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Ein Prestigekampf für Brenner

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Doch eine Gegenüberstellung mit 1928 trifft zwar nicht den Kern der heutigen Situation, aber es kommt nicht von ungefähr, daß die Industrie in diesem Sommer nicht weniger bereit ist, den Kampf bis zu Ende zu führen, wie die Gewerkschaften. Die Industrie sieht zum erstenmal ihren Gewinn ohne die Möglichkeit bedroht, auf höhere Preise auszuweichen, was in den letzten Jahren ein probates Mittel war, Lohnkämpfen auszuweichen. Da sie von den vergangenen fetten Jahren noch über genügend Reserven verfügte, so schien ihr der Kampf jetzt aussichtsreicher als zu irgendeinem spä-

teren Zeitpunkt. Stand also auf der Seite der Arbeitgeber der feste Wille, den Forderungen der Gewerkschaften nicht völlig zu entsprechen, so war auf deren Seite der Wille keineswegs geringer. Es geht hier nämlich um eine grundsätzliche Entscheidung innerhalb der Gewerkschaften. Der Führer der IG (Industriegewerkschaft) Metall Brenner will diesen Streik offensichtlich dazu benutzen, um sein in den letzten Jahren geschwundenes Ansehen innerhalb der Gewerkschaften wiederherzustellen. Brenner ist, wie der letzte große Gewerkschaftskongreß im Herbst vergangenen Jahres deutlich zeigte, mit

seinen Klassenkampfparolen in Rückstand gekommen, seit sein Rivale Leber von der IG Bau Steine Erden sein Konzept von der freien Partnerschaft von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in aufsehenerregenden Erfolgen, wie Sonderprämien für organisierte Arbeiter, einer von beiden Sozialpartnern getragenen Stiftung für die Kinder tödlich verunglückter Arbeiter und Ähnliches demonstriert hat. Ihm will nun Brenner offenbar einen nicht weniger auffälligen Erfolg der alten Kampfmethoden gegenübersetzen.

So sind also von beiden Seiten neben grundsätzlichen Entscheidungen, auf die wir gleich zu sprechen kommen werden, auch Prestigefragen im Spiel, die es verständlich machen, daß man um 1,5 Prozent Lohnerhöhung — so weit nämlich hatte man sich in den Verhandlungen genähert — einen wirtschaftlich für beide Seiten verlustreichen und mit dieser Differenz in keinem Verhältnis stehenden Streik „ablaufen“ läßt.

Erhard kann nicht neutral bleiben

Wieweit diese Fragen in dem Satirspiel um Adenauers Nachfolge eine Rolle spielen werden, bleibt abzuwarten. Sicher ist, daß jeder, der in diesem die deutsche Wirtschaft schwer gefährdenden Streik den Vermittler

spielen soll, in eine schwierige Lage kommen wird. Als erster kommt hier Erhard in Frage, der bereits seine Neutralität erklärt hat, sie aber kaum wird einhalten können, wenn der Streik trotz einlenkender Verhandlungen weitergeführt werden sollte.

Ob dies aber Adenauer in seinem Sinn wird benutzen können, hängt von den Umständen ab. Für Erhard ist es eine in diesem Augenblick höchst unerwünschte Bewährungsprobe. Noch vor der Übernahme des Kanzleramtes kommt hier ein Problem auf ihn zu, das seine Wurzel in dem Schlendrian der letzten Jahre hat und mit Adenauers in dieser Zeit ausgeprägtem Bemühen ursächlich zusammenhängt, unangenehme Entscheidungen hinauszuschieben. Solange Tarifforderungen der Gewerkschaften in der Aufwärtsbewegung der Wirtschaft durch Lohnerhöhungen aufgefangen werden konnten, blieb die eigentliche Ursache der nun schon Jahre andauernden Lohnkämpfe, die Beteiligung der Arbeiter am Besitz verborgen. Diese Forderung gehörte ursprünglich auch einmal in das Programm der CDU. Sie gründet sich in Deutschland neben den verschiedenen Sozialtheorien, insbesondere der katholischen Soziallehre, besonders noch darauf, daß der Aufstieg der deutschen Industrie nach 1948 ohne die aufopferungsvolle Hilfe der Arbeiter nie hätte geschehen können. Sie blieb eine Forderung der Gewerkschaften, wobei Brenner sie durch Lohnkämpfe und Leber sie durch freie Übereinkünfte erreichen wollte.

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