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Sorge um die Konkurrenzfahigkeit

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Dieses Beispiel und die auch unter den Arbeitern zunehmende Sorge, die steigenden Lohnkosten könnten die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie beeinträchtigen, haben die Stellung Brenners, wie sich in Hannover zeigte, geschwächt.

Es ging auf dem dortigen Bundeskongreß um zwei Fragen. Einmal um die Wahl eines ersten Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes als Nachfolger des wegen Erreichung der Altersgrenze ausscheidenden Willi Richter und um die Verabschiedung eines auf dem letzten Gewerkschaftskongreß 1959 in Aussicht gestellten neuen Sozialprogramms, bei dessen Ausarbeitung es erstmals Brenner nicht gelungen war, seine Ansichten durchzusetzen. Es gelang ihm aber, die Verabschiedung dieses Programms, das etwa der neuen Richtung der SPD entsprochen hätte, zu verhindern.

Deutlicher erkennbar wurde die Opposition gegen Brenner bei den Vorgängen um die Wahl des neuen DGB-Vorsitzenden. Auf der Tagungsordnung in Hannover standen Satzungsänderungen, durch die der DGB-Vorsitzende, der bisher mehr die Stellung eines repräsentativen Ehrenpräsidenten ohne Weisungsbefugnis für die einzelnen dem DGB angeschlossenen Gewerkschaften hatte, mehr Rechte erhalten sollte. Teilweise gegen den entschiedenen Widerstand Brenners ist dies wenigsten so weit gelungen, daß der neue Vorsitzende, Ludwig Rosenb e r g, die Möglichkeit hat, eine aktivere Rolle zu spielen als der vornehmlich um Ausgleich bemühte, von Brenner auch auf dem DGB-Kongreß in Hannover brutal beiseite geschobene Willi Richter.

Mit Ludwig Rosenberg tritt ein Mann an die Spitze des DGB, der sich in der Bundesrepublik den Ruf eines ungewöhnlich geschickten Verhandlungspartners erworben hat. 1933 nach England geflohen, hat sich der heute Neunundfünfzigjährige im britischen Arbeitsministerium darum gekümmert, deutschen und später auch österreichischen Emigranten Arbeit zu verschaffen. Er ist ein ganz neuer, immer betont tadellos gekleideter, sehr englisch wirkender Typ eines Gewerkschaftsführers, der von seinem Auftreten her ein nicht geringes Mißtrauen bei den Arbeitern zu überwinden hat. Wenn er auch sicher den Gewerkschaftsführern seinen Willen nicht wird aufzwingen können, so spricht doch vieles dafür, daß mit ihm eine neue Ära des DGB beginnt.

Die eigentliche Sensation in Hannover war der unerwartet von Georg Leber vorgetragene Antrag, der DGB möge einer vernünftigen Regelung einer Notstandsgesetzgebung seine Zustimmung nicht versagen. Ein solcher Antrag wäre noch 1959 in Stuttgart im Protestgeschrei untergegangen. Bei seiner vergleichsweise sachlichen Aufnahme spielte natürlich eine wesentliche Rolle, daß der jetzige Bundesinnenminister Höcherl bei seinem Entwurf zum Notstandsgesetz die Wünsche und Anregungen der SPD berücksichtigt hat, während sein Amtsvorgänger Gerhard Schröder jede Verhandlung darüber mit der SPD abgelehnt hatte. Trotzdem war es eine Sensation, daß sich in der Debatte, die von unerfreulichen persönlichen Verunglimpfungen nicht frei blieb, eine ganze Reihe von Kongreßteilnehmern- für die Annahme des Antrages aussprach, der mit einer geringeren Mehrheit verworfen wurde, als wohl Leber selber angenommen hatte. Wie Leber noch vor der Abstimmung versicherte, war es ihm nicht so wichtig, wie abgestimmt wird. „Hauptsache ist. wir kommen aus dem Ruf heraus, daß wir insgesamt kein Verständnis für die Bonner Bedürfnisse haben.“

So peinlich bei dieser Debatte zutage trat, insbesondere bei den Beiträgen aus der Reihe der IG Metall, daß manche Sprecher das Jahr 1933 noch nicht überwunden haben und die

