6879140-1979_03_06.jpg
Digital In Arbeit

Der lange Arm der Radikalen

Werbung
Werbung
Werbung

Der zweitlängste Streik in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - der Ausstand der Stahlarbeiter hat immerhin 44 Tage gedauert - ist zwar zu Ende, Zweifel und Unbehagen über die politische Entwicklung innerhalb des Deutschen Gewerkschaftsbundes sind aber geblieben. In Großbritannien ist die Labour-Regierung durch den Streik von Lkw-Fahrern in arge Schwierigkeiten geraten. Proben die Gewerkschaften in der Bundesrepublik und in Großbritannien den Aufstand gegen sozialdemokratische Regierungen? FURCHE-Mitarbeiter analysieren die Entwicklung.

Der nach fünfWochen zu Ende gegangene Stahlarbeiterstreik; in drei Bezirken der Bundesrepublik hat gezeigt, daß die Politik der Gewerkschaften zunehmend von Scharfmachern bestimmt wird. Diese Entwicklung ist nicht zufällig, sondern von langer Hand vorbereitet und wird zielstrebig verfolgt

Als sich am 26. November des letzten Jahres in Karlsruhe vor dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichtes Vertreter von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Regierung trafen, um über die Verfassungsmäßigkeit des Mitbestimmungsgesetzes zu verhandeln, bahnte sich in der Stahlindustrie ein Streik an. Daß dies kein zufälliges Zusammentreffen war, konnte leicht nachgewiesen werden. Hauptkritikpunkt in der Arbeitgeberklage war nämlich, daß dieses Mitbestimmungsgesetz die Tarifautonomie aushöhle.

Um das Gegenteil zu beweisen, wurden von Seiten der IG-Metall in der Stahlindustrie harte Forderungen erhoben, deren Behandlung zeigen sollte, daß in der schon lange mitbestimmten Stahlindustrie die Tarifautonomie keineswegs gefährdet sei. Doch von IG-Metall-Boß Eugen Loderer bis hin zum regionalen Verhandlungsleiter Kurt Herb hatte keiner der verantwortlichen Gewerkschaftsführer damit gerechnet, daß ihnen das Geschehen so schnell aus der Hand gleiten würde.

35-Stunden-Woche

Die gewerkschaftliche Forderung nach Einstieg in die 35-Stunden-Woche war mit dem Argument begründet worden, daß durch diese Arbeitszeitverkürzung Arbeitsplätze frei würden und damit die Arbeitslosenzahl vermindert werden könnte. Gerade in der wegen des Kostendrucks zu Rationalisierungsmaßnahmen gezwungenen und wegen der internationalen Konkurrenzsituation notleidenden bundesdeutschen Stahlindustrie lag der ökonomische Unsinn der Gewerkschaftsforderung auf der Hand.

Denn der Zwang, bei gleichem Lohn mehr Arbeitskräfte einstellen zu müssen, hätte die Kosten so in die Höhe getrieben, daß noch mehr als vorher zur Rationalisierung hätte übergegangen werden müssen, was dann zwangsläufig wieder Arbeitsplätze gekostet hätte.

Eine Beendigung des Arbeitskampfes war also nur durch Kompromiß möglich. Friedhelm Farth-mann, sozialdemokratischer Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen und erfahrener Schlichter, bastelte einen entsprechenden Kompromiß zusammen, der sowohl von den Verhandlungsführern der Gewerkschaft wie auch der Arbeitgeber angenommen wurde.

Offener Klassenkampf

Doch dann folgte der Paukenschlag. Die große Tarifkommission, die als gewerkschaftliches Entscheidungsgremium dem Verhandlungsergebnis hätte zustimmen müssen, lehnte den Vermittlungsvorschlag ab und verschärfte noch die Gewerkschaftsforderungen.

Damit war IG-Metall-Chef Loderer ebenso blamiert wie Verhandlungsleiter Kurt Herb, denn beide hatten dem Ergebnis zugestimmt in der Meinung, die große Tarifkommission werde ebenfalls akzeptieren. Gleichzeitig flimmerten über den Fernsehschirm die Bilder von einer schnellstens organisierten Demonstration, die mit radikalen Sprüchen Loderer

niederschrie und offen Klassenkampf praktizierte.

Damit hatte eine Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht, die vor den Augen der Gewerkschaftsführer seit Jahren ungehindert sich vollziehen konnte. Radikale Elemente machten bei diesem Stahlstreik die Probe auf Exempel, wie weit ihr Arm schon reicht. Das Ergebnis fiel zu ihrer vollen Zufriedenheit aus.

Die Gewerkschaften werden zielstrebig von Kommunisten unterwandert, wobei sich vor allem die DKP (Deutsche Kommunistische Partei) besondere Mühe gibt.

Insbesondere die Gewerkschaftsjugend bildet ein wichtiges strategisches Feld für die Bemühungen der DKP, die Gewerkschaften zu erobern. Wie weit sie hier schon vorge-

drungen ist, zeigt ein erschreckender Bericht des Deutschen Gewerkschaftsbunds - Vorstandsmitgliedes Kurt Schwab über die 10. Bundesju-gendkonferenz des DGB, in dem er die DGB-Führung nachhaltig vor großen Gefahren warnt:

„Ich bin erschrocken über das Maß der Intoleranz, mit der in dieser Jugend - wenn überhaupt - diskutiert wurde ... Kolleginnen und Kollegen, ich habe die Befürchtung, daß ein nicht kleiner Teil der Kolleginnen und Kollegen, der sich für mich bei den einzelnen Abstimmungen dann deutlich als Gruppe herausstellte, ihre Anregungen, ihre Erkenntnisse und auch ihre Aufträge nicht von Gremien innerhalb der Gewerkschaften, sondern von politischen Gruppierungen außerhalb erhalten.“

Für die DKP und ihre Jugendkader, die mit dieser „Gruppierung“ gemeint sind, bieten die 1,2 Millionen Jugendlichen im DGB eine hervorragende Massenbasis. Gleichzeitig hat es die DKP verstanden, marxistisch geschulte Akademiker in die mittleren Funktionärsetagen einzuschleusen, die dort inzwischen den Ton angeben und dadurch auch in der Lage sind - wie im jüngsten Fall durch die große Tarifkommission der IG-Metall -, den obersten Gewerkschaftsführern peinliche Niederlagen zuzufügen.

Diese Entwicklung ist um so gefährlicher, als die Gewerkschaften in der Bundesrepublik heute den größten, keiner Kontrolle unterliegenden Machtfaktor darstellen. Ihre Vertreter sitzen in den Aufsichtsräten der Unternehmen, sie kennen deren Schwachstellen, und sie tauschen anschließend den Manager-Anzug gegen die Gewerkschaftsmütze und beschließen gezielte Streikmaßnahmen gegen die Werke, deren Direktionsetagen sie eben erst verlassen haben.

Wenn in diese Schlüsselstellungen mehrheitlich kommunistische Funktionäre gelangen, spielt es gar keine Rolle mehr, daß zum Beispiel die DKP im parlamentarischen Leben der Bundesrepublik überhaupt nicht existent ist. Dann sitzt sie an den Schalthebeln einer Macht, die aus der Bundesrepublik einen Gewerkschaftsstaat machen kann, dessen politisches Schicksal vorherbestimmt wäre.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung