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Randhemerkungen zur woche

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EIN POLITISCHER SONNTAG: das war der

23. Oktober ohne Zweifel. Oesterreich blickte zunächst nach dem Land ober der Enns, wo der Landtag und die Gemeindevertretungen neu bestellt wurden. Man kann nicht sagen, dar} der oberösterreichische Wahlgang die österreichische Innenpolitik stärker bewegt hat. Der Lärm der Wahlschlacht drang kaum über die Landesgrenzen und selbst innerhalb Oberösterreichs hielt er sich durchaus in erträglichen Grenzen. Dah aber selbst ein .ruhiger“ Wahlkampf die Menschen, die ihn führen, ganz in Anspruch nimmt, darauf weist niemand anderer als Landeshauptmann Dr. Gleihner gerne hin: „Es gibt keine anstrengendere und strapaziösere Regierungsform als die Demokratie.“ Als er diesen Ausspruch vor wenigen Tagen wieder einmal gegenüber einem Redaktions-miiglied der „Furche“ wiederholte, da wufjfe er nicht, wie recht er schon in wenigen Tagen bekommen sollte. Am Morgen ds 23. Oktober, der der Volkspartei die absolute Mehrheit in der oberösterreichischen Landtagsstube zurückbringen sollte, zerbrach das Herz seines Stellvertreters an den Anforderungen der modernen Politik. Dieser VerlusJ trübt die Freude der Volkspartei. — Aber auch in den Kreisen der Sozialistischen Partei ist man zufrieden. Beide Parteien haben guten Grund dazu — zahlt doch ein Dritte' die Zeche: die „Freiheitliche Wahlgemeinschaft“, in der sich der VdU mit dissidenten Gruppen vereinigte. Wenn nicht einmal in der Heimat .Ing. Reinthalers diese „Gegenkoalition“ die sich verlaufenden Scharen zusammenhalten kann, so ist für andere Bundesländer Skepsis nur allzu berechtigt. Ob man es wahrhaben will oder nicht, ob man es für gut hält oder schädlich: der Zug zum Zweiparteiensystem ist in Oesterreich seit den letzten Nationalratswahlen eine Tatsache. Oberösterreich hat es wieder bewiesen. — Weit weg von Enns und Inn gingen Menschen ebenfalls am 23. Oktober zu den Urnen: an der Saar. Das Ergebnis des Referendums über das europäische Statut entsprach beinahe vollkommen der von uns wiedergegebenen Vorhersage eines unbekannten Arbeiters der Röchling-Werke. 60:40 sagte dieser, 67,7:32,3 war das Ergebnis — für „Nein“. Versäumnisse und psychologische Fehler rächten sich schwer. Dennoch kann man Johannes Hoffmann, der nun als Geschlagener die Bühne verlähf, nicht nachsagen, dah er ein schlechter Verlierer war. Er, der noch vor wenigen Wochen in rosarotem Optimismus machte und “'Erörterungen' über die Möglichkeit der Ablehnung des Statuts beinahe brüsk zurückwies, gab noch in der Abstimmungsnachf seine Demission. „Dsr Dicke ist weg“ — was weifer aeschehen wird, weifj zur Stunde in Saarbrücken kein Mensch. Und auch nicht in Bonn und Paris. Von dort — und nur von dort — kann aber die Antwort kommen.

