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Die doppelte Spaltung

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Die Auseinandersetzungen um die Wiedererrichtung christlicher Gewerkschaften in Westdeutschland werden nicht allein zwischen der Führung des DGB und der Christlichen Gewerkschaftsbewegung Deutschlands (CGD) geführt, sondern auch zwischen jenen christlichen Arbeitnehmern, die im DGB bleiben wollen, und der

CGD. Man wird dabei an den (wenn auch aus ganz anderen Gründen geführten) deutschen Gewerkschaftsstreit in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg erinnert.

Die Gründer der CGD sind die Führer der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB), die Abgeordneten zum Bundestag Even und Winkelheide sowie der zweite Vorsitzende der Evangelischen Arbeiterbewegung, Voss, MdB (ehemals Leiter des Personalamtes der evangelischen Inneren Mission in Oesterreich). Interessanterweise zeigen sich in der KAB Widerstände gegen die Neugründung. Da man aber den Beitritt der Mitglieder der KAB zur CGD zu keiner Grundsatzfrage gemacht hat, ist es möglich, daß auch führende Manner der KAB illt DGB bleiben (so z. B. Bezirkssekretär Wullenhaupt, Gelsenkirchen). Zur CGD stehen auch der Deutsche Handlungsgehilfenverband (DHV) und der Verband weiblicher Angestellter. Diese beiden schon bestehenden Gruppen werden wahrscheinlich mit der CGD zusammen den Bund christlicher Gewerkschaften bilden. Da neben den genannten kleinen Gewerkschaften (die mehrheitlich evangelische Mitglieder haben) noch die große Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) besteht, kann für Westdeutschland nicht gut von einer Einheitsgewerkschaft gesprochen werden. Daher ist es auch nicht richtig, die Gründung der CGD als Spaltung zu bezeichnen. Das Süddeutsche Katholische Werkvolk hat sich von der Neugründung anfänglich distanziert und hat seinen Mitgliedern die Entscheidung freigegeben.

Gegen äie Neugründung haben sich im christlichen Arbeitnehmerlager zwei Gruppen eindeutig ausgesprochen: 1. Die Sozialausschüsse der CDU/CSU. In einer Tagung am 5. November in Königswinter nahmen sie gegen die CGD Stellung, wenn auch gleichzeitig ein Sprecher der CDU erklärte, daß er mit dem Herzen zur CGD voll ja sage, aber mit dem Verstand nein. 2. Eindeutiger als die Sozialausschüsse der CDU/ CSU und diese selbst haben die Repräsentanten der christlichen Arbeitnehmer im DGB, die „Christlich-soziale Kollegenschaft“ die CGD abgelehnt. In ihren Organen „MICHAEL“ und „Gesellschaftspolitische Kommentare“ stehen sie auf dem Standpunkt, daß es in der geistigen Situation von heute nicht möglich sei christliche Gewerkschaften zu gründen, um so mehr, als auch die seinerzeitigen christlichen Gewerkschaften den Charakter einer Notlösung gehabt haben. Freilich haben die Männer der Christlich-sozialen Kollegenschaft bei ihren Versuchen, die DGB* Führung zur Durchsetzung des Toleranzprinzipä zu bewegen, wenig Erfolg gehabt. Nicht nur das.

Die Führung des DGB lehnte sogar die Existenzberechtigung der Christlich-sozialen Kollegenschaft ab („Königssteiner Gespräche“) und erklärte, der DGB habe es nur mit einzelnen Mitgliedern, aber nicht mit Gruppen zu tun.

' Wie sehr der Riß mitten durch das Lager der Christen geht, zeigt sich darin, daß der Ministerpräsident von Rheinland-Westfalen, Karl Arnold, gegen die CGD ist und der Land-tägspräsident des gleichen Bundeslandes dafür. Üebrigens hat Arnold (zusammen mit dem immer mehr' in den Hintergrund tretenden Bundesminister Kaiser) in einer großen Rundfunkansprache offen die Neugründung verurteilt.

Gleiche,' wenn auch nicht so eindeutige Auseinandersetzungen spielen sich im Lager der evangelischen Christen ab. Die überwiegende Mehrheit der evangelischen Kirchenführer hat sich auf die Seite des DGB gestellt, insbesondere derl Leiter des Sozialamtes der evangelischen Kirche, Klaus v. Bismarck. Einer der-Unterzeichner der Erklärung für die Einheit des DGB, Bischof Bender, hat sich freilich nachträglich von den Befürwortern der Einheitsgewerkschaft distanziert. Interessanterweise gehören von der CGD, die man anfänglich als eine einseitig katholische Angelegenheit hinstellte, 40 Prozent der evangelischen Konfession an. Der DHV hat sich übrigens eine Einmischung der evangelischen Kirchenführer offen verbeten. In einem Schreiben wandten sich' 46 evangelische Arbeitnehmer in einem ergreifenden Brief an den Rat der evangelischen Kirche Deutschlands, in dem sie fragten: „Was wird aus uns, die wir aus Gründen des Gewissens nicht länger im DGB verbleiben können ... Haben- -wir nicht mit der Hilfe der Kirche zu rechnen ürid können wir nicht hoffen,' von- der Kirche .getragen zu- werden? ...als evangelische Arbeitnehmer scheint es uns nicht mehr faßbar, daß uns... ein Verbleiben im DGB zugemutet wird.“

Die katholischen Bischöfe haben keine offizielle Stellungnahme bezogen, sondern nur gebeten, bei den Auseinandersetzungen auf die christliche Bruderliebe bedacht zu sein. Der I nter rfcari o n.a 1 e B u n d - d e r christlichen Gewerkschaften hat sich in der Sache der Neugründung sehr vorsichtig ver-

halten und ist erst in die Arena gestiegen, als die Gründüng so gut wie sicher war. Das Anlaufkapital stellte die Internationale, für welche ja Deutschland das Ursprungsland der Christlichen Gewerkschaften ist („Labor“, Brüssel, September 1955).

