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35 -Stunden-Woche: Kampf wird Krampf

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In der Bundesrepublik ist der Streit,um die 35-Stun-den-Woche voll entbrannt. Die Fronten zwischen den Kontrahenten haben sich so verfestigt, daß dieser Disput zu einem echten Machtkampf geworden ist.

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In der Bundesrepublik ist der Streit,um die 35-Stun-den-Woche voll entbrannt. Die Fronten zwischen den Kontrahenten haben sich so verfestigt, daß dieser Disput zu einem echten Machtkampf geworden ist.

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In der Berliner Druckerei Gallus gab es eine Urabstimmung. 83 Prozent der Arbeitnehmer, so verkündete die Industriegewerkschaft (IG) Druck und Papier stolz, hätten sich für Streik ausgesprochen. Die Druckerei Gallus hat 50 Beschäftigte. Bei der Druk-kerei Gatter in Mönchengladbach wurde ebenfalls urabgestimmt: 96,8 Prozent für Streik; genauer: 61 von insgesamt 63 Mitarbeitern.

25mal ließ die IG Druck nach diesem Strickmuster abstimmen und macht damit jetzt Politik: Die Streikbereitschaft sei enorm, der Arbeitskampf könne beginnen. Ein Kampf freilich für ein Ziel, das bei den deutschen Arbeitnehmern alles andere als populär ist: Die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wird von fast drei Vierteln der Bürger abgelehnt.

Zwischen den Tarifpartnern in der Bundesrepublik findet eine Auseinandersetzung statt, die absurde Züge trägt. Sechs Einzelgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes, darunter mit der IG Metall (über zwei Millionen Mitglieder) die größte der Welt, wollen mit grimmiger Entschlossenheit die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich durchsetzen, obwohl ihnen täglich in neuen Umfragen vorgeführt wird, daß die deutschen Arbeitnehmer in ihrer übergroßen Mehrheit das gar nicht wollen.

Die Arbeitgeber haben sich mit ebenso großer Entschlossenheit darauf festgelegt, daß an der 40-Stunden-Woche nicht gerüttelt werden darf. Dafür offerieren sie die Verkürzung der Lebensarbeitszeit und die offene Diskussion über weitere Möglichkeiten, die Arbeitszeit flexibler zu gestalten.

Die Fahnen auf beiden Seiten der Schlachtordnung tragen identische Motivangaben: Das Heer der Arbeitslosen soll durch die

Schaffung neuer Arbeitsplätze reduziert werden. Während die Diskussion über die Realisierbarkeit der verschiedenen Modelle in äußerst komplizierten Bahnen verläuft, haben sich zwischen den Kontrahenten längst ideologische Fronten verfestigt, die den Kampf um die 35-Stunden-Woche zu einer machtpolitischen Auseinandersetzung ersten Ranges gemacht haben.

Von Gewerkschaftsseite wird das mittlerweile offen zugegeben. Seit man dort weiß, daß die eigene Klientel von der 35-Stunden-Woche nichts hält, andererseits sich die Gewerkschaften in dieser Frage schon so weit aus dem Fenster gelehnt haben, daß sie nicht mehr zurück können, machen die Spitzenfunktionäre die unerquickliche Auseinandersetzung zur Existenzfrage.

Es gehe um Sein oder Nichtsein der Gewerkschaften, hat Franz Steinkühler, stellvertretender Vorsitzender der IG-Metall, verkündet. Andere malen düstere Visionen von der drohenden Machtlosigkeit der Gewerkschaften an die Wand, wenn diese Auseinandersetzung verlorengehe.

Tatsache ist, daß die in Sachen 35-Stunden-Woche engagierten Gewerkschaften nicht mehr damit rechnen können, Erfolg zu haben. Nun geht es nur noch darum, wie die vernichtende Niederlage vermieden werden kann. Die IG Metall zum Beispiel müßte ein Quorum von mindestens 75 Prozent Ja-Stimmen in einer Urabstimmung im gesamten Metallbereich erzielen, um einen Streik ausrufen zu können. Auch IG-Metall-Funktionäre geben unter der Hand zu, daß sie soviel nie und nimmer zusammenbekommen.

Die IG Druck, ehemals die kleinste und feinste unter den Gewerkschaften, jetzt nur noch die kleinste und radikalste, hat es da einfacher. Auf ihrem Gewerkschaftstag im vergangenen Jahr beschloß sie mit Mehrheit, die Urabstimmung abzuschaffen.

Nun kann sie nach Gutdünken in einzelnen Betrieben eine Urabstimmung durchführen, oder aber einfach zu Streikmaßnahmen aufrufen, die zeitlich befristet sind, aber trotzdem eine ganze Druckerei lahmlegen können. Sie spielt jetzt den Minenhund, weil die anderen Kampfgenossen von der 35-Stunden-Front noch in Beratungen und Tarifverhandlungen stecken.

