Jahre 1954 wurde der Freistaat zwischen Italien und Jugoslawien aufgeteilt: ersteres erhielt Triest und einen schmalen Küstenstreifen zurück, Jugoslawien bekam ganz Istrien, die kleine Futterkammer Triests. Allerdings formal nur zu „autonomer Verwaltung“ — doch de facto war es Annexion, auch wenn die Rechtsgelehrten sich darüber nicht schlüssig werden konnten, ob die italienische Souveränität über Triest noch fortbestanden habe oder irgendwie erst erneuert werden müsse.

Nun — mit dem Jahre 1964 soll diese Aufteilung auf jeden Fall definitiv werden. Mittlerweile hat man im Zuge der italienischen Regierungskoalition des „centro-sinistra“ (Links der Mitte) eine bedenkenlos scheinende Vorliebe zur Bildung autonomer Regionen entdeckt, um die schon bestehenden Mißhelligkeiten auf diesem Gebiet noch zu vermehren. Triest soll nun zusammen mit Udine und Görz diese neue „Region Friaul-Julisch-Venetien“ bilden, nach Ansicht fast aller loyalen Triestiner ein Danaergeschenk für Triest. Damit soll unter anderem der Verlust Istriens für Triest wettgemacht werden — mit Hilfe der Angliederung an das Friaul, das sich dafür bestens bedankt, schon heute. Ganz zu schweigen von den krassen wirtschaftlichen und psychologischen Kontrasten zwischen den drei Regionalgliedern, wird damit den bürokratischen Überschneidungen und Kompetenzstreitigkeiten Tür und Tor geöffnet — für eilten dem internationalen Handel und Verkehr dienenden Hafen gerade das „Richtige“. Die intellektuellen und wirtschaftlich führenden Kreise Triests, fast alle Industriellen, sogar die ehemaligen Kriegsteilnehmer und die „Freiwilligen aus der Provinz Venezia-Giulia“ — mithin national orientierte Kreise — sind entschieden gegen diese Regionsbildung.

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