Nun ist also die CGD Wirklichkeit. Ueber die Mitgliederziffern weiß man noch nicht viel zu berichten. Mehr als die Hälfte der Beigetretenen soll bisher nicht dem DGB angehört haben. An großen Veranstaltungen fand bisher nur eine von 820 Delegierten besuchte Funktionärskonferenz in Bochum statt, an der auch ausländische Vertreter teilnahmen. Wie weit dem Bund christlicher Gewerkschaften nun ein Einbruch in die Reihen des DGB gelingt, hängt weniger von der jungen Gewerkschaftsbewegung ab als vom DGB. Derzeit ist der DGB ein Politikum und eine Sache von hauptberuflichen Funktionären. So waren beim 3. Bundeskongreß nur noch 24 Prozent Arbeiter anwesend. Angestellte waren 69 Prozent (trotz des Bestehens einer eigenen Angestelltengewerkschaft). Die meisten dieser Angestellten waren hauptberuflich im DGB tätige Funktionäre, so daß schließlich nicht weniger als 53 Prozent der Delegierten Angestellte des DGB waren und jene Befangenheit aufwiesen, die eben Arbeitnehmer immer zeigen, v/enn sie in Sachen ihres Dienstgebers entscheiden müssen. Was die Politik des DGB betrifft, so ist es Tatsache, daß er sich noch immer nicht eindeutig von seinen linkssozialistischen Einpeitschern zu trennen vermochte, wenn er auch u. a. Dr. Agartz beurlaubte. Dieser und die Männer des ehemaligen „Internationalen Sozialistischen Kampfbundes“ waren es, welche hinter dem Pamphlet gegen P. Nell-Breuning standen und in einer massiven Form die Anhänger der christlichen Sozialreform (und dies im wissenschaftlichen Organ des DGB) angriffen. Es ist nicht richtig, wie behauptet wird, daß Agartz und seine der SED nahestehenden Mitarbeiter ausgebootet wurden, um die Kontroversen mit den christlichen Kirchen zu vermindern. Der Grund war offensichtlich ein anderer. Agartz griff nämlich die DGB-Führung selbst an und erhielt von der linkssozialistischen Zeitschrift „Die andere Zeitung“ (die jetzt auch in Wien kolportiert wird) Gefolgschaft. Da Agartz auch gegen die SPD Stellung bezog, muß

seine (zeitweilige) Entfernung als eine innersozialistische Angelegenheit angesehen weiden.

Wie sehr der DGB eine (sozialistische) Richtungsgewerkschaft ist, sieht man daraus, daß von den 9 Vorstandsmitgliedern 7 der SPD angehören, von den 16 Vorsitzenden der Industriegewerkschaften sind alle 16 bei der SPD, ebenso alle 8 Vorsitzenden der 8 Landesverbände. Insgesamt sind von den 34 Mitgliedern des DGB-Vorstandes 32 Sozialisten. Mit einer Ausnahme sind alle Redakteure der Bundes-Gewerkschafts-presse und mit zwei Ausnahmen die Leiter der Bundesschulen des DGB ebenfalls Sozialisten. Das nennt man Proporz! Bei den innerchristlichen gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen geht es offensichtlich vor allem um drei Fragen:

1. Um Fragen der Taktik: Die CDU-Politiker, die dem DGB mehrheitlich treu bleiben wollen (wahrscheinlich, weil es der Kanzler so will), hoffen zwar nicht auf eine Taufe des DGB, glauben aber, die Gewerkschaftsführung am Tag X, an dem sich eine große Koalition als

notwendig erweisen sollte, als Brücke zur SPD benützen zu können. Dazu kommt, daß der Ge-werkschaftsgedankc wie in Oesterreich auch, in Westdeutschland in einer Krise ist, die sich in der Abwendung eines Teiles der Mitglieder äußert, was eine gewisse Anfälligkeit für Konzessionen hoffen läßt. So ist z. B. bei der IG Textil 1953/54 die Zahl der Eintritte mit zirka 104.000 erheblich geringer als dit Zahl der Austritte (zirka 143.000).

2. Anderseits sind die Gründer der CGD der Ansicht, es müsse auch ohne zu eindeutige Bindung an eine Partei möglich sein, wirksame Gewerkschaftspolitik zu machen. In dieser Hinsicht zeigt sich eine Annäherung an den Standpunkt der amerikanischen Gewerkschaften.

3. Die wichtigste, wenn auch noch nicht in die Diskussion geworfene Frage ist die, ob es möglich ist, die Gedanken der christlichen Sozialreform mit Sozialisten zu realisieren oder ob es dazu — wegen der allzu starken kollektivistischen und gegensätzlichen Haltung der Sozialisten — einer eigenen, für sich geschlossenen Bewegung bedarf.

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