AUCH DIE PREISE HABEN KONJUNKTUR. Es geht nicht um die großen Risse in der Börse des kleinen Mannes (und die Erhöhung der Straßen-bahntarife schnitt erheblich ein), sondern um das schamhalte Bohren von Tag zu Tag. Bald ist es die Seife, bald sind es die Rasierklingen; dann lockert sich das Preisgefüge bei den Genußmifteln, wobei zur Erhöhung des Genusses mif physikalischen, botanischen und zoologischen Erläuterungen nebst letztem Wetterbericht nicht gespart wird, ohne uns größere Ausgaben zu ersparen. Man disponiert bei der Ein- und Ausfuhr aus dem Handgelenk, um den Markt zu regulieren, und verstimmt Verkäufer und Käufer, Im September 1953 hatte Oesterreich eine mit 200 Millionen Schilling aktive Handelsbilanz. Das Preisniveau war damals vom August her bereits um 2,3 Prozent gefallen und lag mit fünfeinhalb Prozent unter dem Stande von 1952. Im Jahre 1955 dagegen war vom Mai zum Juni der Großhandelsindex um 3 Prozent gestiegen und lag damit um 6 Prozent über dem Stande von 19541 Nicht genug damit. Schon im Juli war in einigen Artikeln eine weitere Auffriebstendenz zu beobachten, die rund 2 Prozent ausmachte. Der Kleinhandelsindex für September 1955 war gleichfalls um 2 Prozent gestiegen und betrug das Siebenfache von 1937. Diese Entwicklung ist verbunden mit der Lage des Aufjenhandels. Im Juni 1955 war ein Passivsaldo aufgestockt mit 322 Millionen auf Fehlbeträgen vom Mai mif 300, April mit 400, März mit 600 Millionen Schilling — eine klare Tendenz. Es ist natürlich, dafj die erhöhten Importe zu Preisvorstörjen führen, denn fast immer wird vom Importeur die Nachfrage einige Zeit unter Dampf gehalten, um sodann die persönlichen Wünsche durchzusetzen. Die Diskussion über den Milchpreis hat andere Wirtschaftszweige auf den Plan gerufen. Abgesehen davon, dafj der Milchpreis die Molkereiprodukle beeinflußt, sind aufjer den Feinbackwaren von den Bäckern vor geraumer Zeit Tagesgebäcke, wie Semmeln, zur Qualitätsverbesserung mit Milch verarbeitet worden: eine Erhöhung der Milchpreise würde unzweifelhaft das Problem des Brolpreises aufwerfen, gar, wenn die Lohnwünsche in diesem Gewerbe Erfüllung fänden. Die dauernden Mahnungen des Bundeskanzlers um Preisdisziplin haben also einen Grund; es wird indes nicht zu umgehen sein (im Wege von Handelsvertragsverhandlungen und im

Rahmen der verschiedenen internationalen Organisationen), die Verträge einer Ueber-prülung zu unterziehen und damit auch die Liste der liberalisierten Waren. Wir haben nichts davon, wenn man in der Kärntner Strafje dreireihig fährt und in der Großmarkf-halle dreiziffrig.

DIE KONFERENZ VON TRIEST wirf) ihre Schaffen voraus. Schon jetzt finden Besprechungen in Rom und Wien statt, obschon die Konferenz erst am. 14. November beginnen soll. Für Oeslerreich ist Triest eine wirtschaftliche und keine nationale Frage. Indes: eine wirtschaftliche, gesunde Funktion Triests wirkt auf die nationalen Verhältnisse zwischen den Ländern zurück, die zu 75 Prozent den Hafen beschicken und auf die Beziehungen zwischen diesen Ländern und Italien. Der österreichische Handelsminister erwähnte faktvoll die Frage Bari ebensowenig wie jene Fiumes (Rijeka) und der Nordseehäfen. Er beschränkte sich darauf, die Transitfrachten Tarvis—Triest als änderungswert zu bezeichnen; er berührte das Verlangen nach freien Lagerzeilen upd nach Beteiligung Oesterreichs am Ausbau Triests. Italien nahm durch den Londoner Vertrag, das heißt durch die Rückgliederung Triests an Italien, die Verantwortung auf sich, die wirtschaftliche Entwicklung des Hafens zu fördern. Man wird jetzt zumindest Oesterreich — das historische Verdienste um Tricsf hat — ein qualifiziertes Stimmrecht in einer zu schaffenden internationalen Freihafe.n-kommission zubilligen müssen, wenn es nichf überhaupt logisch erscheint, Oesterreich den Vorsitz zu übertragen. Es isf ferner an die Errichtung neuer Bankfilialen, an ein exterritoriales österreichisches Zollamt, an Sonderbesf'mmun-gen über die Beschäftigung von Oesterreichern in Triest zu denken. Es müfjfe ein eigenes Oesferrelchhaus in Triest erstehen, eine Zweigsfelle des Römischen Kulfurinsfilufes in Triest errichtet werden, und es wre angezeigt, durch eine regelmäßig erscheinende österreichische-italienische Wirtschaftszeitung mit österreichischer Redaktion in Triest, die Presse zu fördern. Schließlich wäre es nötig, den Verkehr von Oesterreich über Triesf hinaus (Südamerika, Naher und Mittlerer Osten) zu begünstigen. Es ist sonderbar, aber wahr, daß Triest bei seinen Wünschen in Rom oft Schwierigkeifen gegenübersteht; aber man wird sich dort entscheiden müssen, ob Nationalismus eine renfable Fracht