Selten konnten die Arbeitgeber ihrer Sache so sicher sein, noch nie war es so einfach, die organisierte Arbeitnehmerschaft gegen die Gewerkschaften auszuspielen. Daß die Arbeitnehmer eher den Arbeitgebern als den Gewerkschaftsargumenten Glauben schenken, hat relativ einfache Gründe:

Erstens: Die Argumentation der Gewerkschaften ist zu kompliziert. Daß es möglich sein soll, weniger zu arbeiten in der Woche, dabei das gleiche zu verdienen, und damit auch noch zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, versteht so gut wie niemand.

Zweitens: Die große Mehrheit der Arbeitnehmer glaubt nicht, daß die Gewerkschaften mächtig genug sind, den Arbeitgebern sozusagen das Messer an die Kehle zu setzen und den vollen Lohnausgleich durchzudrücken.

Drittens: Die Arbeitnehmer, die einen Job haben, wollen nicht in erster Linie für Arbeitslose Opfer bringen, sondern schlicht und einfach mehr verdienen, auf jeden Fall aber das bereits Verdiente nicht gefährdet sehen. Genau hier hegen sie jedoch Befürchtungen, daß die 35-Stunden-Woche sich negativ auswirken könnte.

Viertens: Die Parole der Bundesregierung, die von den Arbeitgebern freudig aufgegriffen wurde, nämlich Ärmel aufzukrempeln und mehr zu arbeiten, damit es wieder aufwärts gehe, kommt wegen ihres einfachen und einleuchtenden Strickmusters viel besser an als die komplizierte Gewerkschafts-Argumentation. Die Arbeitnehmer wollen das zarte Pflänzchen des Aufschwungs nicht erstickt sehen.

Dabei ist allen nüchternen Beobachtern völlig klar, daß zur Reduzierung der Arbeitslosenzahlen eine Arbeitszeitverkürzung unvermeidlich ist. Doch anstatt sich ohne Schaum vor dem Mund intensiv darüber zu unterhalten, wie möglichst ohne starre Regelmechanismen alle Möglichkeiten der Arbeitszeitverkürzung ausgenützt werden können, haben die Tarif partner den „heiligen Krieg" auf ihr Panier geschrieben.

Allerdings tut es den Gewerkschaften sehr weh, daß sie zum ersten Mal in ihrer Geschichte in zwei Lager auseinandergefallen sind. Während die IG Metall zusammen mit der IG Druck und Papier, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Deutschen Postgewerkschaft, der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen sowie Holz und Kunststoff sich in der 35-Stun-den-Sackgasse festgerannt haben, sind andere DGB-Gewerkschaften weitaus flexibler.

Die mächtige IG Chemie zum Beispiel verhandelt mit ihrem Tarifpartner über eine Verkürzung der Lebensarbeitszeit und eine erkleckliche Lohnerhöhung. Die Baugewerkschaft hat bereits einen Abschluß getätigt: Herabsetzung der Pensionsgrenze und 3,3 Prozent mehr Lohn.

Während hier die Arbeitnehmer bereits mehr Geld in der Tasche haben, müssen die anderen einem fruchtlosen Kampf um die 35-Stunden-Woche zusehen, ohne die Aussicht, bei diesen Ausgangspositionen auch nur einen Pfennig mehr in die Lohntüte zu bekommen. Das fördert nicht gerade die Solidarität, verstärkt aber zwangsläufig die innergewerkschaftlichen Spannungen bei den 35-Stunden-Kämpfern.

Mittlerweile haben die skeptischen Anfragen, wie es denn wohl um die Schlagkraft der Organisation bestellt sei, bei der im letzten Jahr neu gewählten Führungsriege der IG Metall geradezu traumatische Vorstellungen vom drohenden Machtverlust der Gewerkschaft hervorgerufen. Das ist einer der Gründe, warum man blindlings in das „Abenteuer 35" lief. Jetzt hoffen die Spitzenfunktionäre, daß sich vielleicht doch noch irgendwo eine Kompromißmöglichkeit findet, die es beiden Seiten erlaubt, das Gesicht zu wahren.

Die Schützenhilfe, die die Gewerkschaften von der SPD bekommen, nützt freilich nichts. Die Bürger nehmen das nicht zur Kenntnis, und lediglich die Parteistrategen, die wieder eine engere Anbindung an die Gewerkschaften fordern, sehen darin einen Nutzeffekt. Im übrigen ist die SPD klug genug, nicht den vollen Lohnausgleich zu fordern.

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