Bundesrepublik nur als Nachfolgerin der Weimarer Republik anzusehen vermögen, so wesentlich war an der Debatte, daß sich eine ernst zu nehmende Minderheit im DGB bereit zeigte, der Wandlung der SPD zu folgen und an der Gestaltung des politischen Lebens in der Bundesrepublik mitzuarbeiten. Die Zeit wird über die schließlich alle Notstandsgesetze ablehnende Resolution von Hannover ebenso hinweggehen, wie sie über das Nein der Gewerkschaften zur Wehrfrage hinweggegangen ist. Dieser in Hannover von Brenner erfochtene Sieg kann sich in wenigen Jahren schon als ein Pyrrhussieg erweisen, wenn es um die aktive Teilnahme der SPD an der Bonner Politik gehen und der DGB in ganz anderer Weise zur Stellungnahme dazu aufgefordert werden wird.

Die Gruppe Leber hat sich damit stärker und festlegender in den Vordergrund geschoben, als man angenommen hat. Die Bedeutung dieses Vorgehens wird klar, wenn man sich vor Augen hält, daß es nicht taktisch bedingt, sondern grundsätzlich begründet ist. Als Vorsitzender der IG Bau ist sich Leber rascher als Brenner bewußt geworden, daß Lohnerhöhungen auch auf die Arbeiter und ihren Lebensstandard zurückwirken können. Während die Spirale der Lohn- und Preiserhöhungen bei der Schwerindustrie schwerer zu durchschauen ist, haben die Lohnerhöhungen auf dem Bausektor, für jedermann jederzeit nachprüfbar, die Mieten auf 4,6 bis 6 DM pro Quadratmeter getrieben. Während Brenner noch immer Klassenkampfparolen huldigt, hat daher Leber zur These der Gesamtverantwortung gefunden, die sich in dem jüngsten Tarifvertrag der Bauwirtschaft in dem Satz niederschlug: „Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften obliegen — unbeschadet verschiedener Auffassungen und wesentlicher Gegensätze in einzelnen Interessenbereichen — Ordnungsaufgaben von weittragender Bedeutung. Sie sind für die Lösung dieser Aufgaben gemeinsam verantwortlich.“

In diesem Satz kündigt sich ein neues Verhältnis der Gewerkschaften zum Staat an. Wer weiß, wie sehr Gewerkschaften und SPD-Funktionäre in der Weimarer Republik und in den ersten zehn Jahren der Bundesrepublik die SPD an einer konstruktiven Politik behinderten, wird sich über die wahre Bedeutung dieser Vorgänge im klaren sein. Ist doch bisher die SPD-Führung immer in Gegensatz zu ihren Mitgliedern und den Gewerkschaften geraten, wenn sie in Regierungsverantwortung stand oder aktiv an der Lösung von Problemen mitzuwirken versuchte. Da nicht ganz ungerechtfertigte Hohnwort: „Kein Brandt ohne Brenner“ hat auch 1961 seine Wirkung nicht ganz verfehlt. Der Schritt von einer Weltanschauungspartei zu einer Volkspartei als politische Alternative zur CDU/CSU, der von der SPD seit 1961 mit Energie vorangetrieben wird, muß ja so lange unglaubwürdig bleiben, solange er nicht von den deutschen Gewerkschaften und der Mehrheit der Arbeiterschaft, also den Mitgliedern der SPD, bejaht wird. Dazu die Richtung gewiesen zu haben, ist das eigentlich Entscheidende des Vorgehens von Georg Leber. Es wird an Ludwig Rosenberg liegen, ob durch diese neue Entwicklung die Einheit des DGB bedroht wird-oder nicht. Rückgängig machen, wie Brenner hofft; läßt sie sich ohne katastrophale Auswirkungen auf die deutsche Innenpolitik nicht mehr. In dieser Entscheidung liegt ein Gutteil des künftigen Schicksals der deutschen Demokratie, die auf die Dauer, wie die „Spiegel“-Affäre zeigt, nicht bestehen kann, wenn sie nur von einer Partei getragen wird.

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