IN ESSEN haben — einberufen vom Verein „Soziale Praxis“ — 150 Arbeitnehmer die Bildung eine's Ausschusses „zur Gründung einer christlichen Gewerkschaftsbewegung“ beschlossen. Der genannte Ausschuf) bedeutet noch nicht die Errichtung christlicher Gewerkschaften, sondern die Bildung eines Komitees, das beauftragt ist, innerhalb von vier Wochen die Situation mit der Führung des DGB abzuklären. In den Zeitungen war zu lesen, dah die neue Gewerkschaftsgruppe von der Christlichen Gewerkschaffsinternationala eine Million D-Mark Anlaufkapital erhalten habe. Der von uns bf-fragte Generalsekretär der Internationale weifj von der Zuwendung nichts, obwohl es sich doch um eine Summe handelt, die auch ein Generalsekretär nicht übersehen dürfte. Ein Grofjteil der christlichen Arbeitnehmer ist gegen die Neu-gründungsgbsicht. So zeigt sich ein tragischer Konflikt, geeignet, die Einheit der deutschen christlichen Arbeiterbewegung empfindlich zu stören. Die der CDU unmittelbar angehörenden Arbeitnehmer (die Sozialausschüsse der CDU) haben eindeutig und scharf gegen die Propo-nenten Stellung genommen. Ebenso eine Reihe von evangelischen Arbeitersekretären und Arbeiterpfarrern. Adenauer scheint ebenfalls für die Einheit der Gewerkschaftsbewegung zu sein. Anderseits darf nicht übersehen werden, dah die Art der Gewerkschaftsführung an der politischen und weltanschaulichen Objektivität des DGB erhebliche Zweifel aufkommen lieh. Innerhalb des DGB ist nun eine überraschende Umgruppierung vorgenommen worden, die z. T. mit der „drohenden“ Neugründung christlicher Gewerkschaften zusammenhängt: Der Chef des Gehirnfrusts des DGB, Dr. Agartz, und sein Mitarbeiter Professor Gleitze wurden von der DGB-Führung plötzlich beurlaubt. Die der SED nahestehenden Mitarbeiter von Agartz, Horn und Pirker, wurden sogar entlassen. Die Disfanzierung der DGB-Führung von ihrem radikalen Flügel kann für einen Unkundigen als ein Entgegenkommen gegenüber den Massen der christlichen Arbeitnehmer gewertet werden. Tatsächlich war es aber offensichtlich so, dah die führenden Köpfe des „Wissenschaftlichen Büros“ des DGB gegen den DGB-Vorstand selbst Stellung nahmen. Der DGB hat nun versucht, die intellektuellen Geister, die er rief (und zahlte), auf einfache Weise loszuwerden. Auf diese Weise ist nun die Chance gegeben, dah der DGB wieder auf die ursprüngliche Marschrichtung, die ihm von seinem Führer, dem verstorbenen Böckler, seinerzeit gewiesen worden war, einschwenkt: der Sache der Arbeiterschaft zu dienen und nur dieser.

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